NVL Unipolare Depression (2022)

7 Maßnahmen bei Nichtansprechen und Therapieresistenz

 Definition Definition

Bei Nichtansprechen kommen verschiedenste Strategien infrage, abhängig von der Art der Vorbehandlung (siehe Abbildung 13 und Abbildung 14). Wenn die erste Strategie bei Nichtansprechen ebenfalls nicht effektiv ist, kommen weitere in den Algorithmen aufgeführte Optionen infrage. Ab der zweiten oder spätestens dritten Therapiestufe existiert jedoch keine spezifische Evidenz mehr, da in den Studien Patient*innen mit einer ganz unterschiedlichen Art und Anzahl von Vorbehandlungen eingeschlossen wurden. Vor jedem Strategiewechsel ist eine nochmalige Evaluation behebbarer Ursachen notwendig.

Als therapieresistent gelten allgemein Patient*innen, die auf mindestens zwei unterschiedliche, adäquat (auf-)dosierte Antidepressiva aus verschiedenen Wirkstoffklassen nicht angesprochen haben. Unklar ist, wie in der Definition der therapieresistenten Depression (TRD) das Nichtansprechen auf psychotherapeutische Interventionen zu verorten ist, insbesondere wenn sie in Kombination mit einer medikamentösen Behandlung eingesetzt wurden. In der NVL wird unter Therapieresistenz daher ein Nichtansprechen auf eine initiale Therapie sowie ≥ 1 weitere Behandlungsstrategie verstanden. In der jüngeren Literatur wird alternativ zu TRD der inklusivere Begriff "schwierig zu behandelnde Depression" (DTD) vorgeschlagen 31386. Das DTD-Konzept betont die Notwendigkeit einer langfristigen und ganzheitlichen Behandlung, die individuell auf die Patient*innen zugeschnitten ist und akzeptiert, dass sich die Behandlungsziele nach mehreren erfolglosen Behandlungsversuchen von Remission auf eine optimale Symptomkontrolle und funktionelle Verbesserungen verlagern können (siehe auch Kapitel 3.2 Behandlungsziele und klinische Endpunkte).

Das Kapitel fokussiert auf die medikamentösen, psychotherapeutischen und neurostimulatorischen Therapieoptionen. Die Empfehlungen für additive psychosoziale Therapien und unterstützende Maßnahmen gelten parallel (siehe Kapitel 9 Psychosoziale Therapien und unterstützende Maßnahmen).

7.1 Vorgehen bei Nichtansprechen einer medikamentösen Therapie

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-1 | neu 2022

Bei Nichtansprechen einer medikamentösen Behandlung unipolarer Depressionen soll gemäß Algorithmus (Abbildung 13) vorgegangen werden.

Starke Empfehlung

Abbildung - weißAbbildung 13: Vorgehen bei Nichtansprechen einer medikamentösen Therapie

Der Algorithmus ist aktiv: Sie können den Verweisen folgen und per Klick auf die entsprechende Stelle direkt in die Leitlinie "springen".

1 wenn aufgrund prioritär zu behandelnder Komorbidität Absetzen nicht möglich, dann ggf. Wechsel des Antidepressivums auf nicht interagierende Substanzklasse

2 Kombination von SSRI, SNRI oder TZA einerseits mit Mianserin, Mirtazapin oder Trazodon andererseits

3 max. 1x Wechsel auf Antidepressivum mit anderem Wirkmechanismus innerhalb der gleich depressiven Episode

4 Bei wiederholtem Nichtansprechen, d. h. bei Nichtansprechen auf eine initiale Monotherapie sowie mindestens eine weitere Behandlungsstrategie, kommen erneut die sechs als erste Behandlungsstrategie aufgeführten Optionen (jedoch nicht: 2x Wechsel des Antidepressivums) sowie drei weitere Optionen infrage.

5 Die Anzahl der Therapielinien vor Infragekommen dieser Option kann individuell sehr verschieden sein. Bei leitliniengerechter Behandlung können, müssen zuvor aber nicht alle anderen Strategien bei Nichtansprechen ausgeschöpft werden, inklusive der Augmentation mit Lithium und Antipsychotika.


Starke Empfehlung  "soll": starke Empfehlung  Abgeschwächte Empfehlung "sollte": abgeschwächte Empfehlung Offene Empfehlung "kann": offene Empfehlung 
 Gemeinsame Entscheidungsfindung Gemeinsame Entscheidungsfindung

 Patientenblatt Patientenmaterialien
  • Patientenblatt "Antidepressiva – Was tun, wenn ein Antidepressivum nicht wirkt?" (siehe Patientenblätter).

7.1.1 Evaluation der Ursachen bei Nichtansprechen von Antidepressiva

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-2 | modifiziert 2022

Sprechen Patient*innen nach 4 Wochen nicht auf eine Antidepressiva-Monotherapie an, sollen zunächst Ursachen für diesen Verlauf evaluiert werden. Zu diesen Ursachen gehören insbesondere

  • die Fehldiagnose einer depressiven Störung,
  • eine nicht ausreichende Mitarbeit der Patient*innen,
  • eine nicht angemessene Dosis und ein zu niedriger Serumspiegel (TDM),
  • somatische und psychische Komorbidität sowie eine depressiogene Komedikation.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Um eine potenziell wirksame Behandlung nicht grundlos abzubrechen und unnötige, mit erhöhten Nebenwirkungen und Kosten verbundene Therapieintensivierungen zu vermeiden, ist vor einer Änderung der Therapiestrategie die Prüfung möglicher behebbarer Ursachen des Nichtansprechens und damit der Ausschluss einer Pseudotherapieresistenz notwendig. Der Zeitpunkt für die Wirkungsprüfung leitet sich aus der Wirklatenz von Antidepressiva ab; aufgrund eines bisweilen verzögerten Ansprechens erscheinen bei älteren Patient*innen 6 Wochen angemessen.

Zu möglichen Ursachen für Nicht-Adhärenz siehe ausführlich Kapitel 3.5 Mitarbeit der Patient*innen. Zur Abgrenzung somatischer Ursachen als Ursache der Therapieresistenz siehe Kapitel 2.4.4 Organische affektive Störungen sowie 11 Komorbidität.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die konsensbasierte Empfehlung beruht auf guter klinischer Praxis, empirischen Kenntnissen sowie ethischen Aspekten; die Zeitangabe basiert auf pharmakokinetischen Kenntnissen.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Das Nichtansprechen einer Therapie mit Antidepressiva geht häufig auf Ursachen zurück, die sich korrigieren lassen. Aus der Erfahrung der Leitliniengruppe ist dies neben einer mangelnden Adhärenz der Patient*innen vor allem eine inadäquat durchgeführte Behandlung, z. B. aufgrund einer Fehldiagnose oder nicht diagnostizierter Komorbidität sowie nicht beachteter Interaktionen. Differentialdiagnostische Maßnahmen, eine gründliche Anamnese mit Abfrage von Adhärenz und Komedikation sowie ggf. eine Kontrolle der Serumspiegel (siehe unten) gehören zur guten klinischen Praxis, um die Ursachen von Nichtansprechen zu evaluieren. Darüber hinaus können im stationären Bereich übliche Fallbesprechungen auch im ambulanten Setting hilfreich sein, z. B. im Rahmen von Qualitätszirkeln. Bei Nichtansprechen einer hausärztlich verordneten medikamentösen Behandlung ist auch eine rechtzeitige eine Überweisung zur spezialfachärztlichen Versorgung sinnvoll (siehe Kapitel 14 Versorgungskoordination, Tabelle 44).

7.1.1.1 Serumspiegelkontrollen bei Nichtansprechen (Therapeutisches Medikamentenmonitoring)

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-3 | modifiziert 2022

Wenn als Ursachen für ein Nichtansprechen einer Antidepressiva-Behandlung Komorbidität weitgehend ausgeschlossen werden kann und die Patient*innen eine regelmäßige Einnahme berichten, sollte bei Antidepressiva, für die das Monitoring der Konzentrationen im Serum gut etabliert ist (siehe Anhang 3), der Serumspiegel kontrolliert werden.

Abgeschwächte Empfehlung

7-4 | neu 2022

Wenn der Serumspiegel außerhalb des therapeutischen Bereichs liegt, sollen Maßnahmen ergriffen werden, um dies zu korrigieren, z. B.

  • erneute Adhärenzprüfung und -förderung;
  • Prüfung und ggf. Absetzen interagierender Substanzen (zu niedrige Spiegel, z. B. aufgrund von Rauchen, Gingko, Johanniskraut; zu hohe Spiegel, z. B. aufgrund der Ernährung mit Grapefruit);
  • Dosiserhöhung bei zu niedrigem Spiegel aufgrund von unveränderbaren Interaktionen oder genetischer Prädisposition (sog. "Ultra-rapid Metabolizer");
  • Dosisreduktion bei zu hohem Spiegel aufgrund von unveränderbaren Interaktionen oder genetischer Prädisposition (sog. "Poor Metabolizer").

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Bei Nichtansprechen auf eine medikamentöse Behandlung stellt das Therapeutische Medikamentenmonitoring (TDM) aus Sicht der Leitliniengruppe eine wertvolle Option dar, um inadäquate Plasmaspiegel als ursächlich für ein Nichtansprechen identifizieren zu können. Damit kann es dazu beitragen, die Wirksamkeit von Behandlungen zu steigern und unnötige Therapiewechsel zu vermeiden. Liegen die Plasmaspiegel außerhalb des therapeutischen Bereichs, schließt sich die Evaluation möglicher Gründe dafür an, z. B. mangelnde Adhärenz, Interaktionen oder genetische Prädisposition. Daraus können dann individuelle Maßnahmen abgeleitet werden, um die Effektivität der medikamentösen Therapie zu verbessern. Aufgrund der fraglichen Umsetzbarkeit in der ambulanten Versorgungspraxis spricht die Leitliniengruppe eine abgeschwächte Empfehlung aus.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung zum Therapeutischen Medikamentenmonitoring (TDM) basiert auf einer evidenzbasierten Leitlinie 30505; die konsensbasierte Empfehlung zu daraus resultierenden Maßnahmen basiert auf guter klinischer Praxis und pharmakokinetischen Kenntnissen.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Bei Nichtansprechen einer antidepressiven Medikation ist das Monitoring der Konzentrationen von Antidepressiva im Serum inzwischen für die meisten Antidepressiva gut etabliert (30505; evidenzbasierte Empfehlungen für die einzelnen Medikamente siehe Anhang 3). Die Interpretation der Ergebnisse und die daraus folgenden Konsequenzen sind vielfältig: Maßnahmen zur Verbesserung der Mitarbeit der Patient*innen und die Vermeidung von Interaktionen mit Komedikation oder Lebensmitteln kommen ebenso infrage wie die Reduktion oder Erhöhung der Dosis.

Das Nichtansprechen einer Behandlung mit Antidepressiva kann nicht ausschließlich auf eine zu niedrige, sondern auch auf eine zu hohe Dosierung zurückgehen. Nebenwirkungen wie Unruhe, Schlafstörungen, Sedierung oder Appetitlosigkeit täuschen dann eine depressive Symptomatik vor (Pseudotherapieresistenz). In diesem Fall kann eine Dosisreduktion zum empfohlenen Plasmaspiegel zu einem Ansprechen führen.

Auch eine Dosierung über die empfohlene Dosis hinaus kann ggf. notwendig sein, um einen therapeutisch wirksamen Serumspiegel zu erreichen. Dies ist sowohl aufgrund biologischer Ursachen denkbar (Ultraschnell-Metabolisierer), als auch wenn aufgrund von Komorbidität interagierende Medikamente nicht vermieden werden können.

Für eine Genotypisierung (pharmakogenetische Testung) spricht die Leitliniengruppe keine explizite Empfehlung aus (Evidenz und Begründung siehe Kapitel 4.4.3 Auswahl des Antidepressivums). Sie kommt jedoch ggf. infrage, wenn der Serumspiegel außerhalb des therapeutischen Bereich liegt und nicht-genetische Ursachen evaluiert wurden und unwahrscheinlich sind.

Die Leitliniengruppe diskutierte die Empfehlung vor dem Hintergrund, wie oft sich tatsächlich Konsequenzen aus der Serumspiegelbestimmung ergeben und inwieweit für die Behandelnden TDM umsetzbar ist. Aus der Versorgungspraxis sind keine Studien bekannt, wie häufig TDM durchgeführt wird und welche Konsequenzen daraus gezogen werden.

 Informationen Weiterführende Informationen: Praktische Hinweise zur Durchführung des TDM

Wenn in der Praxis selbst keine Blutentnahmen möglich sind, kann dafür eine Überweisung erfolgen. TDM gehört zum Leistungsumfang der GKV und kann von ambulant niedergelassenen Ärzt*innen für alle Medikamente unter Berücksichtigung der medizinischen Notwendigkeit und des Wirtschaftlichkeitsgebotes veranlasst werden. Allerdings wird es nach Erfahrung der Leitliniengruppe in der Versorgungspraxis insbesondere im hausärztlichen Bereich nur zurückhaltend genutzt, nicht zuletzt wegen der Budgetbelastung. Problematisch ist zudem der Zugang zu Laboren, die TDM mit klinisch-pharmakologischer Befundung anbieten. Diese ist aber notwendig, um sinnvolle Konsequenzen aus dem TDM ziehen zu können. Die Leitliniengruppe formuliert als Versorgungsproblem, dass die meisten Labore lediglich Messwerte, aber keine Interpretation der Ergebnisse liefern.

Erfahrungsgemäß treten in der klinischen Praxis häufig Fehler bei der Durchführung der Serumspiegelbestimmung auf. In Tabelle 37 sind daher einige Aspekte zusammengestellt, die es zu zu beachten gilt.

 Tabelle Tabelle 37: Hinweise zur praktischen Durchführung des Therapeutischen Medikamentenmonitorings (TDM)

Tabelle 37: Hinweise zur praktischen Durchführung des Therapeutischen Medikamentenmonitorings (TDM)

  • Die Blutentnahme darf erst nach Abschluss der Aufdosierungsphase im Steady-State erfolgen, d. h. bei den meisten Antidepressiva 4–5 Tage nach Einnahme einer konstanten Dosierung).
  • Die Blutentnahme erfolgt in der Regel zum Zeitpunkt der tiefsten Medikamentenkonzentration im Blut (Talspiegel) nach ca. fünf Halbwertszeiten im Steady-State), d. h. in der Regel vor Einnahme der Morgendosis.
  • Bei nur abends eingenommenen Medikamenten ist im ambulanten Bereich eine Messung direkt vor der Einnahme nicht machbar. Aus pragmatischen Gründen kann eine morgendliche Messung erfolgen, jedoch min. 12 h nach der letzten Einnahme.
  • Die Indikation für die Serumspiegelbestimmung sollte im Auftrag an das Labor mit angegeben werden.
  • TDM ist für alle Psychopharmaka zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung berechnungsfähig. Im EBM sind dazu quantitative immunologische, chromatographische und massenspektrometrische Verfahren enthalten.
 Patientenblatt Patientenmaterialien
  • Patientenblatt "Antidepressiva – Hilft ein genetischer Test, das richtige Mittel zu finden?" (siehe Patientenblätter)

7.1.2 Kombination mit Psychotherapie

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-5 | neu 2022

Bei Nichtansprechen einer Therapie mit Antidepressiva soll den Patient*innen zusätzlich eine Psychotherapie angeboten werden.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die Leitliniengruppe beurteilt die Evidenzqualität für die Kombinationsbehandlung bei Nichtansprechen vor dem Hintergrund methodischer Limitationen einerseits und der Ergebnisse der Metaanalysen zur Effektivität andererseits als moderat. Sie sieht die Kombination mit Psychotherapie bei Nichtansprechen als gleichwertig zu anderen Strategien bei Nichtansprechen einer Erstlinientherapie mit Antidepressiva. Auch in späteren Therapielinien ist sie eine Option, wobei dafür keine direkte Evidenz vorliegt.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlungen beruht auf der systematischen Recherche zur 2. Auflage und wurden um systematische Übersichtsarbeiten ergänzt, die in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifiziert bzw. selektiv eingebracht wurden.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In der 2. Auflage wurden als Empfehlungsbegründung systematische Übersichtsarbeiten 10337, 31180 zitiert, deren Aussagekraft aufgrund der schmalen Evidenzbasis und anderer methodischer Einschränkungen jedoch limitiert war.

Ein in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifizierter qualitativ hochwertiger Cochrane-Review verglich eine zusätzliche Psychotherapie mit einer allein weitergeführten medikamentösen Therapie nach nicht adäquatem Ansprechen. In der Metaanalyse zeigte sich nach 6 Monaten ein kleiner bis moderater Effekt auf die depressive Symptomatik (SMD -0,40 (95% KI -0,65; -0,14); N = 6, n = 635; moderate Evidenzqualität), der auch in der Analyse der einzelnen Messverfahren (BDI, PHQ-9, HAMD) bestätigt wurde. Auch die Remissionsraten wurden signifikant verbessert (RR 0,85 (95% KI 0,58; 1,24); N = 6, n = 698; moderate Evidenzqualität), während es bezüglich der Abbruchraten keine Unterschiede gab. Langzeitdaten für die KVT deuten an, dass die positiven Effekte nach 12 Monaten (RR -3,40 (95% KI -7,21; 0,40); N = 2, n = 475; niedrige Evidenzqualität) und nach 46 Monaten (RR -1,90 (95% KI -3,22; -0,58); N = 1, n = 248; niedrige Evidenzqualität) persistieren 29450.

Die in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifizierten qualitativ hochwertigen Metaanalyse von NICE fand für die Augmentation mit KVT klinisch relevante und statistisch signifikante Effekte auf Remissionsraten (RR 1,68 (95% KI 1,02; 2,78); N = 4, n = 869; sehr niedrige Evidenzqualität) und auf die Symptomatik (SMD -0,52 (95% KI -0,83; -0,2); N = 4, n = 869; sehr niedrige Evidenzqualität) im Vergleich zu einer alleinigen Fortführung der medikamentösen Behandlung. Die Ergebnisse zu anderen psychotherapeutischen Interventionen waren bei schmaler Evidenzbasis uneindeutig 29705.

In einer weiteren in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifizierten Metaanalyse (N = 7, n = 482) ergab sich ein Vorteil bezüglich der Symptomschwere für die Kombination gegenüber einer medikamentösen Monotherapie sowohl direkt nach Ende einer psychodynamischen Psychotherapie (10–26 Wochen; d = 0,26 SE 0,10; kleiner Effekt), als auch im weiteren Verlauf (6–12 Monate, d = 0,50 SE 0,10; moderater Effekt) 31124. In einer selektiv eingebrachten Übersichtsarbeit erwies sich eine Kombination bei schweren Depressionen zwar als nicht besser als Psychotherapie allein (Response RR 1,35 (95% KI 0,85; 2,17); I2 = 65 %; N = 2), aber besser als eine medikamentöse Monotherapie (RR 1,45 (95% KI 1,14; 1,82); I2 = 35%; N = 6;). Dies könnte aus Sicht der Autor*innen auf die höhere Akzeptanz (definiert als Nicht-Abbruch; RR 1,29 (95% KI 1,13; 1,47); I2 = 0%; N = 41) und daraus folgend bessere Adhärenz zurückzuführen sein. Andere Endpunkte wurden nicht nach Schweregrad analysiert 31099. Die in diese beiden Reviews eingeschlossenen Studien waren bezüglich der PICO-Kriterien sehr heterogen, hatten meist ein erhöhtes Verzerrungsrisiko (Nicht-Verblindung der Outcome-Erhebung), basierten auf nur wenigen Studien mit schwerer Symptomatik und umfassten gemischte Populationen (nicht nur Non-Responder), so dass die Übertragbarkeit auf das Vorgehen bei Nichtansprechen auf eine medikamentöse Therapie limitiert ist.

 Überlegungen Klinische Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Bei der Entscheidung über eine Kombination von medikamentöser Behandlung und Psychotherapie handelt es sich aus der Erfahrung der Leitliniengruppe um eine typische Situation, da die Patient*innen häufig hausärztlich mit Antidepressiva anbehandelt werden. Aus klinischer Sicht erscheint die Wahl dieser Strategie besonders sinnvoll, wenn dem Nichtansprechen offensichtlich psychosoziale Faktoren zugrunde liegen. Erfahrungsgemäß profitieren die meisten Patient*innen in dieser Situation von einer Kurzzeit-Psychotherapie.

 Kapitel Wechsel zur Psychotherapie ohne Fortführung des Antidepressivums

Bei Nichtansprechen einer Therapie mit Antidepressiva kommt prinzipiell auch ein Wechsel zur Psychotherapie infrage. Die Leitliniengruppe formuliert für dieses Szenario keine Empfehlung, da dies nur relevant ist, wenn die Patient*innen einen weiteren medikamentösen Ansatz ausdrücklich ablehnen und dann andere Behandlungsalternativen fehlen.

7.1.3 Augmentation mit Antipsychotika, Lithium oder anderen Substanzen

7.1.3.1 Augmentation mit Antipsychotika

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-6 | modifiziert 2022

Patient*innen, die nicht auf eine Monotherapie mit Antidepressiva ansprechen, sollte eine Augmentation von Antidepressiva mit den Antipsychotika Quetiapin (zugelassen), Aripiprazol, Olanzapin oder Risperidon (jeweils off-label) in verhältnismäßig niedrigen Dosierungen angeboten werden, um depressive Symptome zu reduzieren.

Abgeschwächte Empfehlung

RationaleRationale

Die Augmentation mit Nicht-Antidepressiva zielt auf eine durch Interaktion hervorgerufene Wirkungsverstärkung. Die Evidenzqualität für synergistische Effekte bei der Augmentation mit Antipsychotika ist für die einzelnen Wirkstoffe sehr heterogen. Dennoch bewertet die Leitliniengruppe die Augmentation mit Antipsychotika als eine Strategie der 1. Wahl bei Nichtansprechen einer Monotherapie mit Antidepressiva, gleichwertig zu den anderen im Algorithmus genannten Optionen. Auch in späteren Therapielinien ist sie eine Option, wobei dafür keine direkte Evidenz vorliegt. Da eine Augmentation mit einem erhöhten Risiko von Nebenwirkungen verbunden ist, spricht die Leitliniengruppe eine abgeschwächte Empfehlung aus.

Die Empfehlung bildet bewusst die Evidenzlage und nicht den Zulassungsstatus ab. Quetiapin ist zwar zugelassen, bezüglich der Nebenwirkungen aber ggf. problematischer als andere Antipsychotika. Die Formulierung "niedrige Dosierung" bezieht sich auf den Vergleich mit der Dosierung bei Schizophrenie.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung beruht auf der systematischen Recherche zur 2. Auflage und wurde um systematische Übersichtsarbeiten ergänzt, die in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifiziert bzw. selektiv eingebracht wurden.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In der 2. Auflage waren ältere Metaanalysen als empfehlungsbegründend aufgeführt worden 31181, 31182, 31183. Im Review von Spielmans et al. wurden für 4 Antipsychotika signifikante Effekte auf die Remissionsraten beobachtet (Aripiprazole: OR 2,01 (95% KI 1,48; 2,73); N = 3; Olanzapin/Fluoxitin: OR 1,42 (95% KI 1,01; 2,0); N = 5; Quetiapin: OR 1,79 (95% KI 1,33; 2,42); N = 3; Risperidon: OR 2,37 (95% KI 1,31; 4,30); N = 2), ebenso kleine bis mittlere Effekte auf die depressive Symptomatik (Hedges’ g = 0,26–0,48) 31181.

In der themenübergreifenden systematischen Recherche wurde ein aktueller qualitativ hochwertiger Cochrane-Review identifiziert, der für die Augmentation mit Antipsychotika eine Verbesserung der depressiven Symptomatik nach 8–12 Wochen ergab (z. B. Olanzapin MD MADRS -12,4 (95% KI -22,44; -2,36); N = 1, n = 20; niedrige Evidenzqualität; Quetiapin SMD -0,32 (95% KI -0,46; -0,18); I2 = 6%; N = 3, n = 977; hohe Evidenzqualität). Allerdings waren die Abbruchraten höher als unter Fortführung der Antidepressiva-Monotherapie (10–39% vs. 12–23%) 31184.

 Informationen Weiterführende Informationen: Off-label-Verordnungen in der ambulanten Praxis

Bei Verordnung von Off-label-Medikamenten sieht die Leitliniengruppe ein Schnittstellenproblem beim Übergang aus der stationären in die ambulante Versorgung: Während die Verordnung im Krankenhaus unproblematisch ist, kann die Fortführung bei den niedergelassenen Behandelnden erfahrungsgemäß zu Regressen führen, selbst wenn eine ausdrückliche Befürwortung durch die Klinikärzt*innen nachgewiesen wird. Diese Praxis ist im Sinne einer evidenzbasierten Wirkstoffwahl kontraproduktiv und damit letztlich auch nicht gesundheitsökonomisch.

7.1.3.2 Augmentation mit Lithium

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-7 | modifiziert 2022

Patient*innen, die nicht auf eine Monotherapie mit Antidepressiva ansprechen, sollte ein Versuch zur Wirkungsverstärkung (Augmentation) mit Lithium angeboten werden.

Abgeschwächte Empfehlung

7-8 | bestätigt 2022

Wenn bei Patient*innen 2–4 Wochen nach Erreichen wirksamer Lithiumspiegel keine Wirkung festzustellen ist, sollte Lithium wieder abgesetzt werden.

Abgeschwächte Empfehlung

7-9 | modifiziert 2022

Patient*innen, die gut auf ein Antidepressivum mit Lithium-Augmentation ansprechen, sollte eine Erhaltungstherapie für mindestens 6 Monate empfohlen werden

Abgeschwächte Empfehlung

RationaleRationale

Die Evidenzqualität für die Augmentation mit Lithium ist aus Sicht der Leitliniengruppe niedrig. Limitationen bestehen im hohen Verzerrungsrisiko, in Impräzision und Indirektheit; es mangelt an qualitativ hochwertigen, verblindeten RCT, insbesondere mit neueren Antidepressiva. Dennoch erscheint ein Therapieversuch mit Lithium-Augmentation als mögliche Strategie der 1. Wahl bei Nichtansprechen einer Antidepressiva-Monotherapie, gleichwertig zu anderen Strategien, da Lithium einen völlig anderen Wirkansatz als Antidepressiva und damit eine gute Chance bietet, ein Ansprechen zu erreichen. Auch in späteren Therapielinien ist Lithium eine Option, wobei dafür keine direkte Evidenz vorliegt. Aufgrund der niedrigen Evidenzqualität und der Gefahr von Nebenwirkungen spricht die Leitliniengruppe eine abgeschwächte Empfehlung aus.

Zum Einsatz von Lithium bei suizidalen Patient*innen siehe Kapitel 12 Management bei Suizidalität und anderen Notfallsituationen; zum Absetzen von Lithium siehe Kapitel 4.4.8 Absetzen von Antidepressiva.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung zur Monotherapie beruht auf der systematischen Recherche zur 2. Auflage und wurde um systematische Übersichtsarbeiten ergänzt, die in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifiziert bzw. selektiv eingebracht wurden. Die Empfehlungen zum Absetzen und zur Erhaltungstherapie sind konsensbasiert.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In der zweiten Auflage wurden mehrere systematische Übersichtarbeiten als empfehlungsbegründend aufgeführt 15810, 4414, 10260. Im systematischen Review von Bschor et al. errechnete eine Metaanalyse ein verbessertes Ansprechen gegenüber Placebo (45% vs. 18%; N = 9, n = 234); allerdings ist die Evidenzqualität und damit die Aussagekraft aufgrund methodischer Limitationen des Reviews wie auch der zugrundeliegenden Primärstudien sehr niedrig. Ein jüngerer, selektiv eingebrachter Review zur Augmentation mit Lithium berechnete auf nahezu identischer Datenbasis ebenfalls eine verbesserte Ansprechrate (OR 2,89 (95% KI 1,65; 5,05); I2 = 0%; N = 9, n = 237). Für die Augmentation auf Basis von Nicht-TZA liegt dabei kaum Evidenz vor (N = 3, n = 74) 31185. In einer in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifizierten qualitativ hochwertigen Metaanalyse von NICE, die strenge Einschlusskriterien anlegte, fand sich kein signifikanter Effekt von Lithium als Augmentations-Strategie auf die Rückfallrate (RR 0,67 (95% KI 0,34; 1,31); N = 3, n = 164, sehr niedrige Evidenzqualität) 29705.

 Überlegungen Klinische und versorgungspraktische Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Lithium hat ein hohes Wechsel- und Nebenwirkungspotenzial und es besteht die Gefahr von Intoxikationen 31114. Andererseits ist die Dosierung gut über die Plasmaspiegel steuerbar (siehe Tabelle 30 und Anhang 3). Hindernisse bestehen in einer unterschiedlichen Aufgeschlossenheit der Verordnenden gegenüber Lithium.

Nach Erfahrung der Leitliniengruppe zeigt sich in der Praxis häufig schnell und deutlich, ob die Patient*innen auf die Lithium-Behandlung ansprechen. Bleibt die Wirkung aus, ist eine Strategieänderung indiziert. Die empfohlene 6-monatige Dauer einer Lithium-Erhaltungstherapie leitet sich aus der einzigen dazu vorliegenden Studie ab 4391, 31575.

Als Versorgungsproblem formuliert die Leitliniengruppe, dass Lithium im hausärztlichen Bereich kaum verordnet wird; auch ambulante Psychiater seien eher zurückhaltend, wobei es hier regional Unterschiede gäbe. Sie empfiehlt daher, bei einer Scheu des Behandelnden vor der Anwendung von Lithium den Patient*innen diese Option dennoch nicht vorzuenthalten, sondern sie zu mit Lithium erfahrenen Spezialist*innen zu überweisen.

7.1.3.3 Augmentation mit weiteren Substanzen

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-10 | modifiziert 2022

Bei Patient*innen, die nicht auf eine Monotherapie mit Antidepressiva ansprechen, sollen stimmungsstabilisierende Antiepileptika, Dopaminagonisten oder Psychostimulanzien nicht zur Augmentation eingesetzt werden.

Starke Negativ-Empfehlung

RationaleRationale

In der Versorgungsrealität wird nach Erfahrung der Leitliniengruppe mitunter noch an Augmentationsstrategien festgehalten, die auf pharmakodynamischen Erwägungen basieren, für die aber kein belastbarer Effektivitätsbeleg aus klinischen Studien für unipolare Depressionen existiert. Da evidenzbasierte Alternativen existieren, spricht die Leitliniengruppe eine ausdrückliche Negativ-Empfehlung aus. Allerdings sind die in der Empfehlung genannten Substanzen ggf. bei komorbiden Erkrankungen indiziert, die teilweise auch ursächlich für ein Nichtansprechen von Antidepressiva sein können (z. B. ADHS, Morbus Parkinson, Restless-legs-Syndrom); der Einsatz erfolgt dann allerdings nicht im Sinne einer Augmentation, sondern als erkrankungsspezifische Komedikation.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die konsensbasierte Empfehlung beruht auf klinischer Erfahrung, unterstützt durch selektiv eingebrachte Literatur. Auf eine systematische Recherche wurde aufgrund der vergleichsweise geringen Relevanz der Fragestellung verzichtet.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Für Psychostimulantien (z. B. Lisdexamfetamin, Methylphenidat, Dexamphetamin) und Dopamin-Agonisten (z. B. Bromocriptin, Cabergolin, Dihydroergocryptin, Lisurid, Pergolid, Pramipexol, Ropinirol, Rotigotin) existiert keine bzw. keine belastbare Evidenz 31187. Stimmungsstabilisierende Antiepileptika wie Carbamazepin, Lamotrigin oder Valproat werden bei bipolarer Depression eingesetzt; für unipolare Depressionen liegt keine Evidenz vor, die eine Augmentationsstrategie stützen würde.

Weitere Medikamente wurden als Augmentation bei Nichtansprechen bzw. Therapieresistenz in Studien getestet, haben jedoch keinen Eingang in die klinische Praxis gefunden 31188, 31189. Zu Esketamin siehe Kapitel 7.3.2 Esketamin intranasal.

Schilddrüsenhormone

Die Schilddrüsenhormone Thyroxin (L-T4) und Trijodthyronin (T3) wirken vorrangig unspezifisch stoffwechselaktivierend und haben potenziell einen augmentativen Effekt auf eine antidepressive Pharmakotherapie, sodass sie in Studien zur Depressionsbehandlung auch bei schilddrüsengesunden Patient*innen untersucht wurden.

Mit T3 konnte teilweise ein schnelleres Ansprechen auf Antidepressiva erreicht werden als mit einer Antidepressiva-Monotherapie, wobei vor allem Frauen profitierten. In einigen, aber nicht in allen Augmentationsstudien zeigte sich im Vergleich zu den Kontrollgruppen eine höhere Responserate mit Dosierungen zwischen 15 und 50 µg T3 pro Tag. Die Ergebnisse der wenigen RCT waren somit bezüglich der Effektivität widersprüchlich (Übersicht in 31191). Für L-T4 liegt keine Evidenz aus kontrollierten Studien vor.

Die Dosisfindung ist für Schilddrüsenhormone ist schwierig. Aufgrund von Gegenregulationsmechanismen haben niedrige Dosierungen keinen Nettoeffekt, während höhere Dosierungen vor allem bei T3 rasch zu hypothyreosetypischen Nebenwirkungen führen, die in hohen Abbruchraten resultieren 31193. Bei der Anwendung, insbesondere von supraphysiologischen Dosierungen, sind zahlreiche Kontraindikationen, Vorsichts- und Kontrollmaßnahmen zu beachten.

Die Leitliniengruppe spricht wegen der sehr niedrigen Evidenzqualität und der klinisch schwierigen Umsetzung keine Empfehlung für eine Anwendung von Schilddrüsenhormonen in der ambulanten Behandlung depressiver Störungen aus. Außerhalb experimenteller Studien kommt aus Sicht der Leitliniengruppe ein Therapieversuch bei schwerwiegender Therapieresistenz infrage, allerdings nur in spezialisierten und in dieser Behandlung erfahrenen Zentren. Schilddrüsenhormone sind für diese Indikation nicht zuglassen (off-label).

7.1.4 Kombination mit einem zweiten Antidepressivum

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-11 | modifiziert 2022

Patient*innen, die nicht auf eine Monotherapie mit Antidepressiva ansprechen, sollte eine Kombination von SSRI, SNRI oder TZA einerseits mit Mianserin oder Mirtazapin oder Trazodon andererseits angeboten werden.

Abgeschwächte Empfehlung

RationaleRationale

Die Leitliniengruppe bewertet die Evidenzqualität als heterogen für die verschiedenen Antidepressiva. Sie schätzt die in der Empfehlung genannten Kombinationen als gleichwertig zur Augmentation mit Antipsychotika als Strategie der 1. Wahl bei Nichtansprechen einer Antidepressiva-Monotherapie ein. Auch in späteren Therapielinien ist dies eine Option, wobei dafür keine direkte Evidenz vorliegt. Da Kombinationen mit einem erhöhten Risiko von Nebenwirkungen verbunden sind, spricht die Leitliniengruppe eine abgeschwächte Empfehlung aus.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung beruht auf der systematischen Recherche zur 2. Auflage und wurde um systematische Übersichtsarbeiten ergänzt, die in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifiziert bzw. selektiv eingebracht wurden.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In der 2. Auflage waren zwei Metaanalysen als wesentliche Empfehlungsbegründung aufgeführt 31194, 31195, deren Ergebnisse durch neuere Literatur im Wesentlichen bestätigt werden: In der themenübergreifenden systematischen Recherche wurde ein qualitativ hochwertiger Cochrane-Review identifiziert, der für eine Kombination von Fluoxetin mit Mianserin nach 6 Wochen eine signifikante Verbesserung gegenüber einer fortgeführten Fluoxetin-Monotherapie bezüglich der Remissionsraten (RR 2,38 (95% KI 1,09; 5,16); N = 1, n = 70); niedrige Evidenzqualität) und der depressiven Symptomatik (MD HAMD -4,8 (95% KI -8,18; -1,42); N = 1, n = 70; moderate Evidenzqualität) zeigte. Die Abbruchrate war in der Kontrollgruppe numerisch, aber nichtsignifikant höher (38% vs. 19%). Für eine Kombination von SSRI/SNRI mit Mirtazapin ergaben sich nach 12 Wochen keine signifikanten Unterschiede zur fortgeführten Monotherapie (MD BDI-II -1,7 (95% KI -4,03; 0,63); Remission RR 1,21 (95% KI 0,88; 1,65); jeweils N = 1, n = 431; hohe Evidenzqualität) 31184.

Ein selektiv eingebrachter, qualitativ guter systematischer Review fand für die Kombination zweier Antidepressiva im Vergleich zur Monotherapie eine signifikante Verbesserung der depressiven Symptomatik (SMD 0,29 (95% KI 0,16; 0,42); I2 = 63%; N = 38, n = 4 342); Abbrüche aufgrund unerwünschter Ereignisse waren unter Kombinationstherapie nicht statistisch signifikant häufiger (OR 0,90 (95% KI 0,53; 1,53); N = 17, n = 2 857). Die Ergebnisse erwiesen sich bezüglich der Effektstärke als robust für andere Outcomes und Sensitivitätsanalysen, z. B. bei Beschränkung auf RCT oder auf Studien mit niedrigem Verzerrungsrisiko. In einer Post-hoc-Analyse verbesserte die Kombination von SSRI, SNRI oder TZA mit Mianserin, Mirtazapin oder Trazodon die depressive Symptomatik stärker als andere Kombinationen (SMD 0,54 (95% KI 0,29; 0,79); I2 = 47%; N = 10, n = 910 vs. SMD 0,04 (95% KI -0,27; 0,35); I2 = 63%; N = 8, n = 733) 31186.

7.1.5 Wechsel des Antidepressivums

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-12 | modifiziert 2022

Patient*innen, die nicht auf eine Monotherapie mit Antidepressiva ansprechen, kann ein einmaliger Wechsel auf ein Antidepressivum mit anderem Wirkmechanismus angeboten werden.

Offene Empfehlung

7-13 | bestätigt 2022

Beim Wechsel zwischen Antidepressiva sollten wegen möglicher Wechselwirkungen eine schrittweise Aufdosierung des neuen und ein ausschleichendes Absetzen des alten Antidepressivums erfolgen.

Abgeschwächte Empfehlung

RationaleRationale

Im Falle des Nichtansprechens einer Antidepressiva-Monotherapie sprechen pharmakologische Überlegungen für die Sinnhaftigkeit der Switch-Strategie, insbesondere beim Wechsel der Wirkstoffgruppe, weil andere Wirkmechanismen und Metabolisierungswege genutzt werden. Die klinische Evidenz spricht allerdings gegen die Wirksamkeit der Switch-Strategie, wenn auch die Evidenzqualität sehr niedrig ist, insbesondere für spezifische Wirkstoffe. Daher beurteilt die Leitliniengruppe diese Option als den anderen Strategien bei Nichtansprechen nachgeordnet. Ein einmaliger Wechsel erscheint vertretbar, nicht jedoch ein sukzessives Ausprobieren mehrerer Antidepressiva. Aufgrund der Unsicherheit formuliert die Leitliniengruppe eine offene Empfehlung.

Für das Ausschleichen vor einem Wechsel des Antidepressivums spricht die Leitliniengruppe konsensbasiert eine abgeschwächte Empfehlung aus, weil nicht bei allen Antidepressiva ein Ausschleichen notwendig ist und weil bei Unverträglichkeit ein sofortiges Absetzen notwendig sein kann (siehe Kapitel 4.4.8 Absetzen).

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung zum Wechsel des Antidepressivums beruht auf der systematischen Recherche zur 2. Auflage, die um systematische Übersichtsarbeiten aus themenübergreifenden systematischen Recherche bzw. selektiv eingebrachte Arbeiten ergänzt wurde. Die Empfehlung zum klinischen Vorgehen bei Wechsel des Antidepressivums ist konsensbasiert und beruht auf pharmakokinetischen Kenntnissen und guter klinischer Praxis.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In der 2. Auflage wurde das Statement zur Switch-Strategie mit Primärstudien und einer Metaanalyse 31196 begründet. In der themenübergreifenden systematischen Recherche wurde ein Cochrane-Review identifiziert, der die Evidenz für einen Wechsel auf Mianserin als weiterhin inkonklusiv beurteilt (HAMD nach 6 Wochen: MD –1,8 (95% KI -5,23; 1,63); Abbruchrate RR 2,08 (95% KI 0,94; 4,59); N = 1, n = 71; niedrige Evidenzqualität) 31184. Auch NICE beurteilt die Evidenzqualität für den Switch zu einem Antidepressivum einer anderen Klasse als niedrig bis sehr niedrig und empfiehlt diese Option lediglich für den Fall von Unverträglichkeit 29705.

Eine selektiv eingebrachte Übersichtsarbeit fand 8 RCT zu Switch-Strategien bei Nichtansprechen einer Antidepressiva-Monotherapie. Gegenüber der Fortführung zeigte sich kein Vorteil für den Wechsel bezüglich der depressiven Symptomatik (SMD 0,03 (95% KI -0,26; 0,32); I2 = 85,3%; N = 8), auch nicht bei Ausschluss der Studien, in denen eine Dosiseskalation der Monotherapie erlaubt war (SMD -0,17 (95% KI -0,59; 0,26); I2 = 77,8%; N = 4). Signifikante Unterschiede bei den Abbruchraten wurden nicht beobachtet. Die Studien waren bezüglich der untersuchten Vergleiche sehr heterogen 31224.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Die Leitliniengruppe formuliert als Versorgungsproblem, dass in der Praxis mitunter mehrere Antidepressiva nacheinander ausprobiert würden und schätzt dies vor dem Hintergrund evidenzbasierter Alternativen als unethisch ein.

Aus pharmakologischer Sicht erscheint ein Wechsel nur dann sinnvoll, wenn sich auch der Wirkmechanismus des neuen Präparates von dem des alten unterscheidet. Klinisch überlegenswert ist beispielsweise ein Switch von SSRI auf Antidepressiva mit sedierenden Wirkungen bei Schlafstörungen.

 Informationen Weiterführende Informationen: Wechsel auf Tranylcypromin

Beim Wechsel von einem Antidepressivum auf ein anderes sind die in den jeweiligen Fachinformationen aufgeführten Kontraindikationen sowie Empfehlungen zu Therapiepausen zu beachten. Dies gilt insbesondere bei der Umstellung auf den MAO-Hemmer Tranylcypromin. Ein überlappender Wechsel ist hier zu vermeiden, da die Kombination mit bestimmten Antidepressiva kontraindiziert ist, aufgrund der Gefahr eines serotonergen Syndroms. Daher soll vorsichtshalber ein Abstand von ca. 5-facher Dauer der Halbwertszeit des Wirkstoffes eingehalten werden. Speziell bei Umstellung von Fluoxetin auf Tranylcypromin ist damit eine Therapiepause von 5–6 Wochen nötig.

7.1.6 Dosiserhöhung

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-14 | modifiziert 2022

Bei Patient*innen, die mit Serumspiegeln im therapeutischen Bereich nicht auf eine Monotherapie mit SSRI ansprechen, soll die Dosis des SSRI nicht erhöht werden.

Starke Negativ-Empfehlung

7-15 | modifiziert 2022

Bei Patient*innen, die auf eine Monotherapie mit MAO-Inhibitoren, SNRI oder TZA trotz mit Standarddosierung (MAO-Inhibitoren) bzw. Serumspiegeln im therapeutischen Bereich (SNRI, TZA) nicht ansprechen, sollte die Dosis nicht erhöht werden.

Abgeschwächte Negativ-Empfehlung

RationaleRationale

Eine Dosiserhöhung von Antidepressiva, für die eine Dosis-Wirkungs-Beziehung besteht, erscheint aus rein pharmakologischer Sicht sinnvoll. Für SSRI konnte eine Dosis-Wirkungs-Beziehung jedoch nicht bestätigt werden (moderate Evidenzqualität), so dass die Leitliniengruppe von dieser Strategie abrät. Für eine Dosiserhöhung bei Nicht-SSRI ist die Evidenzqualität sehr niedrig. Den fehlenden Belegen für mögliche Vorteile steht eine zu erwartende höhere Rate unerwünschter Arzneimittelwirkungen gegenüber, so dass die Leitliniengruppe ebenfalls davon abrät, die Dosis von Nicht-SSRI bei Nichtansprechen über die Standarddosierung (MAO-Inhibitoren) bzw. über den empfohlenen Serumspiegel (SNRI, TZA) hinaus zu erhöhen, wobei der Empfehlungsgrad aufgrund der schmalen Evidenzbasis für diese Substanzen abgeschwächt wurde.

Mit einer Dosiserhöhung als Strategie bei Nichtansprechen einer Monotherapie mit Antidepressiva ist ausdrücklich nicht die Aufdosierung zur Standarddosis bzw. therapeutisch wirksamen Dosierung bei zu niedrigen Serumspiegeln gemeint. In diesen Fällen greifen die im Kapitel 7.1.1 Evaluation der Ursachen aufgeführten Empfehlungen.

Zu empfohlenen Serumspiegeln bzw. Standarddosierungen siehe Anhang 3.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlungen beruhen auf der systematischen Recherche zur 2. Auflage und wurden um selektiv eingebrachte systematische Übersichtsarbeiten ergänzt.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

SSRI: Eine in der 2. Auflage zitierte systematische Übersichtsarbeit kam zu dem Ergebnis, dass für SSRI keine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung besteht und eine Dosiserhöhung aufgrund einer erhöhten Rate an Nebenwirkungen eventuell sogar nachteilig ist 10799. Neuere, selektiv eingebrachte Reviews bestätigen dieses Ergebnis 31197, 31198, 31200.

SNRI: Eine selektiv eingebrachte systematische Übersichtsarbeit von RCT verglich unterschiedliche Dosierungen von SNRI. Die Metanalyse (N = 29) fand keine klinisch oder statistisch signifikanten Unterschiede zwischen niedrigen, mittleren und hohen Dosierungen (mittel versus hoch: SMD -0,067 (95% KI -0,150; 0,015)), auch nicht in der Analyse der einzelnen Substanzen. Die Ergebnisse sprechen nicht für eine Dosis-Wirkungs-Beziehung von SNRI innerhalb des therapeutisch angewandten Dosisbereichs 31199.

MAO-Inhibitoren: Präklinische Daten sprechen dafür, dass Tranylcypromin in höheren Dosierungen (40-60 mg/Tag) die Wiederaufnahme von Noradrenalin hemmt und bei noch höheren Dosierungen (100 mg/Tag) eine direkte Amphetamin-ähnliche Aktivität (Dopaminfreisetzung) hat 31201. Allerdings gibt es bis dato keine kontrollierten Dosisfindungsstudien für die therapieresistente Depression und nur indirekte Evidenz 10799.

TZA: Für TZA wurde keine eindeutige Evidenz zu Dosiserhöhungen über den empfohlenen Dosisbereich hinaus identifiziert 31198, 32625. Die therapeutische Breite ist geringer als bei anderen Antidepressiva, sodass ein erhöhtes Risiko schwerwiegender Intoxikationen besteht.

7.1.7 Repetitive transkranielle Magnetstimulation

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-16 | neu 2022

Bei Patient*innen, die nicht auf eine Monotherapie mit Antidepressiva ansprechen, kann eine Augmentation mit repetitiver transkranieller Magnetstimulation (rTMS) angeboten werden.

Offene Empfehlung

RationaleRationale

Die Evidenzqualität für transkranielle Magnetstimulation (rTMS) nach einmaligem Nichtansprechen einer medikamentösen Behandlung ist sehr niedrig, weil in die Studien zumeist Mischpopulationen eingeschlossen waren, in denen der Anteil der Patient*innen mit nur einer Vorbehandlung niedrig war. Zudem existieren nur Subgruppenanalysen zur Frage der Effektivität in Abhängigkeit von der Anzahl der medikamentösen Vorbehandlungen. Deren Ergebnisse weisen jedoch konsistent darauf hin, dass die Wirksamkeit von rTMS mit der Anzahl der Therapielinien sinkt. Für rTMS sprechen zudem der schnelle Wirkeintritt sowie die im Vergleich zu anderen Strategien größeren zu erwartenden Effekte, wenn auch unklar ist, wie nachhaltig diese sind. rTMS ist allerdings aufwändiger durchzuführen als die meisten anderen Optionen bei Nichtansprechen und wird in Deutschland bisher nur an wenigen Kliniken angeboten, wobei sich dies zukünftig aufgrund einer 2021 veränderten Vergütung ändern könnte. Insgesamt erscheint der Leitliniengruppe eine offene Empfehlung für rTMS in diesem Setting gerechtfertigt.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Es erfolgte eine systematische Recherche nach aggregierter Evidenz.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In die meisten Studien zu rTMS waren Patient*innen eingeschlossen, die eine sehr unterschiedliche Anzahl an Vortherapien erhalten hatten (siehe Kapitel 7.3.5.2 Repetitive transkranielle Magnetstimulation). Zwei Übersichtsarbeiten untersuchten rTMS bei weniger als 2 Vorbehandlungen:

Ein qualitativ guter Review fand 2 RCT, die rTMS in Kombination mit einem Antidepressivum als erste Behandlung bei neu diagnostizierten depressiven Störungen jüngerer chinesischer Patient*innen (18–45 Jahre) untersuchten. Nach 1 Woche ergaben sich moderate Effekte auf die depressive Symptomatik (SMD -0,54 (95% KI -0,93; -0,14); I2 = 0%; N = 2, n = 103), die sich im Zeitverlauf vergrößerten (nach 2 Wochen SMD -0,84; nach 4 Wochen -1,23). Die Evidenzqualität und damit die Aussagekraft ist aufgrund der kleinen Samples und der fraglichen Übertragbarkeit auf alle Altersgruppen und den deutschen Kontext sehr niedrig 31361.

Eine weitere Übersichtsarbeit ist zwar methodisch schwach, ermöglicht aber auf Basis einer systematischen Recherche einen Überblick über RCT zu rTMS bei Patient*innen mit 1 oder keiner Vorbehandlung. Insgesamt war die Effektivität von rTMS in Subgruppen- oder Metaregressionsanalysen der Primärstudien invers assoziiert mit der Anzahl der Vorbehandlungen 31387.

Die Abbruchraten von rTMS unterscheiden sich nicht signifikant von denen der Kontrollgruppen 31062. Typische Nebenwirkungen sind Unwohlsein oder Kopfschmerz (20% vs. 10%) sowie Benommenheit (2,8% vs. 1,8%) 31061.

7.2 Vorgehen bei Nichtansprechen einer Psychotherapie

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-17 | neu 2022

Bei Nichtansprechen einer psychotherapeutischen Behandlung unipolarer Depressionen soll gemäß Algorithmus (Abbildung 14) vorgegangen werden.

Starke Empfehlung

Abbildung - weißAbbildung 14: Vorgehen bei Nichtansprechen einer Psychotherapie

Der Algorithmus ist aktiv: Sie können den Verweisen folgen und per Klick auf die entsprechende Stelle direkt in die Leitlinie "springen".

1 wenn alternative Medikation möglich und/oder Komorbidität nicht prioritär


Starke Empfehlung  "soll": starke Empfehlung  Abgeschwächte Empfehlung "sollte": abgeschwächte Empfehlung Offene Empfehlung "kann": offene Empfehlung 
 Gemeinsame Entscheidungsfindung Gemeinsame Entscheidungsfindung

 

7.2.1 Evaluation der Ursachen bei Nichtansprechen einer Psychotherapie

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-18 | neu 2022

Erleben Patient*innen keine ausreichende initiale Entlastung und sprechen sie auch nach einem angemessenen Zeitraum nicht auf eine Psychotherapie an, sollen zunächst Ursachen für diesen Verlauf evaluiert werden. Zu diesen Ursachen gehören patientenbezogene Faktoren, Diagnose- und therapiebezogene Faktoren und negative Nebenwirkungen von Psychotherapie (Tabelle 38).

Starke Empfehlung

7-19 | neu 2022

Wenn sich eine Ursache für das Nichtansprechen einer Psychotherapie nicht im direkten Kontakt zwischen Patient*in und Psychotherapeut*in finden lässt, sollten zur weiteren Klärung Intervision oder Supervision in Anspruch genommen werden.

Abgeschwächte Empfehlung

 Tabelle Tabelle 38: Mögliche Ursachen für Nichtansprechen einer Psychotherapie

Tabelle 38: Mögliche Ursachen für Nichtansprechen einer Psychotherapie

patientenbezogene Faktoren

diagnose- oder therapiebezogene Faktoren

negative Nebenwirkungen

  • Persönlichkeitsfaktoren (perfektionistisch, feindselig-dominant, selbstkritisch)
  • prämorbide Belastungen und Lebensgeschichte (sexueller Missbrauch, Traumatisierung, Verluste)
  • belastende Lebensbedingungen (häusliche Gewalt, Armut, Wohnungsprobleme, Arbeitslosigkeit)
  • kultureller Hintergrund
  • mangelnde psychosoziale Kompetenzen
  • Chronifizierung, Resignation
  • geringe Motivation, mangelnde Adhärenz
  • zu hohe Erwartungshaltung
  • Schweregrad, Komorbidität
  • ggf. sekundärer Krankheitsgewinn
  • Fehldiagnose einer depressiven Störung
  • somatische und psychische Komorbidität
  • depressiogene Komedikation
  • inadäquate Fallkonzeption und Auswahl von Therapieelementen
  • inadäquates Vorgehen bei der Durchführung der Therapie
  • fehlende Passung von Psychotherapeuten- und Patientenpersönlichkeit
  • weitere therapeutenbezogene Faktoren
  • (vorübergehende) verstärkte Symptomatik
  • verstärkte Wahrnehmung negativer Gedanken und dysfunktionalen Verhaltens durch Problemorientierung
  • Demoralisierung durch Wahrnehmung von Problemkomplexität
  • verstärkte interpersonelle Konflikte mit dem sozialen Umfeld (Partnerschaft, Familie, Freunde, Arbeitsplatz)
  • Stigmatisierung, Selbststigmatisierung
  • Störung der Kooperation des Arbeitsbündnisses durch ungünstige Erwartungen
RationaleRationale

Um eine potenziell wirksame Behandlung nicht grundlos abzubrechen und unnötige, mit erhöhten Kosten verbundene Therapieintensivierungen zu vermeiden, ist vor einer Änderung der Therapiestrategie die Prüfung möglicher Ursachen des Nichtansprechens notwendig. Bei einer psychotherapeutischen Behandlung können Intervision und Supervision dazu beitragen, diese Ursachen zu identifizieren sowie mögliche Lösungsansätze zu erarbeiten. Aufgrund der fehlenden Evidenz sowie der mangelnden Umsetzbarkeit insbesondere von Supervision in der ambulanten Praxis spricht die Leitliniengruppe konsensbasiert eine abgeschwächte Empfehlung aus.

Zu möglichen Ursachen von Nicht-Adhärenz siehe auch Kapitel 3.5. Mitarbeit der Patient*innen. Zur Abgrenzung somatischer Ursachen als Ursache der Therapieresistenz siehe Kapitel 2.4.4 Organische affektive Störungen sowie 11 Komorbidität. Für Empfehlungen zur stationären Einweisung siehe Kapitel 14.3.1 Einweisungskriterien für eine stationäre Versorgung.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die konsensbasierten Empfehlungen beruhen auf guter klinischer Praxis, empirischen Kenntnissen sowie ethischen Aspekten.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Anders als bei einer medikamentösen Behandlung ist der Zeitpunkt, an dem ein Ansprechen auf eine Psychotherapie geprüft werden sollte, schwieriger festzulegen, da dies von der Art des Verfahrens wie auch von der Frequenz der Sitzungen abhängig ist. Hinzu kommt, dass die Einschätzung, welcher Zeitraum angemessen ist, seitens Psychotherapeut*innen und Patient*innen nicht zwangsläufig übereinstimmt. In Psychotherapiestudien wird häufig nach 3 Monaten eine Wirkungsprüfung durchgeführt, was aus Sicht der Leitliniengruppe den maximalen Zeitraum ohne Wirkungsüberprüfung darstellen sollte. Möglich erscheint auch eine Orientierung an der Zahl der Sitzungen, z. B. nach 10 Sitzungen. Zu beachten ist, dass es zwischenzeitlich auch zu einer krisenhaften Zuspitzung kommen kann, die jedoch nicht mit einem Nichtansprechen gleichzusetzen ist, sondern aus der verstärkten Abgrenzungskraft der Patient*innen resultieren kann.

Ursachen für ein Nichtansprechen einer Psychotherapie können sehr vielfältig sein. Im Bereich der diagnostik- oder therapiebezogenen Faktoren spielen neben einer mangelnden Passung oder einem inadäquaten Vorgehen (Therapie- und Technikfehler, unethisches Verhalten) vor allem eine nicht angemessene Auswahl von Therapieelementen eine wichtige Rolle, außerdem Fehler in der Fallkonzeption (z. B. im Rahmen einer Verhaltenstherapie die fehlende Identifizierung und Bearbeitung relevanter dysfunktionaler Kognitionen oder im Rahmen einer psychodynamischen Therapie ein zurückgenommenes Vorgehen bei Patient*innen mit struktureller Schwäche, die ein klareres und auf Regulationsfähigkeiten zentriertes Vorgehen benötigen). Hinzu kommen unerwünschte Nebenwirkungen (siehe dazu Kapitel 4.5.4 Nebenwirkungen in der Psychotherapie).

Um mögliche in der Therapie begründete Ursachen für ein Nichtansprechen zu identifizieren, kann ein "Blick von außen" hilfreich sein. Dafür bieten sich Intervision (kollegialer Austausch ohne externen geschulten Supervisor) und Supervision an; auch der kollegiale Austausch in Qualitätszirkeln ist möglich. Die empirische Evidenz für die Effekte von Supervision ist sehr gering (wenige Studien mit begrenzten Stichprobengrößen) und aufgrund methodischer Mängel (z. B. unterschiedliche Definition von Supervision, kein Kontrolldesign, nur Selbstberichte, keine patientenrelevanten Endpunkte) nicht belastbar 31576. Aus der Erfahrung der Leitliniengruppe können Inter- und Supervision jedoch dazu beitragen, dass die Psychotherapeut*innen mehr Gespür für ihre persönlichen Grenzen entwickeln und ihr Einfühlungsvermögen verbessert wird, so dass langfristig auch die Behandlungsergebnisse verbessert werden könnten.

7.2.2 Weiterleitung

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-20 | neu 2022

Wenn entweder die Passung zwischen Patient*in und Psychotherapeut*in nicht gegeben ist oder das Verfahren nicht adäquat erscheint, soll dies benannt und der*die Patient*in entsprechend weitergeleitet werden.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Wenn keine tragfähige therapeutische Beziehung zustande kommt oder wenn sich während der Behandlung zeigt, dass das angewendete psychotherapeutische Verfahren nicht passt, ist ein Therapieerfolg unwahrscheinlich und die Aufrechterhaltung der Behandlung daher unethisch. Für diese Fälle empfiehlt die Leitliniengruppe konsensbasiert eine Weiterleitung zu einer anderen Psychotherapeutin oder einem anderen Psychotherapeuten.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die konsensbasierte Empfehlung beruht auf guter klinischer Praxis und ethischen Aspekten.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Die Qualität der therapeutischen Beziehung gehört zu den wichtigsten Wirkfaktoren einer Psychotherapie (siehe Kapitel 4.5.3 Wirk- und Einflussfaktoren psychotherapeutischer Interventionen). Bei fehlender Passung von Psychotherapeuten- und Patientenpersönlichkeit ist eine Weiterbehandlung daher nicht zielführend.

Indikator für ein inadäquates Verfahren und damit für einen Wechsel könnte in der verhaltenstherapeutischen Praxis beispielsweise sein, wenn die Patient*innen eine aktive Mitarbeit bzw. Übungen/Hausaufgaben ablehnen. Bei psychodynamischen Verfahren kann eine Weiterleitung beispielsweise indiziert sein, wenn die Patient*innen große Schwierigkeiten haben, sich dem symptomtragenden Konflikthintergrund zuzuwenden, wenn eine maligne Regression zu befürchten ist oder wenn eine zusätzliche isolierte Phobie eher für eine verhaltenstherapeutische Intervention spricht.

Bei grundlegenden Änderungen des psychotherapeutischen Vorgehens wird die Motivation hinsichtlich eines veränderten Vorgehens besprochen und es erfolgt eine Aufklärung im Sinne der Befähigung ("Empowerment") zur Entscheidung und damit zur Selbstwirksamkeit. Bei einer Weiterleitung gilt es auch die Bedeutung und Folgen des Beziehungsabbruches zu berücksichtigen.

7.2.3 Intensivierung der Psychotherapie

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-21 | neu 2022

Wenn eine stabile therapeutische Arbeitsbeziehung besteht, soll bei Nichtansprechen die Möglichkeit der Intensivierung der Psychotherapie geprüft werden (höhere Frequenz).

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Für die Effekte einer Intensivierung der Psychotherapie bei Nichtansprechen existiert keine direkte Evidenz. Indirekte Evidenz spricht dafür, dass die Frequenz der Sitzungen, nicht aber deren Dauer oder die Gesamtdauer einer Psychotherapie die Wirksamkeit verstärkt. Eine engere Taktung der Sitzungen ist aus terminlichen Gründen in der Praxis zwar schwer umzusetzen. Dennoch spricht die Leitliniengruppe konsensbasiert eine starke Empfehlung für die Prüfung der Erhöhung der Sitzungsfrequenz als erste Strategie bei Nichtansprechen aus, da sie das Nutzen-Risiko-Verhältnis im Vergleich zu anderen Optionen als am günstigsten einschätzt.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die konsensbasierte Empfehlung beruht auf klinischen Erfahrungen und selektiv eingebrachter Evidenz zur Intensität von Psychotherapien.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Auch wenn die Passung zwischen Patient*in und Psychotherapeut*in gegeben ist und das gewählte Verfahren adäquat erscheint, kann es zu Nichtansprechen einer Psychotherapie kommen. Ein mögliches Vorgehen besteht dann in der Intensivierung der Behandlung. Selektiv eingebrachte Studien zum Einfluss der Intensität von Psychotherapie sprechen dafür, dass zwar die Frequenz der Sitzungen, nicht aber die Gesamtanzahl und -zeit der Sitzungen und auch nicht die Gesamtdauer der Therapie mit der Effektstärke korreliert 31388, 31389. Direkte Evidenz für eine Intensivierung der Psychotherapie nach Nichtansprechen ist nicht bekannt; die klinische Erfahrung der Leitliniengruppe spricht jedoch ebenfalls dafür, dass eine höhere Frequenz der Sitzungen in dieser Situation hilfreich sein kann. Hürden für die Umsetzung in der Versorgungsrealität bestehen in der mangelnden Verfügbarkeit ausreichender Termine seitens der Psychotherapeut*innen sowie in der Umsetzbarkeit bzw. Präferenz seitens der Patient*innen.

7.2.4 Kombination mit Antidepressiva

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-22 | neu 2022

Wenn eine stabile therapeutische Arbeitsbeziehung besteht und bei Nichtansprechen eine Intensivierung der Psychotherapie nicht hinreichend ist, sollte den Patient*innen eine Kombination mit Antidepressiva angeboten werden.

Abgeschwächte Empfehlung

RationaleRationale

Analog zur Empfehlung einer Kombination mit Psychotherapie bei Nichtansprechen einer medikamentösen Behandlung sieht die Leitliniengruppe eine Kombination mit Antidepressiva bei Nichtansprechen einer Psychotherapie als adäquate Option an. Aufgrund des höheren Potenzials an Nebenwirkungen und aufgrund des zusätzlichen Aufwandes für Behandelnde und Patient*innen (Überweisung zwecks Medikamentenverordnung) ist diese Strategie einem Versuch der Therapieintensivierung nachgeordnet. Der Empfehlungsgrad ist aufgrund der fehlenden direkten Evidenz abgeschwächt.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung beruht auf der Extrapolation von Evidenz für die Kombinationsbehandlung bei Nichtansprechen einer medikamentösen Behandlung.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlungen begründen

Die Evidenz spricht für eine erhöhte Effektivität der Kombinationsbehandlung im Vergleich zu einer Monotherapie (siehe Kapitel 7.1.2 Kombination mit Psychotherapie), allerdings bezieht sie sich nicht auf Strategien bei Nichtansprechen einer Psychotherapie, sondern bei Nichtansprechen auf Antidepressiva. Eine Randomisierung aus einer laufenden Psychotherapie heraus erscheint kaum umsetzbar, so dass hier keine direkte Evidenz zu erwarten ist. Der Leitliniengruppe erscheint eine Extrapolation jedoch praktikabel und auch aus klinischer Sicht schlüssig.

7.3 Weitere Optionen bei mehrfachem Nichtansprechen

Bei wiederholtem Nichtansprechen kommen die gleichen Strategien wie bei erstmaligem Nichtansprechen infrage, ergänzt um weitere Optionen, die im Folgenden vorgestellt werden (vgl. Abbildung 13 und Abbildung 14).

7.3.1 Unterbrechen oder Beenden der medikamentösen Therapie

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-23 | neu 2022

Wenn mehrere adäquat durchgeführte medikamentöse Behandlungsversuche nicht zu einer Response geführt haben, sollte den Patient*innen als eine Behandlungsoption ein Ausschleichen der Medikation und der Versuch einer ausschließlich nicht-pharmakologischen Weiterbehandlung angeboten werden.

Abgeschwächte Empfehlung

RationaleRationale

Aus Sicht der Leitliniengruppe werden in der ambulanten Praxis zu häufig zu lange unwirksame medikamentöse Therapien fortgeführt. Es existiert zwar keine Evidenz für die Wirksamkeit eines Absetzens oder Unterbrechens einer medikamentösen Behandlung bei mehrfachem Nichtansprechen. Klinische Erfahrungen und pharmakologische Überlegungen bezüglich möglicher Vorteile sowie die Abwägung gegen die Risiken einer fortgesetzten unwirksamen medikamentösen Therapie rechtfertigen aus Sicht der Leitliniengruppe jedoch konsensbasiert eine abgeschwächte Empfehlung.

Die Anzahl der Therapielinien vor Infragekommen dieser Option kann individuell sehr verschieden sein. Bei leitliniengerechter Behandlung können, müssen zuvor aber nicht alle anderen Strategien bei Nichtansprechen ausgeschöpft werden, inklusive der Augmentation mit Lithium und Antipsychotika (vgl. Abbildung 13).

Beim Absetzen gelten die Empfehlungen zu einer schrittweisen Dosisreduktion (siehe Kapitel 4.4.8 Absetzen von Antidepressiva).

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die konsensbasierte Empfehlung beruht auf pharmakologischen, klinischen und ethischen Überlegungen.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Der Leitliniengruppe ist weder Evidenz für das Absetzen noch für das Unterbrechen einer medikamentösen Behandlung bekannt. In der STAR*D-Studie, dem größten zur Depressionsbehandlung je durchgeführten RCT 16118, durchliefen die Teilnehmenden im Falle von anhaltendem Nichtansprechen bis zu vier medikamentöse Behandlungsstufen. Während in den ersten beiden Behandlungsstufen 37% bzw. 31% der Patient*innen remittierten, waren es in den Stufen 3 und 4 lediglich 14% bzw. 13% 31202.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Aus ethischen Gründen soll eine Behandlung, die nicht wirksam ist und für die nur eine geringe Aussicht besteht, dass sie noch eine Wirkung entfaltet, beendet oder zumindest nicht unverändert fortgeführt werden. Daher ist die Wirksamkeitsprüfung integraler Bestandteil einer leitliniengerecht durchgeführten Therapie (siehe Kapitel 4.4.6 Wirkungsprüfung bei Behandlung mit Antidepressiva). Da die Wahrscheinlichkeit eines Ansprechens sinkt, je mehr nicht erfolgreiche Therapieversuche bereits vorliegen, ist es aus Sicht der Leitliniengruppe eine klinisch bewährte Strategie, dann auch einen ‒ zumindest vorübergehenden ‒ Verzicht auf eine medikamentöse Behandlung in Betracht zu ziehen. Dafür spricht, dass der Wirkmechanismus der verfügbaren Antidepressiva überwiegend auf eine Erhöhung der intrasynaptischen Serotonin- und Noradrenalinkonzentration zielt. Wiederholtes Nichtansprechen auf Antidepressiva kann daher ein Hinweis auf ein generelles Nichtansprechen auf diese pharmakologischen Mechanismen sein. Für diese Annahme spricht auch die Evidenz für Switching-Strategien (siehe Kapitel 7.1.5 Wechsel des Antidepressivums).

Das Absetzen ("Drug Holiday") der medikamentösen Therapie bietet aus klinischer Sicht mehrere Chancen:

  • Aus der klinischen Erfahrung kann das Absetzen der Medikation selbst zu einer Verbesserung der depressiven Symptomatik führen; die Gründe sind unklar.
  • Das Absetzen ermöglicht es, die fortbestehende psychopathologische Symptomatik ohne einen pharmakologischen Einfluss neu zu evaluieren und auf dieser Grundlage eine neue Behandlungsplanung durchzuführen.
  • Das Absetzen ermöglicht die Einschätzung, zu welchem Anteil die bislang therapieresistente Symptomatik durch pseudodepressive Antidepressiva-Nebenwirkungen wie zum Beispiel Unruhe, vermehrte Ängstlichkeit oder übermäßige Sedierung bedingt wird.
  • Eine längere medikamentöse Therapie führt zu einer adaptiven Gegenregulation des Körpers. Absetzen bietet die Chance, dass sich wieder ein natürlicheres, pharmakologisch nicht beeinflusstes neurobiologisches Gleichgewicht im ZNS einstellt und dass eine medikamentöse Therapie nach einer Unterbrechung möglicherweise wieder bessere Ansprechchancen hat.

Sollte unter der konsequenten Anwendung nicht-medikamentöser Behandlungsoptionen (inkl. Psychotherapie) keine Verbesserung erreichbar sein, kann zu einem späteren Zeitpunkt (mindestens mehrere Wochen) erneut mit einer medikamentösen Therapie begonnen werden.

7.3.2 Esketamin intranasal

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-24 | neu 2022

Bei einer mittelgradigen bis schweren depressiven Episode, die auf mehrere adäquat durchgeführte Behandlungsversuche nicht angesprochen hat, kann im (teil-)stationären Setting zusätzlich zu einem Antidepressivum Esketamin in intranasaler Applikation angeboten werden.

Offene Empfehlung

RationaleRationale

Insgesamt ergab sich für Esketamin nasal eine Kurzzeit-Wirksamkeit für die Dauer der Behandlung (1 Monat), die jedoch nicht in allen Studien statistische Signifikanz erreichte. Die Evidenzqualität ist niedrig bis moderat, da zwar rein quantitativ ausreichend Daten aus qualitativ guten Studien zur Verfügung stehen, aber mit funktioneller Entblindung zu rechnen ist, die Effekte nicht konsistent sind und alle relevanten Studien direkt vom Hersteller gesponsert waren. Esketamin ergänzt aus Sicht der Leitliniengruppen erstmals seit Jahren die Möglichkeiten der medikamentösen Therapie um einen neuen Ansatz, dessen Stärke vor allem der schnelle Wirkungseintritt ist. Sie spricht eine offene Empfehlung aus, da die Evidenz nicht konsistent signifikante Effekte gegenüber Placebo zeigt.

Die Leitliniengruppe verzichtet darauf, die vor einer Anwendung für Esketamin notwendige Zahl und Art der Therapieversuche genauer zu definieren. Sie setzt eine leitliniengerechte Vorbehandlung gemäß den Empfehlungen der NVL voraus, d. h. gegebenenfalls inklusive einer Kombination von medikamentöser Behandlung und Psychotherapie sowie den verschiedenen anderen Strategien bei Nichtansprechen (vgl. Abbildung 13).

Zur Anwendung von Esketamin im Psychiatrischen Notfall siehe Kapitel 12 Management bei Suizidalität und anderen Notfallsituationen.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung beruht auf einer systematischen Recherche nach aggregierter Evidenz und Primärstudien. Da eine große Zahl von RCT nach den Suchzeiträumen der identifizierten systematischen Reviews publiziert worden war, wurde die Evidenzsynthese auf RCT-Basis vorgenommen.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Es wurden 9 RCT identifiziert, davon 6 Phase-III-Studien:

Die TRANSFORM-1-Studie verglich zweimal wöchentlich Esketamin intranasal in zwei Dosierungen mit Placebo, jeweils kombiniert mit einem neuen Antidepressivum, bei 346 Patient*innen mit mäßiger bis schwerer depressiver Symptomatik. Einschlusskriterium war ein Nichtansprechen auf mindestens 2 unterschiedliche Therapien mit Antidepressiva in adäquater Dosis und Dauer für die aktuelle depressive Episode. Vorbehandlungen mit Psychotherapie u. a. wurden nicht berücksichtigt; zudem war nicht näher definiert, ob verschiedene Antidepressiva-Wirkstoffgruppen eingesetzt werden mussten. Der primäre Endpunkt, Verbesserung des MADRS-Scores nach 28 Tagen, wurde unter der höheren Dosierung (84 mg) nicht erreicht (Differenz –3,2 (95% KI –6,88; 0,45)); aufgrund der vorgesehenen hierarchischen Testung entfiel die Prüfung der niedrigeren Dosis (56 mg) 30588. In der TRANSFORM-2-Studie mit im Wesentlichen gleichem Studiendesign (n = 227) war die Verbesserung des MADRS-Scores signifikant (Differenz -4,0 (95% KI -7,31; -0,64)), was einem kleinen Effekt entspricht 30589. Die ebenfalls weitgehend ähnlich angelegte TRANSFORM-3-Studie fokussierte auf Patient*innen ≥ 65 Jahre (n = 138). Der primäre Endpunkt MADRS wurde nicht signifikant verbessert (Differenz -3,6 (95% KI -7,20; 0,07)) 30586.

Die Studien ASPIRE-1 (n = 226) und ASPIRE-2 (n = 230) untersuchten Esketamin intranasal 84 mg zweimal wöchentlich im Vergleich zu Placebo bei stationären Patient*innen mit gegenwärtigen Suizidgedanken. Der primäre Endpunkt MADRS war nach 1 Tag signifikant verbessert (Differenz -3,8 bzw. -3,7); Suizidgedanken (CGI-SS) jedoch nicht signifikant 30631, 30636.

Die Erhaltungstherapie-Studie SUSTAIN-1 untersuchte Esketamin intranasal zur Rückfallprophylaxe bei Esketamin-Respondern versus Placebo. Nach 16 Wochen kam es bei 26,7% vs. 45,3% der Teilnehmenden mit Remission zu einem Rückfall (HR 0;49 (95% KI 0,29; 0,84)) und bei 25,8% vs. 57,6% der Teilnehmenden mit Teilansprechen (HR 0,30 (95% KI 0,16; 0,55)) 30624.

Auffällig ist ein großer Placebo-Effekt in den Studien, der nach Ansicht der Autor*innen vor allem auf die starke Erwartungshaltung im Zusammenhang mit der neuen intranasalen Applikationsform zurückzuführen ist.

Die methodische Qualität der Studien war insgesamt hoch, mit der Einschränkung eines teilweise erhöhten Verzerrungsrisikos aufgrund hoher und ungleich verteilter Abbruchraten (siehe Evidenztabellen im Leitlinienreport 32140). Zudem bestehen Unsicherheiten bezüglich der Aufrechterhaltung der Verblindung: Zwar wurde dem Placebo ein Bitterstoff hinzugefügt, um den Geschmack von Esketamin zu simulieren; jedoch ist unklar, inwiefern die Teilnehmenden über die zu erwartenden (Neben-)Wirkungen von Esketamin unterrichtet waren. Eine Verzerrung der Effekte zugunsten der Intervention ist wahrscheinlich, wenn die in die Placebo-Gruppe randomisierten Patient*innen wegen des Ausbleibens dieser Wirkungen funktionell entblindet wurden und daher keine positiven Effekte erwarten konnten (Nocebo-Effekt). Dies gilt besonders für die Erhaltungstherapie-Studie SUSTAIN-1. Alle genannten Studien waren Hersteller-gesponsert.

 Sicherheit Sicherheit

In der TRANSFORM-1-Studie kam es unter Esketamin zu mehr Nebenwirkungen als unter Placebo, z. B. Übelkeit (29,4% vs. 10,6%), Dissoziation (26,8% vs. 3,5%), Benommenheit (25,1% vs. 8,8%), Schwindel (20,8% vs. 1,8%) und Kopfschmerzen (20,3% vs. 16,8%). Sie traten kurz nach der Anwendung auf und klangen innerhalb eines Tages spontan ab 30588.

Die Leitliniengruppe diskutierte die Gefahr von Missbrauch, Abhängigkeit und Toleranzentwicklung vor dem Hintergrund des als Partydroge genutzen Ketamins ("Special K"). Im Rahmen klinischer Studien mit engmaschiger Betreuung wurde kein Missbrauch von Esketamin beobachtet. Zwar kann dies nicht auf die tägliche Praxis übertragen werden, doch sprechen auch erste Praxiserfahrungen einzelner Leitlinienmitglieder nicht für eine erhöhte Gefahr. Solange die Abgabe nur von den Apotheken direkt an die Behandelnden und die Einnahme ausschließlich unter sorgfältiger Aufsicht erfolgt, erscheinen Missbrauch, Abhängigkeit und Toleranzentwicklung eher unwahrscheinlich.

 Informationen Weiterführende Informationen: Esketamin vs. Neurostimulation

Die Verortung von Esketamin im Verhältnis zu neurostimulatorischen Verfahren ist unklar. Insbesondere für EKT und rTMS ist die Evidenzbasis zwar breiter und es gibt längere klinische Erfahrungen, die Behandlung ist jedoch mit einer Reihe von Problemen verbunden (z. B. Akzeptanz, regionale Verfügbarkeit). Bei der Wahl zwischen Esketamin und neurostimulatorischen Verfahren steht somit die partizipative Entscheidungsfindung unter Abwägung von Nutzen und Risiken und der individuellen Präferenzen im Vordergrund.

7.3.3 Ketamin i. v.

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-25 | neu 2022

Ketamin i. v. (off-label) soll nicht außerhalb eines stationären psychiatrischen Settings angewendet werden.

Starke Negativ-Empfehlung

RationaleRationale

Die Leitliniengruppe rät von der Anwendung von Ketamin i. v. im ambulanten Bereich ab, weil die Evidenzqualität niedrig ist und dem zu erwartenden kurzzeitigen Nutzen relevante Nebenwirkungen gegenüberstehen. Im stationären Setting sieht die Leitliniengruppe eine Indikation im Einzelfall bei schwersten therapieresistenten Störungen, insbesondere in Verbindung mit akuter Suizidalität (siehe Kapitel 12 Management bei Suizidalität und anderen Notfallsituationen). Die Anwendung von Ketamin i. v. zur Behandlung von depressiven Störungen ist off-label.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung beruht auf einer systematischen Recherche nach aggregierter Evidenz und Primärstudien.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Ein qualitativ hochwertiger Cochrane-Review fand für Ketamin i. v. signifikante Vorteile nach 1 Woche bezüglich der Remissionsrate (OR 7,24 (95% KI 1,70; 30,81); N = 3, n = 99; niedrige Evidenzqualität) und der depressiven Symptomatik (SMD -0,78 (95% KI -1,21; -0,36); N = 4, n = 98; niedrige Evidenzqualität). Im Vergleich zu aktivem Placebo (Midazolam) wurden keine signifikanten Effekte erzielt. Wesentliche Nebenwirkungen waren Verwirrtheit (OR 3,76 (95% KI 1,13; 12,47); I2 = 4%; N = 2, n = 76) sowie emotionale Abstumpfung (OR 23,40 (95% KI 1,12; 489,52); N = 1, n = 30) 29454. Eine Metaanalyse zu kardiovaskulären Nebenwirkungen von Ketamin i. v. (N = 6, n = 1 057) fand eine signifikant höhere Rate an erhöhtem Blutdruck (11,6% vs. 3,9%; OR 3,2 (95% KI 1,9; 5,8)) 30629. Die identifzierten RCT zeigen insgesamt eine Kurzzeitwirksamkeit von Ketamin i. v. vor allem bei Patient*innen mit schwerer Symptomatik; die Aussagekraft ist jedoch aufgrund der sehr kleinen Samples und des teils hohen Verzerrungsrisikos niedrig 30600, 30595, 30599, 30601.

 Überlegungen Versorgungspraktische Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Die Leitliniengruppe sieht die Gefahr einer Fehlversorgung aus kommerziellem Interesse (IGeL), die mit einer fehlenden Einbettung der Behandlung in ein psychiatrisches Gesamtkonzept verbunden wäre.

7.3.4 Experimentelle medikamentöse Ansätze

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-26 | neu 2022

Experimentelle medikamentöse Ansätze sollen Patient*innen mit unipolarer Depression nur im Rahmen von klinischen Studien angeboten werden.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Aufgrund der teils starken medialen Präsenz kommt es in der klinischen Praxis oft zu Nachfragen durch Patient*innen bezüglich nicht zugelassener medikamentöser Optionen (Psylocibin, Botox, Cannabinoid-Produkte wie CBD-Öl, Lachgas u. a.). Aus Sicht der Leitliniengruppe könnten einige dieser experimentellen Substanzen zukünftig eine Option für therapieresistente Patient*innen darstellen. Die Evidenzlage reicht jedoch noch nicht aus, um spezifische Empfehlungen zu formulieren. Vor dem Hintergrund, dass die Anwendung nicht nur off-label ist, sondern mitunter für den Behandelnden und die Patient*innen strafrechtliche Konsequenzen haben kann, sowie aus ethischen und Sicherheitsgründen kommt ausschließlich eine Anwendung innerhalb klinischer Studien infrage.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die konsensbasierte Empfehlung basiert auf ethischen und rechtlichen Aspekten.

 Informationen Weiterführende Informationen: Deutsches Studienregister

Aktuelle Studien können im Deutschen Register Klinischer Studien (DRKS) recherchiert werden (www.drks.de).

 Patientenblatt Patientenmaterialien
  • Patientenblatt "Depression – Sind Zauberpilze, Cannabis oder Lachgas ratsam?" (siehe Patientenblätter)

7.3.5 Neurostimulatorische Verfahren

7.3.5.1 Elektrokonvulsionstherapie

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-27 | modifiziert 2022

Elektrokonvulsionstherapie soll Patient*innen bei therapieresistenten depressiven Episoden angeboten werden, insbesondere im höheren Lebensalter oder bei psychotischer Symptomatik.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die Evidenzqualität für den Vergleich einer Elektrokonvulsionstherapie (EKT) gegen Scheinintervention ist sehr niedrig, da nur wenige Daten aus Doppelblindstudien existieren. Aufgrund der benötigten Vollnarkose sind solche Studien aus ethischen Gründen jedoch nicht durchführbar. Bessere Kenntnisse zu Kontraindikationen, Weiterentwicklungen der EKT-Protokolle sowie der Anästhesiologie haben die Sicherheit des Verfahrens erhöht. Deshalb und in Anbetracht der großen Effekte spricht die Leitliniengruppe eine starke Empfehlung aus.

Die Leitliniengruppe verzichtet darauf, die vor einer EKT notwendige Zahl und Art der Therapieversuche genauer zu definieren. Sie setzt eine leitliniengerechte Vorbehandlung gemäß den Empfehlungen der NVL voraus, d. h. gegebenenfalls inklusive einer Kombination von medikamentöser Behandlung und Psychotherapie sowie den verschiedenen anderen Strategien bei Nichtansprechen (vgl. Abbildung 13).

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Es erfolgte eine systematische Recherche nach aggregierter Evidenz.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Ältere Reviews fanden für den Vergleich von EKT gegen Scheinintervention (inklusive Anästhesie) große Effekte. Beispielsweise ergab sich in der Metaanalyse der UK ECT Review Group von 2003 eine Effektgröße bezüglich der depressiven Symptomatik von -0,91 (95% KI -1,27; -0,54); N = 6, n = 256) 10351. Eine andere Übersichtsarbeit errechnete eine fast dreimal höhere Ansprechrate gegenüber Sham-Intervention (OR 2,83 (95% KI 1,30; 6,17); N = 7, n = 245) 10350.

Die neu identifizierte Evidenz bestätigt im Wesentlichen die in der 2. Auflage zitierten Übersichtsarbeiten: Ein umfangreicher Review zu nicht-invasiven neurostimulatorischen Verfahren fand in der paarweisen Analyse für die bitemporale EKT signifikante Unterschiede vs. Sham-EKT bezüglich der Remissionsrate (OR 5,50 (95% KI 1,13; 26,82)) und der depressiven Symptomatik (SMD -0,77 (95% KI -1,24; -0,31)); allerdings wurde zu dieser Fragestellung aus methodischen Gründen nur 1 älterer RCT (31297 n = 95) eingeschlossen. Neue verblindete Primärstudien zum Vergleich mit Sham-EKT sind jedoch nicht zu erwarten, da eine Anästhesie in einer Sham-Gruppe ethisch nicht vertretbar ist. Im Vergleich zu niedrig- bzw. moderat-intensiver rechter unilateraler EKT (N = 1 bis N = 4) erwies sich die bilaterale (bitemporale) EKT in allen untersuchten Effektivitätsendpunkten als überlegen 31062.

Eine EKT erfolgt in der Praxis in der Regel als Add-on zu einer medikamentösen Behandlung. Dabei wird das bisherige Antidepressivum entweder fortgeführt oder durch einen anderen Wirkstoff ersetzt (z. B. Lithium oder Nortriptylin). Eine in der systematischen Recherche identifizierte Übersichtsarbeit fand kleine zusätzliche Effekte für die kombinierte Behandlung im Vergleich zu EKT+Medikamentenplacebo (z. B. für TZA g = 0,32 (95% KI 0,14; 0,51); I2 = 4%; N = 6), wobei die Evidenzqualität aufgrund der teils sehr kleinen Samples sehr niedrig ist 31076.

Als Prädiktoren für die Effektivität einer EKT erwiesen sich in einem weiteren Review das Alter (SMD 0,26 (95% KI 0,13; 0,38); I2 = 53,4%; N = 24) und psychotische Symptome (Remission 57,8% vs. 50,9%; OR 1,47 (95% KI 1,16; 1,85); I2 = 36,6%; N = 21), nicht aber der Schweregrad. Die Evidenzqualität ist wegen des hohen Verzerrungsrisikos (open-label Studien), der kleinen Samples und der großen PICO-Heterogenität sehr niedrig 31048. Das Alter als Prädiktor für ein Ansprechen der EKT wird auch durch eine weitere Übersichtsarbeit bestätigt 31054.

 Sicherheit Sicherheit

Die in der 2. Auflage zitierten Arbeiten berichten im Zusammenhang mit einer EKT von Kopfschmerzen, Schwindel und Muskelkater, seltener von hypomanischen Symptomen sowie Herzrhythmusstörungen, Blutdruckdysregulationen und prolongierten Anfällen 31298. Als wesentlichste Nebenwirkung der EKT gelten kognitive Einschränkungen, die als postiktale Verwirrtheitszustände sowie anterograde und retrograde Amnesien auftreten können und die sich in den meisten Fällen rasch und vollständig zurückbilden 31299. Selten, schwer objektivierbar, aber glaubhaft beklagen wenige Patient*innen persistierende retrograde Amnesien in Form von inselförmigen Erinnerungslücken im Langzeitgedächtnis, unter denen sie stark leiden 16042, 31300.

In einem in der systematischen Recherche identifizierten Review zu kognitiven Nebenwirkungen trat bei 26% der Patient*innen nach einer Woche ein subjektiv verschlechtertes Erinnerungsvermögen auf (sehr niedrige Evidenzqualität), wobei die ultrakurz-Puls EKT seltener mit dieser Nebenwirkung assoziiert war. Nach 6 Monaten bestanden die Gedächtnisprobleme nicht mehr 31060. In einer weiteren systematischen Übersichtsarbeit wurden Gedächtnisprobleme bei 19% bis 30% der älteren Patient*innen beobachtet (N = 3), außerdem kam es bei 7% bis 16% zu Kopfschmerzen oder Schläfrigkeit (N = 2) 31054.

Kognitive Effekte sind schwer zu objektivieren; die subjektive Einschätzung der Patient*innen stimmt nicht zwingend mit der objektiven Evaluation überein 31060. Zudem sind kognitive Nebenwirkungen schwer von kognitiven Einschränkungen als Symptom der Grunderkrankung abzugrenzen. In einer nach der systematischen Recherche publizierten, selektiv eingebrachten systematischen Übersichtsarbeit (72 Studien, n = 5 699) berichteten 48,1 % (95% KI 42,3; 53,9) der Patient*innen über kognitive Einschränkungen. Die subjektiven Beschwerden standen dabei in Zusammenhang mit dem verwendeten Erhebungsinstrument: Defizitorientierte Instrumente fanden negative kognitive Effekte (g = -0,48 (95% KI -0,70; -0,26)), nach beiden Seiten offene Instrumente hingegen signifikante Verbesserungen (g = 0,81 (95% KI 0,59; 1,03)). Dabei war die Reduktion der depressiven Symptomatik ein signifikanter Prädiktor einer als verbessert eingeschätzten Kognition 32618.

 Informationen Weiterführende Informationen: Ketamin als Anästhetikum bei EKT

Als Narkosemittel während einer EKT werden Anästhetika wie Thiopental, Methohexital, Propofol oder Ketamin eingesetzt. Zu einer möglichen inhärenten antidepressiven Wirkung von Ketamin wurden im Rahmen der systematischen Recherche zu Ketamin/Esketamin mehrere Übersichtsarbeiten identifiziert, deren Ergebnisse widersprüchlich waren 31301, 31302, 31303, 31304. Den möglichen additiven Effekten stehen die zusätzlichen Nebenwirkungen von Ketamin gegenüber (siehe Kapitel 7.3.2 Esketamin intranasal).

 Patientenblatt Patientenmaterialien
  • Patientenblatt "Was passiert bei einer Elektrokonvulsions-Therapie?" (siehe Patientenblätter)
 Kapitel Erhaltungstherapie mit EKT

Nach erfolgreicher EKT besteht ohne prophylaktische Maßnahmen wegen der Chronizität und Therapieresistenz der behandelten Störungen eine hohe Rückfallgefahr. Eine Metaanalyse zeigte bei Patient*innen, die zuvor auf eine Behandlung mit EKT angesprochen hatten, eine Rückfallrate von etwa 50% in einem 12-Monats-Zeitraum, mit dem höchsten Risiko innerhalb der ersten 6 Monate nach Behandlung 32619. Eine Rezidivprophylaxe mit Antidepressiva und/oder Psychotherapie ist bei dieser Patientengruppe daher grundsätzlich indiziert.

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-28 | modifiziert 2022

Eine EKT-Erhaltungstherapie nach einer erfolgreichen EKT-Behandlungsserie soll Patient*innen angeboten werden, die

  • unter einer adäquaten sonstigen Rezidivprophylaxe in der Anamnese einen Rückfall erlitten hatten oder
  • eine Unverträglichkeit gegenüber einer anderen Rezidivprophylaxe aufweisen oder
  • eine entsprechende Präferenz haben.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die Evidenzqualität für die EKT-Erhaltungstherapie ist sehr niedrig, vor allem aufgrund der schmalen Datenbasis und des Verzerrungsrisikos (v. a. Nicht-Verblindung). Doch auch langjährige klinisch-praktische Erfahrungen unterstützen eine EKT-Erhaltungstherapie, so dass die Leitliniengruppe eine starke Empfehlung ausspricht. Allerdings wird die Empfehlung aus versorgungspraktischen Gründen auf bestimmte Patientengruppen eingeschränkt, da eine EKT-Erhaltungstherapie aufwändig und nur (teil-)stationär möglich ist.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Es erfolgte eine systematische Recherche nach aggregierter Evidenz.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In der zweiten Auflage zitierte ältere Reviews fanden konsistent Vorteile für eine EKT-Erhaltungstherapie nach vorherigem Ansprechen einer EKT 31578, 31577. Dies wird durch die neu identifizierte Evidenz bestätigt: Für den Vergleich einer EKT-Erhaltungstherapie mit einer Antidepressiva-Behandlung identifizierte eine methodisch gute Übersichtsarbeit ein RCT 10362, in dem die Rückfallraten nicht signifikant verschieden waren (37,5% vs. 31,6%). Die Kombination EKT+Antidepressiva war einer alleinigen medikamentösen Behandlung überlegen (RR 0,64 (95% KI 0,41; 0,98); I2 = 0%; N = 4) 31047.

7.3.5.2 Repetitive transkranielle Magnetstimulation

Empfehlung

Empfehlungsgrad

7-29 | modifiziert 2022

Eine repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) sollte bei therapieresistenten depressiven Episoden angeboten werden.

Abgeschwächte Empfehlung

7-30 | neu 2022

Die Auswahl der rTMS-Methode (Stimulationsort und -art) soll durch ein spezialisiertes Zentrum erfolgen.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die Evidenzqualität ist je nach Verfahren der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) sehr niedrig bis moderat, wobei die beste Evidenz für die hochfrequente Stimulation des linken dorsolateralen präfrontalen Cortex vorliegt. Viele Studien wurden jedoch nicht oder nicht ausschließlich bei therapieresistenter Depression durchgeführt, so dass die Übertragbarkeit auf dieses Setting limitiert ist. Bisher hat rTMS in Deutschland keinen großen Stellenwert und wird nur an wenigen Kliniken durchgeführt, wobei sich dies zukünftig aufgrund der 2021 veränderten Vergütung ändern könnte. Die praktische Durchführung einer rTMS ist weniger aufwändig als die einer EKT. Allerdings ist die rTMS im Vergleich zur EKT weniger effektiv, so dass die Leitliniengruppe die rTMS als der EKT nachgeordnete Option ansieht und den Empfehlungsgrad abschwächt.

Die Leitliniengruppe verzichtet darauf, die vor rTMS notwendige Zahl und Art der Therapieversuche genauer zu definieren. Sie setzt eine leitliniengerechte Vorbehandlung gemäß den Empfehlungen der NVL voraus, d. h. gegebenenfalls inklusive einer Kombination von medikamentöser Behandlung und Psychotherapie sowie den verschiedenen anderen Strategien bei Nichtansprechen (vgl. Abbildung 13).

Die unter rTMS zusammengefassten Verfahren sind sehr heterogen und unterliegen einem schnellen Wandel. Die Leitliniengruppe hat sich daher entschieden, in der NVL keine Aussage zur Wahl des spezifischen Verfahrens zu treffen, sondern diese Entscheidung den jeweiligen Behandelnden zu überlassen.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Es erfolgte eine systematische Recherche nach aggregierter Evidenz.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Zu rTMS wurden in den zurückliegenden Jahren eine Vielzahl von RCT und Reviews veröffentlicht. Die umfangreichste Übersichtsarbeit fand im paarweisen Vergleich signifikante Unterschiede gegenüber Scheinbehandlung für die Endpunkte Remission und depressive Symptomatik:

  • Hochfrequente Stimulation des linken dorsolateralen präfrontalen Cortex (DLPFC, HFL-rTMS):
    Remission OR 2,56 (95% KI 1,73; 3,78); I2 = 0%; N = 29; SMD -0,60 (95% KI -0,82; -0,38); I2 = 71,7%; N = 39
  • Niedrigfrequente Stimulation des rechten DLPFC (LFR-rTMS):
    Remission OR 5,54 (95% KI 2,40; 12,79); I2 = 0%; N = 5; SMD -0,71 (95% KI -1,36; -0,05); I2 = 75,4%; N = 6
  • Tiefe TMS: Remission OR 2,24 (95% KI 1,24; 4,06); I2 = 0%; n = 2; SMD -0,29 (95% KI -0,55; -0,03); I2 = 0%; N = 2

Eine bilaterale rTMS war einer Sham-Intervention bezüglich der Response und Remission überlegen, intermittierende TBS nur bezüglich Response. Hingegen wurden für LFL-rTMS; HFR-rTMS, Theta burst stimulation (TBS), bilaterale intermittierende TBS und synchronisierte TMS keine signifikanten Unterschiede festgestellt, bei allerdings schmaler Evidenzbasis (alle: N = 1–3). Im direkten Vergleich aktiver Interventionen war LFR-rTMS effektiver als HFL-rTMS (nur für Endpunkt depressive Symptomatik; N = 6) sowie bilaterale TMS effektiver als HFL-rTMS (nur für Endpunkt Response; N = 4) 31062. Eine weitere Metanalyse erbrachte ähnliche Ergebnisse 31052. In einer Untersuchung der Placebo-Responseraten zeigten sich hohe Placebo-Effekte über alle rTMS-Protokolle hinweg (SMD g = 0,8 (95% KI 0,65; 0,95); I2 = 65%; N = 61, n = 1 328), wobei die Effektgröße in der Sham-Gruppe mit Anzahl der medikamentösen Vortherapien sank 31046.

Im direkten Vergleich erwies sich die rTMS als weniger effektiv als EKT, wenn auch die Effekte keine statistische Signifikanz erreichten (z. B. EKT vs. L-rTMS: OR 1,43 (95% KI 0,92; 2,2); N = 7)31039.

Eine Übersichtsarbeit zu rTMS-Erhaltungstherapie identfizierte fast ausschließlich Open-label-Studien, in denen es Hinweise auf positive Effekte gab. In den 2 eingeschlossenen kleinen RCT waren die Ergebnisse inkonklusiv. Die Autor*innen bewerten die Evidenz als zu schwach für Schlussfolgerungen 31056.

 Sicherheit Sicherheit

Im umfangreichen Review von Mutz et al. waren die Abbruchraten aller untersuchten Verfahren nicht signifikant verschieden zu den Kontrollgruppen 31062. Zum gleichen Ergebnis kommt eine andere Übersichtsarbeit. Sie berichtet von Unwohlsein oder Kopfschmerz bei 20% der Patient*innen in der Interventionsgruppe gegenüber 10% im Kontrollarm; auch bezüglich Benommenheit (2,8% vs. 1,8%) war ein gewisser Nocebo-Effekt vorhanden 31061.

 Patientenblatt Patientenmaterialien
  • Patientenblatt "Was ist eine repetitive Transkranielle Magnetstimulation?" (siehe Patientenblätter)

7.3.5.3 Transkranielle Gleichstromstimulation

RationaleRationale

Speziell für das therapieresistente Setting ist die Evidenzqualität für die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) niedrig, wegen einer hohen Heterogenität auf PICO-Ebene und weil nur ein kleiner Teil der Studien Patient*innen nach Nichtansprechen einschloss. Weil der Stellenwert von tDCS im Vergleich zu Behandlungsalternativen unklar ist und weil das Verfahren in Deutschland nur als Selbstzahlerleistung und nur in wenigen Einrichtungen verfügbar ist, spricht die Leitliniengruppe aktuell noch keine Empfehlung für das Verfahren aus.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Es erfolgte eine systematische Recherche nach aggregierter Evidenz.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Die jüngste und umfangreichste identifizierte Übersichtsarbeit fand im Vergleich zu Sham-Intervention einen mittleren Effekt von tDCS auf die depressive Symptomatik (g = 0,46 (95% KI 0,22; 0,70); I2 = 70,1%; N = 25, n = 1 092), auch bei ausschließlicher Berücksichtigung der Studien mit niedrigem Biasrisiko (g = 0,43 (95% KI 0,19; 0,68), I2 = 62,6%; N = 15). Bei 19% in der tDCS-Gruppe wurde eine Remission erzielt gegenüber 10% in der Kontrollgruppe (OR 2,12 (95% KI 1,42; 3,16); I2 = 0%; N = 18). Die Abbruchraten waren nicht signifikant verschieden (je 14%). Die eingeschlossen Studien umfassten sehr heterogene Settings und unterschiedliche tDCS- wie auch Sham-Protokolle 31071. Ein Review mit Fokus auf Sham-Ansprechraten ergab, dass ein Großteil des tDCS-Effekts auf Placebo-Effekte zurückzuführen sein könnte (sham response g = 1,09 (95% KI 0,8; 1,38); I2 = 76%; N = 23, n = 501) 31082.

Aggregierte Evidenz zum Vergleich von tDCS mit aktiven Interventionen wurde in der systematischen Recherche nicht identifiziert. In zwei selektiv eingebrachten RCT konnte für tDCS keine Nichtunterlegenheit im Vergleich zu Antidepressiva gezeigt werden 31391, 31392.

 Informationen Weiterführende Informationen: Versorgungspraxis

tDCS gehört nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen und wird in Deutschland kaum angeboten. Es handelt sich um ein kostengünstiges und wenig aufwändiges Verfahren, das ambulant und ggf. sogar von den Patient*innen selbstständig angewendet werden könnte.

7.3.5.4 Vagus-Nerv-Stimulation

RationaleRationale

Die Evidenzqualität für die Vagus-Nerv-Stimulation (VNS) ist sehr niedrig, da kaum Daten aus Doppelblindstudien existieren. Der Stellenwert des invasiven Verfahrens ist somit vorerst weiterhin unklar, sodass die Leitliniengruppe keine Empfehlung ausspricht.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Es erfolgte eine systematische Recherche nach aggregierter Evidenz.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Es wurde eine systematische Übersichtsarbeit identifiziert 31069, die aber im Vergleich zur 2. Auflage keine neuen RCT einschloss. Zum Vergleich mit einer Scheinintervention existiert 1 RCT (n = 222), bei dem kein statistisch signifikanter Effekt erzielt wurde 10414. Ein weiteres RCT verglich verschiedene VNS-Protokolle (n = 331) und fand keine Dosis-Wirkungs-Beziehung 31393. Die bislang größte prospektive Beobachtungsregisterstudie untersuchte VNS bei Patient*innen, die eine schwere depressive Episode von ≥ 2 Jahren Dauer oder ≥ 3 depressive Episoden sowie ≥ 4-mal nicht auf eine antidepressive Behandlung (inkl. EKT) angesprochen hatten. Im Propensity-Score-Matching (VNS n = 494, keine VNS n = 301) betrug die kumulative Remissionrate 43,3% vs. 25,7%. Die Aussagekraft ist aber sehr eingeschränkt, da weder eine Randomisierung noch eine Verblindung erfolgte und daher von Verzerrungseffekten zugunsten der Intervention auszugehen ist 32753. Aufgrund der Invasivität des Verfahrens sind verblindete Vergleiche gegen eine Scheinintervention aus ethischen Gründen jedoch auch weiterhin nicht zu erwarten.

 Überlegungen Klinische Erwägungen

VNS wird derzeit in Deutschland in einigen spezialisierten Zentren eingesetzt. Aus klinischer Sicht kommt dieses invasive Verfahren vor allem als Alternative zu einer EKT-Erhaltungstherapie bei schwer kranken Patient*innen infrage.

7.3.5.5 Experimentelle neurostimulatorische Verfahren

In der systematischen Recherche wurden Übersichtsarbeiten zu weiteren neurostimulatorischen Verfahren identifiziert:

  • Tiefe Hirnstimulation (Deep Brain Stimulation, DBS), invasiv 31075, 31038
  • Magnetkrampftherapie/Magnetkonvulsionstherapie (Magnetic Seizure Therapy, MST), nicht-invasiv, Weiterentwicklung der rTMS 31394
  • Craniale Elektrostimulation (Cranial Electrotherapy Stimulation, CES), nicht-invasiv 31081

Hinzu kommen weitere Verfahren, für die keine aggregierte Evidenz identifiziert wurde, die aber ebenfalls bei unipolaren Depressionen untersucht werden, wie z. B. Transkranielle Wechselstromstimulation (tACS). Diese Verfahren sind in Deutschland nicht zugelassen und/oder nicht verfügbar und befinden sich bezüglich depressiver Störungen noch im experimentellen Stadium. Daher wurde auf eine Aufbereitung der Literatur verzichtet.

NVL Unipolare Depression, Version 3.2, 2022

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  • Langfassung

    NVL Unipolare Depression, Version 3.2, 2022

  • Kurzfassung

    NVL Unipolare Depression, Version 3.2, 2022

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