NVL Unipolare Depression (2022)

9 Psychosoziale Therapien und unterstützende Maßnahmen

9.1 Ergotherapie

Empfehlung

Empfehlungsgrad

9-1 | neu 2022

Die Indikation für eine ambulante Ergotherapie nach den Heilmittelrichtlinien sollte insbesondere dann gemeinsam mit den Patient*innen geprüft werden, wenn Interventionen zur Verbesserung oder zum Erhalt der psychosozialen Funktionsfähigkeit und der Teilhabe am Arbeits- und gesellschaftlichen Leben angezeigt sind.

Abgeschwächte Empfehlung

RationaleRationale

Auf die psychosoziale Funktionsfähigkeit und insbesondere auf die Arbeitsfähigkeit gerichtete Maßnahmen sollten aus Sicht der Leitliniengruppe in der modernen sozialpsychiatrischen Versorgung bedarfsgerecht und personenzentriert sein und frühzeitig erfolgen, d. h. bereits während einer ambulanten Behandlung beginnen, sobald akute Symptome abgeklungen sind, um beispielsweise einem Verlust des Arbeitsplatzes vorzubeugen. Die Leitliniengruppe spricht konsensbasiert eine abgeschwächte Empfehlung aus, weil die Evidenzbasis für ergotherapeutische Interventionen insgesamt schwach ist und weil die Indikation nur unscharf formuliert werden kann.

Für Empfehlungen zum Thema Teilhabeförderung siehe auch Kapitel 13 Medizinische Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung extrapoliert zusammenfassend die Empfehlungen der S3-Leitlinie "Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen" 31878; für Evidenz zu den einzelnen Interventionen siehe dort. Zur Evidenz für arbeitsbezogene Ergotherapie siehe Kapitel 13.3 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe an Bildung.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Patient*innen mit Depressionen, insbesondere mit schweren oder chronischen Formen, sind häufig in der eigenständigen Lebensführung und/oder der Arbeitsfähigkeiten eingeschränkt und benötigen Unterstützung, um beispielsweise Antrieb, Motivation, Belastbarkeit, Ausdauer, Flexibilität und Selbständigkeit in der Tagesstrukturierung zu verbessern oder zu erhalten. Hier kann eine ergotherapeutische psychisch-funktionelle Behandlung hilfreich sein, deren Ziel die Stabilisierung und Besserung mentaler Funktionen, die Entwicklung, die Wiederherstellung und der Erhalt von Aktivitäten, die Stärkung von Eigenverantwortlichkeit, Selbstvertrauen und Entscheidungsfähigkeit sowie das Erlernen von Kompensationsstrategien ist.

Rechtzeitig bereits im ambulanten Bereich begonnen, könnte dadurch die Notwendigkeit z. B. schwieriger Wiedereingliederungsmaßnahmen nach Arbeitsplatzverlust vermieden werden. Aus Sicht der Leitliniengruppe sind die Möglichkeiten zum Training von Alltags- und sozialen Fertigkeiten im Rahmen der ambulanten Versorgung zu wenig bekannt und werden zu selten und/oder zu spät in Anspruch genommen.

 Informationen Weiterführende Informationen: Verordnung von Ergotherapie

Im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung kann Ergotherapie im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung auf Grundlage der Heilmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses verordnet werden (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 6 i. V. m. § 138 SGB V). Der Zugang erfolgt über ein ärztliches Verordnungsformular (Musterblatt 13), das Angaben über Diagnose, Leitsymptomatik und Therapiefrequenz enthält. Seit 2021 dürfen auch Vertragspsychotherapeut*innen Ergotherapie verordnen.

Die Verordnung von Maßnahmen der Ergotherapie kann im Rahmen der Diagnosegruppe "PS3" für wahnhafte und affektive Störungen/ Abhängigkeitserkrankungen erfolgen. Vor der Verordnung muss allerdings eine psychiatrische, neurologische oder psychotherapeutische Eingangsdiagnostik erfolgen.

 Hinweis Hinweis: Weiterführende Materialien zur Verordnung

9.2 Soziotherapie

Empfehlung

Empfehlungsgrad

9-2 | neu 2022

Die Indikation für Soziotherapie sollte insbesondere bei schwerer Symptomatik mit deutlichen Beeinträchtigungen der Aktivitäten und/oder Teilhabe geprüft werden.

Abgeschwächte Empfehlung

RationaleRationale

Auf die psychosoziale Funktionsfähigkeit gerichtete Maßnahmen sollten aus Sicht der Leitliniengruppe in der modernen sozialpsychiatrischen Versorgung bedarfsgerecht und personenzentriert sein und frühzeitig erfolgen, d. h. bereits während einer ambulanten Behandlung beginnen. Die Leitliniengruppe spricht konsensbasiert eine abgeschwächte Empfehlung aus, weil die Evidenzbasis für soziotherapeutische Interventionen schwach ist und weil die Angebote nicht flächendeckend vorhanden sind.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Patient*innen mit Depressionen, insbesondere mit schweren oder chronischen Formen, sind häufig nicht in der Lage, ärztliche oder psychotherapeutische Behandlungen oder andere Leistungen selbstständig zu beantragen und in Anspruch zu nehmen. Soziotherapeutische Maßnahmen können hilfreich sein, um die Therapieadhärenz, aber auch die soziale Kontaktfähigkeit und Kompetenz sowie Eigeninitiative zu fördern. Aus Sicht der Leitliniengruppe sind die Möglichkeiten von Soziotherapie im Rahmen der ambulanten Versorgung zu wenig bekannt und werden zu selten und/oder zu spät in Anspruch genommen.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung extrapoliert zusammenfassend die Empfehlungen der S3-Leitlinie "Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen" 31878; für Evidenz zu den einzelnen Interventionen siehe dort.

 Informationen Weiterführende Informationen: Verordnung von Soziotherapie

Soziotherapeutische Interventionen als ambulante Versorgungsleistung sind in der Soziotherapie-Richtlinie geregelt. Sie dürfen verordnet werden, wenn dadurch Klinikaufenthalte vermieden oder verkürzt werden oder wenn eine stationäre Behandlung indiziert, aber nicht möglich ist. Bei unipolaren Depressionen ist eine Verordnung bei psychotischer Symptomatik möglich und/oder wenn Fähigkeitsstörungen in einem Maß vorliegen, dass das Leben im Alltag nicht mehr selbständig bewältigt oder koordiniert werden kann. Das Ausmaß der Funktionsstörungen wird mittels GAF-Skala ("Global Assessment of Functioning Scale") erhoben; eine Verordnung kann ab einem GAF-Wert ≤ 50 erfolgen. In begründeten Einzelfällen kommt Soziotherapie auch bei depressiven Störungen ohne psychotische Symptome infrage, wenn der GAF-Wert ≤ 40 liegt. Die Verordnung darf durch Fachärzt*innen für Nervenheilkunde, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Fachärzt*innen mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie, in Psychiatrischen Institutsambulanzen tätige Fachärzt*innen sowie seit 2021 auch durch Vertragspsychotherapeut*innen erfolgen. Die dafür benötigte Abrechnungsgenehmigung kann bei der jeweiligen KV beantragt werden.

Erachten Ärzt*innen, die Soziotherapie nicht verordnen dürfen (z. B. Hausärzt*innen), diese Leistung als erforderlich, ist eine Überweisung an die genannten Fachgebiete notwendig. Nur wenn die Patient*innen es nicht schaffen, einen solchen Termin selbstständig wahrzunehmen, darf im Rahmen einer Ausnahmeregelung eine kurzzeitige Soziotherapie verordnet werden, die darauf zielt die Patient*innen zu motivieren, fachärztliche bzw. psychotherapeutische Angebote wahrzunehmen.

Soziotherapie muss vorab von der Krankenkasse der Patient*innen genehmigt werden.

 Hinweis Hinweis: Weiterführende Materialien zur Verordnung

9.3 Selbsthilfe und Peer Support

Empfehlung

Empfehlungsgrad

9-3 | neu 2022

Patient*innen und Angehörige sollen über Selbsthilfe- und Angehörigenangebote, Peer-Counselling sowie Genesungsbegleitung informiert und, wenn angebracht, zur Teilnahme motiviert werden.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die konsensbasierte Empfehlung zielt darauf, dass diese Angebote der Selbsthilfe für Betroffene und Angehörige nicht immer ausreichend bekannt sind. Für eine Teilnahme spricht die Leitliniengruppe nur eine abgeschwächte Empfehlung aus, da den möglichen positiven Effekten von Peer Support potenzielle negative Effekte wie emotionale Destabilisierung durch Konflikte innerhalb von Gruppen oder Verunsicherung durch subjektiv gefärbte Empfehlungen gegenüberstehen. Hinzu kommt, dass die entsprechenden Angebote nicht überall verfügbar sind.

Zur Beschreibungen der verschiedenen Formen von Peer Support siehe Kapitel 4.7 Psychosoziale Therapien: Beschreibung und Zugang.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung extrapoliert zusammenfassend die Empfehlungen der S3-Leitlinie "Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen" 31878; für Evidenz zu den einzelnen Angeboten siehe dort.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Peer Support zielt darauf, durch Einbeziehung von (einst) selbst betroffenen psychisch kranken Menschen die Selbstmanagement-Fähigkeiten der Patient*innen zu stärken – durch den Austausch über Probleme und Erfahrungen, durch Beratung und "Lotsenfunktion" bei Entscheidungen und Vorhaben, durch eine Vorbildfunktion wie auch durch die soziale Einbindung und die damit verbundenen aktivierenden Effekte selbst. Gemäß der S3-Leitlinie "Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen 31878 liegt Evidenz zum Nutzen von Peer Support vorwiegend für gemischte Population vor. Sie deutet darauf hin, dass Peer Support weniger klinische Outcomes, sondern eher Parameter wie Hoffnung, Empowerment, Selbstwirksamkeit, Autonomie und Lebensqualität verbessern hilft, was die Quantifizierung der Effekte erschwert. Die Evidenzqualität ist aufgrund des hohen Bias-Risikos, der sehr hohen Heterogenität auf PICO-Ebene, der kleinen Studienpopulationen und der inkonsistenten Ergebnisse jedoch sehr niedrig.

Ein Schadenspotenzial liegt aus Sicht der Leitliniengruppe in den subjektiven, nicht evidenzbasierten und möglicherweise auch widersprüchlichen Empfehlungen durch andere Betroffene. Hinzu kommen gruppendynamische Effekte, die negative Einflüsse auf emotional instabile Patient*innen haben können.

Erkrankungsspezifische Selbsthilfe, Peer-gestützte Beratungsstellen und vor allem Genesungsbegleiter*innen sind in Deutschland nicht flächendeckend verfügbar.

9.4 Lichttherapie

 Definition Definition

Die Lichttherapie zielt darauf, den zirkadianen Rhythmus und damit den Serotonin- und Melatonin-Spiegel zu beeinflussen. Dabei werden verschiedene Methoden eingesetzt. Die am häufigsten genutzte Lichtart ist helles fluoreszierendem Licht hoher Lichtstärke (min. 2 500 Lux, besser 10 000 Lux und mehr), aber auch andere Spektren mit kurzen oder mittleren Wellenlängen (blau, grün, gelb) kommen prinzipiell infrage. Als Lichtquelle werden vor allem Lichttherapielampen ("Lichtdusche", Tageslichtlampen) eingesetzt; es gibt aber auch Lichtmasken und Lichtbrillen ("Wearables") sowie andere Geräte.

Dauer und Frequenz der Behandlung unterscheiden sich in Abhängigkeit von Lichtquelle, Lichtart und Lichtintensität. Häufig sind mehrtägige bis mehrmonatige Anwendungen für 30 Minuten bis 2 Stunden in den frühen Morgenstunden. Die Augen müssen während der Therapie geöffnet sein und dürfen nicht mit einer Sonnenbrille oder anderem verdeckt werden. Daher besitzen Lichttherapiegeräte einen UV-Filter, um die Augen nicht zu schädigen.

Empfehlung

Empfehlungsgrad

9-4 | modifiziert 2022

Bei Depressionen mit saisonalem Muster soll ein Therapieversuch mit Lichttherapie angeboten werden.

Starke Empfehlung

9-5 | neu 2022

Bei Depressionen ohne saisonales Muster kann ein Therapieversuch mit Lichttherapie angeboten werden.

Offene Empfehlung

RationaleRationale

Die Leitliniengruppe schätzt die Aussagesicherheit der Evidenz für Lichttherapie bei Depressionen mit saisonalem Muster als moderat, für nicht-saisonale Depressionen als sehr niedrig ein. Die Limitationen ergeben sich aus dem Verzerrungsrisiko (mangelnde Verblindung), Impräzision (kleine Fallzahl, breite Konfidenzintervalle), Inkonsistenz (Heterogenität auf PICO- und Ergebnisebene), Indirektheit (teils nicht nur Patient*innen mit diagnostizierter Depression eingeschlossen) sowie Hinweisen auf Publikationsbias.

Insgesamt ergaben sich kurzzeitige Effekte auf die Remissionsraten und die Symptomatik, mit kleiner bis mittlerer Effektstärke; dabei liegt die beste Evidenz für Lichtlampen vor. Durch Lichttherapie können additive Effekte zu einer Behandlung mit Antidepressiva erzielt werden, und auch ältere Menschen können von Lichttherapie profitieren. Da das Schadenspotenzial gering und Lichttherapie sehr einfach umzusetzen ist, beispielsweise durch kostengünstige Lichttherapie-Lampen am Arbeitsplatz, spricht die Leitliniengruppe eine starke Empfehlung für saisonale Depressionen und aufgrund der niedrigeren Evidenzqualität eine offene Empfehlung für nicht-saisonale Depressionen aus. In der Regel erfolgt Lichttherapie zusätzlich und unterstützend zu anderen Interventionen; bei leichten und rein saisonalen Formen ist aus Sicht der Leitliniengruppe auch ein erster Behandlungsversuch als Einzelintervention denkbar.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Es erfolgte eine systematische Recherche nach aggregierter Evidenz.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Für saisonale Depressionen wurden 3 systematische Übersichtarbeiten eingeschlossen. Im Review von Pjrek 2020 ergaben sich gegenüber Sham kleine Effekte bezüglich der depressiven Symptomatik (SMD -0,37 (95% KI -0,63; '-0,12); I2 = 52,3%; N = 18, n = 610; niedrige Evidenzqualität) und der Ansprechrate (RR 1,42 (95% KI 1,08; 1,85); I2 = 44,3%; ARR 20,6%; N = 16, n = 559; niedrige Evidenzqualität). In der Sensitivitätsanalyse von Studien mit niedrigem oder moderatem Biasrisiko vergrößerten sich die Effekte (SMD -0,70 (95% KI -1,14; -0,26); I2 = 67,5%; Ansprechrate RR 2,30 (95% KI 1,35; 3,90); I2 = 37,5%; N = 8; moderate Evidenzqualität) 30898. Ein qualitativ hochwertiger HTA des IQWiG 2020 errechnete statistisch nicht signifikant verbesserte Remissionsraten für Lichttherapie vs. Placebo (RR 1,32 (95% KI 0,88; 2,00)); in der Analyse von Interventionen mit Lichtlampen war der Effekt signifikant (46% vs. 25%, RR 1,48 (95% KI 1,05; 2,09); N = 7, n = 275), nicht aber für Stirnlampen. Ähnliche Ergebnisse ergaben sich bezüglich der depressiven Symptomatik und der Ansprechrate; die Effektgröße für Lichtlampen war klein (SMD: -0,33 (95% KI -0,58; -0,09); N = 7, n = 268). Die Aussagesicherheit der Ergebnisse (Evidenzqualität) wurde als moderat eingestuft 30138. Eine weitere Übersichtsarbeit untersuchte die Effektivität von Lichttherapie bei aktuell symptomfreien Patient*innen. Es konnte nur eine sehr kleine Studie zu dieser Fragestellung identifiziert werden, in der keine signifikanten Effekte erzielt wurden; die Evidenzqualität wird als sehr niedrig eingeschätzt 29436.

Drei Übersichtsarbeiten untersuchten die Effektivität von Lichttherapie bei nicht-saisonaler Depression. Im Review von Tao wurden 23 RCT eingeschlossen und es ergab sich ein kleiner bis moderater Effekt auf die depressive Symptomatik (SMD -0,405 (95% KI -0,597; -0,212); I2 = 56,9%; N = 23; sehr niedrige Evidenzqualität), der in der Subanalyse für weißes Licht signifikant blieb, nicht aber für andere Lichtarten 30899. Zwei weitere Reviews fokussierten auf Lichttherapie bei älteren Patient*innen. Die Ergebnisse waren konsistent zu denen in der Gesamtpopulation 30894, 30895.

Eine weitere Übersichtsarbeit verglich Lichttherapie mit einer medikamentösen Therapie und schloss Patient*innen mit saisonalen und nicht-saisonalen sowie mit unipolaren und bipolaren Störungen ein. Im verblindeten Vergleich Lichttherapie plus Medikamentenplacebo versus Antidepressivum plus Sham-Lichttherapie ergaben sich keine signifikanten Unterschiede bezüglich der depressiven Symptomatik (SMD 0,19 (95% KI -0,08; 0,45); I2 = 0%; N = 7; sehr niedrige Evidenzqualität). Eine Add-on-Lichttherapie erzielte moderate zusätzliche Effekte gegenüber einer alleinigen medikamentösen Behandlung (SMD 0,56 (95% KI 0,24; 0,88); I2 = 18,41%; N = 5; sehr niedrige Evidenzqualität) 30896.

Sicherheitsaspekte waren in den Primärstudien schlecht berichtet. Im Wesentlichen können Augen- und Kopfschmerzen auftreten, die aber kurzzeitig und mild sind 30893.

Der überwiegende Teil der systematischen Übersichtsarbeiten wies methodische Schwächen auf (siehe Evidenztabellen im Leitlinienreport 32140).

 Kapitel Triple Chronotherapie

Auch eine Kombination mehrerer chronobiologisch orientierter Maßnahmen ist möglich, d. h. Schlafentzug, Verschiebung des Schlaf-Wach-Rhythmus und Lichttherapie. In der systematischen Recherche konnte jedoch keine aggregierte Evidenz für "Triple Chronotherapie" speziell für Patient*innen mit unipolaren Depressionen identifiziert werden.

9.5 Wachtherapie

Empfehlung

Empfehlungsgrad

9-6 | modifiziert 2022

Bei Patient*innen mit unipolaren Depressionen sollten die Vor- und Nachteile einer Wachtherapie gemeinsam abgewogen und Unterstützung bei der Umsetzung an-geboten werden.

Abgeschwächte Empfehlung

RationaleRationale

Aus klinischer Sicht kann das Erleben milder positiver oder hypomaner Stimmungszustände nach Schlafentzug hilfreich sein, um depressive Episoden zu durchbrechen und andere Stimmungszustände erlebbar zu machen. Wachtherapie ist das einzige nicht-medikamentöse Verfahren mit Sofortwirkung und zudem jederzeit und kostenfrei verfügbar. Zudem kann der Erfolg des Wachbleibens die Selbstwirksamkeitserwartung der Patient*innen stärken. Da die Evidenz für Wachtherapie jedoch schwach ist und die Effekte sehr kurzfristig sind, spricht die Leitliniengruppe eine abgeschwächte Empfehlung aus. Eine Indikationsstellung erscheint eher bei einem höheren Schweregrad der Depression sinnvoll und vor allem bei Patient*innen mit chronobiologisch akzentuierten Beschwerden. Wachtherapie erfolgt grundsätzlich zusätzlich unterstützend zu anderen Interventionen.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung beruht auf der systematischen Recherche zur 2. Auflage und wurde um systematische Übersichtsarbeiten ergänzt, die in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifiziert bzw. selektiv eingebracht wurden.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Die 2. Auflage zitierte zwei ältere systematische Übersichtsarbeiten, in denen sich durch Schlafentzug bei ca. 60% der Patient*innen die depressive Symptomatik vorübergehend besserte 10370, 10371. Besonders profitierten Patient*innen mit chronobiologischer Charakteristik, d. h. mit Schwankungen der Stimmung innerhalb eines Tages oder von Tag zu Tag. Der antidepressive Effekt des Schlafentzugs war jedoch nicht anhaltend und bei den meisten Patient*innen kam es bereits nach einer Nacht des Schlafens (Erholungsnacht) zu einem Rückfall.

Ein selektiv eingebrachter aktueller systematischer Review mit 6 RCTs fand nach einer Woche kleine, aber nicht signifikante Effekte einer Schlafentzugstherapie auf die depressive Symptomatik im Vergleich zu einer Standardbehandlung (SMD −0,29 (95% KI −0,84; 0,25); I2 = 70%; N = 6, n = 215; niedrige Evidenzqualität). Der Effekt verlor sich nach 2 Wochen. In einer Analyse der Studien mit ausschließlich unipolaren Patient*innen war die Differenz weder klinisch relevant, noch statistisch signifikant (SMD −0,10 (95% KI −1,16; 0,96); I2 = 81%; N = 3; niedrige Evidenzqualität). Eine Post-hoc-Analyse unter Ausschluss einer Studie mit älteren Patient*innen ergab eine mittlere Effektstärke, die aber ebenfalls keine statistische Signifikanz erreichte (SMD −0,59 (95% KI −1,44; 0,25); I2 = 40%; niedrige Evidenzqualität). Als unerwünschte Wirkung wurde vor allem Manie (Spanne 2,7% bis 10,7%) beobachtet 31249.

 Überlegungen Versorgungspraktische und klinische Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Aus Sicht der Leitliniengruppe wird Wachtherapie in der Versorgungspraxis zu selten versucht. Wichtig ist es, die Patient*innen zu motivieren und von der Sinnhaftigkeit der Wachtherapie zu überzeugen, falls die Settingbedingungen dazu günstig sind. Da die Gefahr besteht, manische Zustände auszulösen, müssen zuvor bipolare Störungen sicher ausgeschlossen werden. Eine weitere Kontraindikation stellt Epilepsie dar.

Umsetzbarkeit und Risiken sind aus Sicht der Leitliniengruppe stark vom Setting abhängig: Während bei allein Lebenden oder Alleinerziehenden die Durchführung zu Hause schwierig ist, fällt es mit Unterstützung durch einen Angehörigen oder in der Gruppe im stationären Kontext leichter. Hinzu kommt, dass die Risiken einer durch Schlafentzug ausgelösten Manie bis hin zum Suizid bei ambulanten Selbstversuchen höher sind als bei professionell begleiteter Wachtherapie in Kliniken. Dort kann auch besser auf schnelle Rückfälle oder Rebound-Phänomene reagiert werden.

 Kapitel Schlafphasenverschiebung und Triple Chronotherapie

In den Studien wurde zumeist der Effekt einer einzelnen durchwachten Nacht untersucht. Oft kommt es aber schon nach der nächsten Schlafphase zu einem Rückfall. Längerfristige Effekte sind möglicherweise mit einer Woche Schlafphasenverschiebung möglich, die sich bei Ansprechen auf die erste Nacht Schlafentzug anschließt. Dies setzt ein stationäres Setting voraus. Aggregierte Evidenz für diese spezielle Form der Schlafentzugstherapie wurde nicht identifiziert.

Auch eine Kombination mehrerer chronobiologisch orientierter Maßnahmen ist möglich, d. h. Schlafentzug, Verschiebung des Schlaf-Wach-Rhythmus und Lichttherapie. In der systematischen Recherche zu Lichttherapie konnte jedoch keine aggregierte Evidenz für "Triple Chronotherapie" speziell für Patient*innen mit unipolaren Depressionen identifiziert werden.

9.6 Bewegungs- und Sporttherapien

Bewegungs- und Sporttherapien bei psychischen Störungen umfassen eine große Bandbreite von Verfahren. Sie reichen von sporttherapeutischen Interventionen wie Ausdauertraining (z. B. Jogging, Walking), Kraft- bzw. Muskeltraining, Gymnastik oder Sportspielen (z. B. Tennis, Fußball) über Entspannungstechniken (Progressive Relaxation, Autogenes Training) bis hin zu körperpsychotherapeutischen Verfahren.

Empfehlung

Empfehlungsgrad

9-7 | neu 2022

Patient*innen mit einer depressiven Störung und ohne Kontraindikation für körperliche Belastungen sollen zu sportlichen Aktivitäten motiviert werden, idealerweise innerhalb einer Gruppe.

Starke Empfehlung

9-8 | modifiziert 2022

Patient*innen mit einer depressiven Störung und ohne Kontraindikation für körperliche Belastungen sollen zur Teilnahme an einem strukturierten und supervidierten körperlichen Training motiviert und bei der Umsetzung unterstützt werden.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die konsensbasierte Empfehlung für sportliche Aktivitäten zielt allgemein auf eine Aktivierung der Patient*innen. Die Gesundheitsförderung und vor allem die soziale Komponente sind aus Sicht der Leitliniengruppe ggf. wichtiger als Struktur und Supervision von Trainingsmaßnahmen, die zudem nicht flächendeckend verfügbar sind. Hinzu kommt, dass die Motivation und längerfristige Adhärenz zu einer nach individueller Präferenz gewählten körperlichen Betätigung vermutlich höher ist als zu therapeutisch vorgegebenen Trainingsmaßnahmen.

Bezüglich supervidierter Bewegungs- und Sportprogramme schätzt die Leitliniengruppe die Aussagekraft der Evidenz als niedrig bis moderat ein. Limitationen ergeben sich aus dem Verzerrungsrisiko (mangelnde Verblindung, Abbruchraten, Adhärenz bezüglich Intensität und Dauer), der hohen Heterogenität der Studien und der häufig kleinen Samples. Dennoch ist von einem kleinen bis moderaten, wenn auch eher kurzfristigen Effekt auszugehen, sowohl als alleinige Behandlungsoption bei leichterer Symptomatik als auch als zusätzliche Intervention bei gleichzeitiger medikamentöser Behandlung oder Psychotherapie. Daher spricht die Leitliniengruppe eine starke Empfehlung aus und regt an, ausreichend entsprechende Angebote zu schaffen. Detaillierte Aussagen zur optimalen Art, Dauer und Intensität der Programme sind aus Sicht der Leitliniengruppe nicht möglich. Die beste Evidenz liegt für aerobe Ausdauertrainings, Krafttrainings oder eine Kombination beider Trainings vor; für andere Formen körperlichen Training wird die Evidenz als inkonklusiv eingeschätzt.

Entscheidend ist aus Erfahrung der Leitliniengruppe, die Patient*innen von der Sinnhaftigkeit von körperlicher Aktivität zu überzeugen. Dabei gibt es soziokulturell wie sozioökonomisch starke Unterschiede in der Motivierbarkeit, was nicht zuletzt auch einem Mangel an kultursensiblen Angeboten geschuldet ist.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die konsensbasierte Empfehlung zu Bewegungsinterventionen beruht auf klinischen Aspekten und einer Extrapolation der Evidenz zu strukturierten Bewegungsprogrammen. Die Empfehlung zu strukturierten und supervidierten Trainingsmaßnahmen beruht auf der systematischen Recherche zur 2. Auflage und wurde um systematische Übersichtsarbeiten ergänzt, die in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifiziert bzw. selektiv eingebracht wurden.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Ein in der 2. Auflage zitierter Cochrane-Reviews zu körperlichem Training (Gehen, Laufen/Laufband, Fahrradfahren/Ergometer, Tanzen, Rudern, Krafttraining) bei Depressionen fand in der Metaanalyse (N = 35, n = 1 353) eine moderate Effektstärke (SMD -0,62 (95% KI -0,81; -0,42); I² = 63%; Evidenzqualität moderat) im Vergleich zu keiner Intervention oder Placebo. Die Analyse von Studien, bei denen ausschließlich eine klinische Diagnose der Depression erfolgte (N = 23; n = 967), kam zu ähnlichen Ergebnissen (SMD -0,57 (95% KI -0,81; -0,32); I² = 49%). In Studien mit Langzeitdaten (N = 8; n = 377) waren die Effekte geringer (SMD -0,33 (95% KI -0,63; -0,03); I² = 67% (Evidenzqualität niedrig). Bei der Sensitivitätsanalyse von Studien mit hoher Qualität (N = 6, n = 464) war der Effekt nicht mehr statistisch signifikant und blieb unterhalb der Schwelle klinischer Relevanz (SMD -0,18 (95% KI -0,47; 0,11); I² = 57%). Limitationen der Evidenz ergeben sich aus dem teils hohen Verzerrungsrisiko (mangelnde Verblindung, hohe Abbruchraten) und der Heterogenität der Studien. Subgruppenanalysen ergaben für aerobes Ausdauertraining moderate Effekte (SMD -0,55 (95% KI -0,77, -0,34); N = 28, n = 1 080); für Krafttraining (SMD -1,03 (95% KI -1,52, -0,53); N = 4, n = 144) und gemischte Interventionen (SMD -0,85 (95% KI -1,85; 0,15); N = 3, n = 128) waren die Effekte stark, die Aussagekraft ist aufgrund der kleinen Samples und der breiten Konfidenzintervalle jedoch limitiert. Die Ergebnisse von Analysen zur Trainingsintensität waren heterogen mit einer Tendenz stärkerer Wirkeffekte für höhere Intensitäten. Ähnlich waren längere Interventionsdauern tendenziell mit höherer Effektstärke assoziiert 31250.

Untersuchungen speziell bei älteren Personen bestätigen eine Effektivität von körperlichem Training auf depressive Symptome, wobei es Hinweise gibt, dass Effekte aeroben Ausdauertrainings in dieser Population länger anhalten als Krafttraining 31251, 31252. Keine ausreichende Datenbasis liegt für die Effektivität von körperlichem Training für die Untergruppe von depressiven Menschen mit Demenz vor 31253.

Für Walking ab 20 Minuten Dauer wurde in einer weiteren in der 2. Auflage zitierten Metanalyse ein starker Effekt festgestellt (SMD -0,86 (95% KI -1,12; -0,61); Ι² = 86%; N = 8, n = 341). Die untersuchten Interventionen und die eingeschlossenen Personengruppen waren jedoch sehr heterogen, so dass eine Generalisierbarkeit der Ergebnisse fraglich bleibt 31254.

Eine in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifizierte Netzwerkmetaanalyse errechnete durch ein alleiniges Sportprogramm (inkl. Yoga) bei weniger schweren Depressionen gegenüber Medikamentenplacebo einen kleinen Effekt auf die Symptomatik, der jedoch keine statistische Signifikanz erreichte (SMD -0,27 (95% CrI -0,84; 0,29); N = 794). Bei schwererer Symptomatik war ein alleiniges körperliches Trainingsprogramm Medikamenten-Placebo numerisch unterlegen (Evidenzqualität sehr niedrig). Die Kombination aus einer medikamentösen oder Psychotherapie mit einem Sportprogramm erzielten in der Netzwerkanalyse starke Effekte: bei leichterer Symptomatik im Vergleich zu Medikamentenplacebo (SMD -1,06 (95% CrI -1,98; -0,12); n = 79) und im Vergleich zur Standardbehandlung (SMD -1,48 (95% CrI -2,58; -0,40); n = 79) wie auch bei schwererer Symptomatik vs. Medikamentenplacebo (SMD -1,77 (95% CrI -2,80; -0,74); n = 41) und im Vergleich zur Standardbehandlung (SMD -2,41 (95% CrI -3,66; -1,17); n = 41). Die Effektgrößen reduzierten sich bei Adjustierung für small study bias nur sehr geringfügig. Als Augmentationsstrategie bei Nichtansprechen einer medikamentösen Therapie reduzierte ein Sportprogramm die depressive Symptomatik in einer Metanalyse mit moderater Effektstärke (SMD -0,51 (95% KI -0,83; -0,2); N = 4, n = 181). Allerdings ist die Aussagekraft (Evidenzqualität) vor allem aufgrund der sehr kleinen Samples für alle Vergleiche sehr niedrig 29705.

Zur Frage, welche Effekte verschiedene Arten von Sportprogrammen haben, wurden zusätzlich aktuellere selektiv eingebrachte Arbeiten herangezogen: Ein Meta-Review, Grundlage einer Leitlinie zu physischer Aktivität, identifizierte 10 systematische Reviews unterschiedlicher methodischer Qualität zu körperlichem Training bei unipolaren Depressionen, eingeschlossen den oben dargestellten Cochrane-Review 31250. In der Zusammenschau ergab sich konsistente und belastbare Evidenz für positive Effekte eines Ausdauertrainings bezüglich der depressiven Symptomatik, außerdem limitierte Evidenz für eine Verbesserung der kardiorespiratorischen Fitness und der Lebensqualität 31255. Ein weiterer qualitativ hochwertiger Meta-Review beurteilte die Evidenz speziell für Qi Gong, Tai Chi und Yoga aufgrund methodischer Limitationen als nicht belastbar 30879.

 Patientenblatt Patientenmaterialien
  • Patientenblatt "Depression – Was bringen mir Sport und Bewegung?" (siehe Patientenblätter)

9.7 Psychiatrische Häusliche Krankenpflege

Empfehlung

Empfehlungsgrad

9-9 | neu 2022

Psychiatrische häusliche Krankenpflege soll angeboten werden, wenn aufgrund von Funktionsstörungen und Beeinträchtigungen der Aktivität oder der Teilhabe eine selbstständige Versorgung im häuslichen Umfeld nicht gewährleistet ist und/oder damit voraussichtlich stationäre Aufenthalte vermieden bzw. verkürzt werden können.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die konsensbasierte Empfehlung zielt auf eine stärkere Berücksichtigung der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege (pHKP), da sie aus Sicht der Leitliniengruppe hilfreich sein kann, auch Patient*innen mit schweren psychischen Störungen ein selbstständiges Leben im häuslichen Umfeld zu ermöglichen. Zudem dient diese Option auch der Unterstützung der Angehörigen. Nicht zuletzt kann die pHKP dazu beitragen, dass Plätze in stationären Einrichtungen für diejenigen Patient*innen vorgehalten werden können, bei denen eine ambulante Behandlung nicht möglich ist.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die konsensbasierte Empfehlung basiert auf versorgungspraktischen Überlegungen und Teilhabeaspekten. Auf eine systematische Recherche wurde verzichtet, da sich internationale Modelle wie Home Treatment nicht auf pHKP übertragen lassen, da sie nicht nur eine rein pflegerische, sondern auch ärztlich-therapeutische Komponenten enthalten.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Psychiatrische Häusliche Krankenpflege (pHKP) ist ein gemeindeorientiertes Versorgungsangebot. Sie soll dazu beitragen, dass Menschen mit psychischen Störungen ein würdiges, eigenständiges Leben in ihrem gewohnten Lebenszusammenhang führen können. Durch die Pflege vor Ort soll das Umfeld beteiligt und die soziale Integration gewährleistet werden. Im Kontext des "Home Treatment"-Konzeptes, das Behandlung auch von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen im häuslichen Milieu ermöglicht, ist die pHKP ein wesentlicher Bestandteil.

pHKP soll dazu beitragen, Klinikaufenthalte, die von den Betroffenen und dem sozialen Umfeld häufig als stigmatisierend empfunden werden, zu vermeiden oder zu verkürzen. Außerdem soll mit den flexiblen, aufsuchenden Angeboten die Akzeptanz und Inanspruchnahme ärztlicher und psychotherapeutischer Leistungen verbessert und Behandlungsabbrüchen vorgebeugt werden. pHKP dient der Stärkung des Selbsthilfepotenzials und der Kompetenzerweiterung der Patient*innen im Umgang mit ihrer Erkrankung. Außerdem soll pHKP die Patient*innen darin unterstützen, Krisen rechtzeitig zu erkennen und zu bewältigen sowie krankheitsbedingte Beeinträchtigungen von Aktivität und Teilhabe zu kompensieren.

Bei der Indikationsstellung gilt es auch die Situation und Präferenzen der Angehörigen zu berücksichtigen, da sie häufig eine alleinige Betreuung der Betroffenen nicht leisten können oder möchten.

Da die entsprechenden Richtlinien keine Umsetzungsbestimmungen enthalten und diese von jedem potenziellen Leistungserbringer einzeln ausgehandelt werden müssen, besteht bis heute keine flächendeckende Versorgung mit pHKP in Deutschland. Ein weiterer Grund dafür sind die hohen Anforderungen der Krankenkassen an die Leistungserbringer, die den Aufbau psychiatrischer Pflegedienste erschweren.

 Informationen Weiterführende Informationen: Verordnung von Psychiatrischer Häuslicher Krankenpflege

Psychiatrische Häusliche Krankenpflege (pHKP) ist als ambulante Versorgungsleistung in den Richtlinien zur Verordnung von Häuslicher Krankenpflege geregelt. Bei unipolaren Depressionen ist eine Verordnung bei schweren akuten bzw. rezidivierenden Episoden möglich und/oder wenn Funktionsstörungen und Beeinträchtigungen von Aktivität/Teilhabe in einem Maß vorliegen, dass das Leben im Alltag nicht mehr selbständig bewältigt oder koordiniert werden kann. Das Ausmaß der Funktionsstörungen wird mittels GAF-Skala ("Global Assessment of Functioning Scale") erhoben; eine Verordnung kann ab einem GAF-Wert ≤ 50 erfolgen.

Die Verordnung von pHKP für einen Zeitraum von bis zu vier Monaten bedarf grundsätzlich keiner weiteren Begründung; in Ausnahmefällen kann auch eine längere pHKP bewilligt werden. Die Verordnung darf durch Fachärzt*innen für Nervenheilkunde, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Fachärz*tinnen in psychiatrischen Institutsambulanzen nach § 118 SGB V, durch Vertragspsychotherapeut*innen sowie durch Hausärzt*innen sowie Fachärzt*innen mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie erfolgen.

 Hinweis Hinweis: Weiterführende Materialien zur Verordnung

9.8 Arbeitsunfähigkeit

Empfehlung

Empfehlungsgrad

9-10 | neu 2022

Vor der Entscheidung über das Ausstellen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgrund depressiver Störungen sollen mögliche Vor- und Nachteile mit den Patient*innen erörtert werden.

Starke Empfehlung

9-11 | neu 2022

Bei Ausstellen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgrund depressiver Störungen sollen den Patient*innen immer auch angemessene therapeutische Interventionen angeboten werden.

Starke Empfehlung

9-12 | neu 2022

Die wiederholte Verlängerung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung soll mit dem Angebot einer intensivierten Behandlung (siehe Kapitel 7 Maßnahmen bei Nichtansprechen und Therapieresistenz und Kapitel 13 Medizinische Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe) verbunden sein.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die konsensbasierten Empfehlungen zielen auf das von der Leitliniengruppe wahrgenommene Versorgungsproblem einer teilweise zu frühen und zu reflexhaften Krankschreibung bei depressiven Störungen im hausärztlichen Bereich. In der Praxis sind Symptomatik und Beeinträchtigungen der Patient*innen häufig nicht so stark ausgeprägt, dass eine eindeutige Arbeitsunfähigkeit (AU) vorliegt. In diesen Fällen muss eine individuelle Entscheidung getroffen werden, die psychosoziale und arbeitsplatzbezogene Faktoren einbezieht. Das Ausstellen einer AU-bescheinigung kann zwar ein sinnvolles Angebot zur Entlastung darstellen, kann aber auch – insbesondere bei längerfristigen Krankschreibungen – zur Verschlimmerung und Chronifizierung depressiver Störungen beitragen. Daher empfiehlt die Leitliniengruppe, den Patient*innen zumindest niedrigintensive Interventionen wie z. B. Psychoedukation, Bibliotherapie, aktivierende Begleitung sowie unterstützende Maßnahmen wie Sport anzubieten. Eine wiederholte AU ohne Versuch, den Behandlungserfolg zu verbessern, erscheint unethisch. Außerdem wird die Rückkehr zur Arbeit mit zunehmender Dauer der AU immer unwahrscheinlicher.

Die Empfehlungen beziehen sich ausdrücklich nicht auf Patient*innen, die wegen einer ausgeprägten Symptomatik bzw. der Schwere der Beeinträchtigungen gemäß ICF klar arbeitsunfähig sind. Bei ihnen erfolgt die Krankschreibung weitgehend unabhängig von psychosozialen oder arbeitsplatzbezogenen Faktoren.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die konsensbasierten Empfehlungen basieren auf klinischen Erwägungen sowie Kenntnissen zu Risikofaktoren für Verschlimmerung und Chronifizierung depressiver Störungen, unterstützt durch selektiv eingebrachte Literatur.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In der systematischen Recherche zu niedrigschwelligen Interventionen wurde keine Evidenz für Krankschreibungen im Sinne eines "watchful waiting" identifiziert.

In einer selektiv eingebrachten prospektiven Studie aus dem deutschen Versorgungskontext zeigte sich bezüglich der depressiven Symptomatik nach 8 Wochen kein Unterschied zwischen AU und Nicht-AU; bezüglich der Remissionsraten ergab sich ein numerischer Vorteil für die Nicht-AU. Prädiktive Faktoren, die für oder gegen eine AU sprechen, konnten nicht identifiziert werden 31930, auch nicht in ebenfalls selektiv eingebrachten qualitativen Studien zum Umgang von Hausärzt*innen mit Krankschreibungen 31929, 31928.

 Überlegungen Klinische Erwägungen

Besonders in der hausärztlichen Praxis sind Symptomatik und Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit depressiven Störungen häufig nicht so stark ausgeprägt, dass eine eindeutige Arbeitsunfähigkeit vorliegt. In manchen Fällen kann eine kurze "Auszeit" durchaus sinnvoll sein, allerdings triggert die Abwesenheit vom Arbeitsplatz auch Risikofaktoren, die mit einer Verschlimmerung und Chronifizierung depressiver Störungen verbunden sind, z. B. mangelnde Struktur des Alltags, Deaktivierung und Verlust von sozialen Kontakten, fehlende Ablenkung und Fehlen positiver Bestätigung durch Arbeit. In Tabelle 39 sind konsensbasiert exemplarisch Kriterien aufgeführt, die im Zweifelsfall für bzw. gegen eine Krankschreibung von Patient*innen mit depressiver Symptomatik sprechen könnten. Die Vor- und Nachteile müssen für jeden Fall sorgfältig individuell abgewogen werden, was eine psychosoziale und berufliche Anamnese (Status, arbeitsplatzbezogene Kontextfaktoren) voraussetzt.

Die Leitliniengruppe betont, dass eine Krankschreibung nie als "Monotherapie", sondern immer eingebettet in ein therapeutisches Konzept erfolgen und somit mindestens niedrigintensive Interventionen wie supportive Gespräche oder aktivierende Begleitung umfassen soll (siehe Kapitel 5.1.1 Niedrigintensive Interventionen). Deutet sich an, dass die AU länger als 6 Wochen andauert, empfiehlt die Leitliniengruppe eine Abstimmung zwischen Hausärzt*innen und Psychiater*innen bzw. Psychotherapeut*innen (siehe Kapitel 14.2 Ambulante Versorgungskoordination und Überweisungsindikationen mit Tabelle 44) sowie eine rechtzeitige Beratung und ggf. Einleitungen von Maßnahmen zum beruflichen Wiedereinstieg (z. B. als stufenweise Wiedereingliederung; siehe Kapitel 13.3 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe an Bildung).

Eine wiederholte AU deutet zwar indirekt darauf hin, dass die Behandlung nicht effektiv ist; dennoch gibt es aus der Erfahrung der Leitliniengruppe in der Versorgungsrealität immer wieder Patient*innen, die sogar mehrere Jahre unter nicht wirksamer Initialbehandlung oder ganz ohne Behandlung bleiben und immer wieder eine AU erhalten. Diese Praxis steht im Widersprich zu den Empfehlungen zur Wirkungsprüfung (siehe Kapitel 2.8 Verlaufsdiagnostik, Monitoring, 4.3.3 Monitoring bei Anwendung Internet- und mobilbasierter Interventionen, 4.4.7 Monitoring bei Behandlung mit Antidepressiva und 4.5.7 Monitoring bei psychotherapeutischer Behandlung). Außerdem wird eine Rückkehr zur Arbeit mit zunehmender Dauer der AU immer unwahrscheinlicher (siehe Kapitel 13.3 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe an Bildung). Dabei sind Eingliederungshilfen sozialrechtlich bereits nach 6 Monaten AU zugänglich.

Die Leitliniengruppe befürwortet die Einführung der Möglichkeit einer Teil-AU analog zum Hamburger Modell, da dies aus ihrer Sicht ein sinnvolles Instrument zur stufenweisen Wiedereingliederung nach einer Vollzeit-AU darstellen würde.

 Tabelle Tabelle 39: Exemplarische Kriterien für oder gegen Krankschreibungen bei unipolaren Depressionen  

Tabelle 39: Exemplarische Kriterien für oder gegen Krankschreibungen bei unipolaren Depressionen

 

abzuwägende Faktoren

depressive Symptomatik*

  • Schweregrad der Symptomatik
  • Ausprägung somatischer Symptome
  • Krankheitslast
  • Vorhandensein psychotischer Symptome oder komorbider psychischer Störungen (z. B. Angststörung, PTBS)
  • Einfluss des sozialen Kontextes auf die Symptomatik

psychosoziale Faktoren

  • Alltagsbelastung als möglicher Hinderungsgrund, Interventionsangebote wahrzunehmen
  • mögliche Deaktivierung
  • möglicher Verlust des Tagesrhythmus
  • mögliche Einschränkung sozialer Kontakte, Vereinsamung

arbeitsplatzbezogene Faktoren

  • Ausmaß der Einschränkung der Arbeitsfähigkeit
  • möglicher Verlust von Befriedigung und positiver Bestätigung durch Arbeit
  • mögliche Unterstützung von Vermeidungsverhalten bei Problemen am Arbeitsplatz (Mobbing, Überarbeitung, Unterforderung)
  • drohender Arbeitsplatzverlust infolge (wiederkehrender) AU
  • drohender Arbeitsplatzverlust infolge der depressiven Störung

*Bei eindeutig arbeitsunfähigen Patient*innen mit ausgeprägter Symptomatik bzw. schwerer funktioneller Beeinträchtigung erfolgt die Feststellung der AU weitgehend unabhängig von psychosozialen oder arbeitsplatzbezogenen Faktoren.

 Patientenblatt Patientenmaterialien
  • Patientenblatt "Depression – Ist eine Krankschreibung für mich sinnvoll?" (siehe Patientenblätter)

9.9 Künstlerische Therapien

Die Leitliniengruppe verzichtet auf die Formulierung einer Empfehlung. Ausführliche Informationen zu Künstlerischen Therapien bietet die S3-Leitlinie "Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen" 31878.

 Definition Definition

Die Fachbereiche der Künstlerischen Therapien umfassen Kunst-, Musik-, Tanz-, Theatertherapie und andere. Allen Disziplinen gemeinsam ist der Einsatz künstlerischer Medien in Diagnostik und Therapie. Diese Herangehensweise eröffnet Zugangsmöglichkeiten zu Gefühlen und Konflikten der Patient*innen und auch Patient*innen mit starken sprachlichen Einschränkungen können erreicht werden. Einige Fachrichtungen setzen auch rezeptive, eindrucksbezogene Interventionen wie das Zuhören, Betrachten und Zuschauen ein. Innerhalb der therapeutischen Beziehung sollen die Patient*innen im Umgang mit künstlerischen Techniken lernen, ihre Probleme und ihre Potentiale wahrzunehmen, eingefahrene Denk-, Gefühls- und Verhaltensstrukturen zu durchbrechen und durch neue Lösungen zu ersetzen. Künstlerische Therapien zielen auf soziale und kognitive Kompetenzen wie auch auf sensomotorische Fähigkeiten.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In der themenübergreifenden systematischen Recherche wurde ein Cochrane-Review zu Musiktherapie bei depressiven Störungen identifiziert. In kontrollierten Studien (RCT und Nicht-RCT) ergaben sich nach bis zu 3 Monaten große Effekte zugunsten der Musiktherapie gegenüber TAU für fremdbewertete depressive Symptome (SMD -0,98 (95% KI -1,69; -0,27); I2 = 83%; N = 4, n = 219; moderate Evidenzqualität) als auch für von den Patient*innen selbst bewertete depressive Symptome (SMD -0,85 (95% KI -1,37; -0,34); I2 = 49%; N = 4, n = 142; moderate Evidenzqualität) 29463. Ein weiterer Cochrane-Review untersuchte Tanztherapie bei depressiven Störungen und fand im Vergleich zu TAU oder Warteliste keine signifikanten Effekte auf die depressive Symptomatik (SMD ‐0,67 (95% KI ‐1,40; 0,05); I2 = 76%; N = 3, n = 147; sehr niedrige Evidenzqualität). Eine Subgruppenanalyse der beiden Studien mit erwachsenen Teilnehmer*innen ergab einen großen Effekt (SMD ‐7,33 (95% KI ‐9,92; ‐4,73); I2 = 0%; N = 2, n = 107; sehr niedrige Evidenzqualität) 29442.

Insgesamt hat sich die Evidenzlage zu Künstlerischen Therapien im Vergleich zur 2. Auflage der NVL zwar verbessert, doch ist die Aussagekraft der Evidenz aufgrund des hohen oder unklaren Biasrisikos, der kleinen Samples und der hohen Heterogenität sehr eingeschränkt.

 Überlegungen Versorgungspraktische Erwägungen

Eine eindeutige Indikation für Künstlerische Therapien existiert nicht. Aus klinischer Sicht eignen sie sich vor allem für Patient*innen mit wenig Zugang zu bzw. Schwierigkeiten im Umgang mit Emotionen; zudem werden sie häufig bei depressiven Patient*innen mit somatischer und psychischer Komorbidität eingesetzt.

Künstlerische Interventionen sind in Deutschland im (teil-)stationären Bereich von Akut- und Reha-Kliniken häufig integriert und können von den Patient*innen nach eigener Präferenz gewählt oder abgelehnt werden. Sie werden darüber hinaus auch im Rahmen der sozialen Teilhabe angeboten (z. B. in Tagesstätten). Aus dem ambulanten Bereich heraus sind Künstlerische Interventionen jedoch als SGB V-Leistung nicht zugänglich, da es sich nicht um anerkannte Heilverfahren/-mittel handelt. Prinzipiell ist zukünftig aber auch eine in den psychiatrisch-psychotherapeutischen Gesamtbehandlungsplan integrierte Anwendung Künstlerischer Therapien im ambulanten Setting denkbar. Eine derzeit ambulant nutzbare Form bieten "Offene Ateliers", wobei die Finanzierung dieser Angebote sehr heterogen ist.

9.10 Komplementär- und alternativmedizinische Interventionen

Es existiert eine Vielzahl von komplementär- und alternativmedizinischen Interventionen (CAM), die bei Depressionen bzw. depressiver Symptomatik eingesetzt werden. Dazu zählen ernährungsbasierte Ansätze sowie somatische bzw. mentale Ansätze. Mit Ausnahme von Johannniskraut (siehe Kapitel 5.1.3.2 Johanniskraut) und einzelnen den CAM zugeordneten achtsamkeitsbasierten Interventionen (siehe Kapitel 5.1.1 Niedrigintensive Interventionen) ist die Evidenzlage zur Effektivität von CAM bei Patient*innen mit manifesten unipolaren Depressionen schwach 30879. Aufgrund der Versorgungsrelevanz (häufige Nachfrage von Patient*innen, mediale Präsenz) wird im Folgenden die Evidenz für ernährungsbasierte Interventionen und Akupunktur dargestellt. Für den CAM zugerechnete Bewegungstherapien (Yoga, Qi Gong, Tai Chi) siehe Kapitel 9.6 Bewegungs- und Sporttherapien.

9.10.1 Ernährungsbasierte Interventionen

Empfehlung

Empfehlungsgrad

9-13 | neu 2022

Wenn kein Mangel an Mikronährstoffen vorliegt, sollen Patient*innen mit depressiven Störungen Nahrungsergänzungsmittel nicht empfohlen werden.

Starke Negativ-Empfehlung

9-14 | neu 2022

Patient*innen mit depressiven Störungen sollen dazu ermuntert werden, sich ausgewogen und gesund zu ernähren.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Für keine ernährungsbasierte Intervention mit Mikronährstoffen (Vitamine, Mineralien, Spurenelemente, Fett- und Aminosäuren u. a.) gibt es aus Sicht der Leitliniengruppe belastbare Evidenz für Patient*innen mit depressiven Störungen. Dies gilt auch für Omega-3-Fettsäuren, trotz der im Vergleich zu anderen ernährungsbasierten Interventionen breiteren Evidenzbasis. Dem unsicheren Nutzen steht als Schadenspotenzial das Risiko einer mangelnden Adhärenz bzw. Ablehnung evidenzbasierter Therapien gegenüber. Hinzu kommen die von den Patient*innen privat zu tragenden Kosten, die Gefahr von Interaktionen und eine mögliche Verstärkung eines ungesunden Lebensstils. Aus diesem Grund erscheint der Leitliniengruppe eine Negativ-Empfehlung gerechtfertigt.

Die konsensbasierte Empfehlung für eine gesunde und ausgewogene Ernährung zielt nicht nur auf die Erhaltung oder Verbesserung der allgemeinen Gesundheit, sondern auch auf die Überwindung von Antriebslosigkeit und die Aktivierung der Patient*innen, mit denen die Beschaffung gesunder Lebensmittel und die Zubereitung von Mahlzeiten verbunden ist.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Es erfolgte eine systematische Recherche nach aggregierter Evidenz.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Es wurden themenübergreifende (Meta-)Reviews, Reviews zu Einzelsubstanzen (Acetyl-L-Carnitin, Antioxidant uric acid, (chinesische) Kräuter, Kurkuma, Folsäure, L-Tryptophan, Magnesium, Probiotika, Omega-3-Fettsäuren, Safran, SAMe, Vitamin D, Zink) sowie Reviews zu besonderen Populationen (Depression als Komorbidität, peripartale Depression) identifiziert. Die qualitative Synthese erfolgte auf Basis von 2 aktuellen und qualitativ hochwertigen Meta-Reviews 30879, 30880. Für eine zusammenfassende Darstellung der Evidenz für die einzelnen Substanzen siehe Evidenztabellen im Leitlinienreport 32140. Die Evidenzqualität wurde von den Autor*innen der Meta-Reviews als sehr niedrig eingeschätzt: Methodische Mängel und das daraus resultierende hohe Biasrisiko, Inkonsistenz sowie Impräzision der Ergebnisse machen die in den Studien gezeigten Effekte unsicher; hinzu kommt eine mangelnde Übertragbarkeit (Indirektheit), da nicht (nur) Patient*innen mit diagnostizierter Depression in die Studien eingeschlossen waren.

Aufgrund der etwas abweichenden Bewertung der beiden Meta-Reviews bezüglich Omega-3-Fettsäuren wurden zusätzlich die in der systematischen Recherche identifizierten Übersichtsarbeiten 30904, 30906, 30907, 30908 sowie der in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifizierte Cochrane-Review 29430 zu dieser Fragestellung ausgewertet. Obwohl quantitativ mehr Evidenz vorliegt, ist deren Qualität aus den gleichen wie für die anderen Einzelsubstanzen aufgeführten Gründen ebenfalls als sehr niedrig einzuschätzen (siehe Evidenztabellen im Leitlinienreport 32140), so dass für Omega-3-Fettsäuren keine abweichende Empfehlung ausgesprochen wird.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Die meisten Mikronährstoffe (Vitamine, Mineralien, Spurenelemente, Fett- und Aminosäuren …) können über eine normale ausgewogene Ernährung in ausreichender Menge aufgenommen werden. Dem nicht nachgewiesenen Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln stehen als Schadenspotenzial neben den privat zu tragenden Kosten mögliche unerwünschte Wirkungen (z. B. Hepatotoxizität bei übermäßiger Einnahme von Vitamin B6) gegenüber. Vor allem aber kann die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln die Inaktivität der Patient*innen verstärken, da scheinbar keine Notwendigkeit mehr besteht, gesundes Essen zuzubereiten, sich im Freien aufzuhalten oder Sport zu treiben.

 Informationen Weiterführende Informationen: Bedeutung des Mikrobioms

Forschungsergebnisse zur Rolle der Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse deuten darauf hin, dass sich das Darmmikrobiom von Patient*innen mit depressiven Störungen von dem gesunder Kontrollpersonen unterscheidet. Es gibt auch bereits erste klinische Interventionstudien bei depressiven Störungen, z. B. mit Präbiotika, Antibiotika oder Stuhltransplantationen. Die Evidenz bezüglich der spezifischen Assoziationen und insbesondere bezüglich der Interventionen ist derzeit aus Sicht der Leitliniengruppe jedoch noch nicht ausreichend, um valide Aussagen treffen zu können.

9.10.2 Akupunktur

RationaleRationale

Insgesamt schätzt die Leitliniengruppe die Evidenz zu Akupunktur bei depressiven Störungen als wenig belastbar ein und verzichtet daher auf die Formulierung einer Empfehlung. Da der überwiegende Anteil der Studien in Asien durchgeführt wurde, ist zudem unklar, inwieweit die Ergebnisse auf Deutschland übertragen werden können. Dem unsicheren Nutzen steht als Schadenspotenzial das Risiko einer mangelnden Adhärenz bzw. Ablehnung evidenzbasierter Therapien gegenüber. Hinzu kommen die von den Patient*innen privat zu tragenden Kosten.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Das Kapitel beruht auf in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifizierter Evidenz.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In der Metaanalyse eines qualitativ hochwertigen Cochrane-Reviews zum Vergleich von Akupunktur und Scheinakupunktur ergab sich eine geringgradige Reduktion der mit HAMD erhobenen depressiven Symptomatik (SMD -1,69 (95% KI -3,33; -0,05); N = 14, n = 841), wobei der Effekt unterhalb der Relevanzschwelle von 2 Punkten auf der HAMD-Skala lag. Die Evidenzqualität wird aufgrund der hohen Heterogenität der Studien, dem hohen Verzerrungsrisiko und Hinweisen auf Publikationsbias als sehr niedrig bewertet. Die Effekte gegenüber Warteliste oder Standardtherapie waren moderat (SMD -0,66 (95% KI -1,06; -0,25); N = 5, n = 488; niedrige Evidenzqualität); zum Vergleich mit medikamentöser oder Psychotherapie konnten aufgrund der schwachen Evidenz keine Aussagen getroffen werden. Die meisten Studien berichteten keine Daten zur Sicherheit 29464.

NVL Unipolare Depression, Version 3.2, 2022

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  • Langfassung

    NVL Unipolare Depression, Version 3.2, 2022

  • Kurzfassung

    NVL Unipolare Depression, Version 3.2, 2022

Das Archiv enthält abgelaufene, zurückgezogene Dokumente zur Nationalen Versorgungsleitlinie Unipolare Depression.

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zuletzt verändert: 04.07.2023 | 17:27 Uhr