NVL Hypertonie (2023)

3 Diagnostik der Hypertonie

3.1 Algorithmus der Diagnostik der Hypertonie

Empfehlung

3-1 | e | neu 2023

Die Diagnostik der Hypertonie soll gemäß Abbildung 1 erfolgen.

Starke Empfehlung

Abbildung 1: Algorithmus Diagnostik der Hypertonie

Tabelle 3: Kardiovaskuläre Risikofaktoren

Häufige kardiovaskuläre Risikofaktoren

  • Adipositas
  • Tabakkonsum
  • Riskanter Alkoholkonsum
  • Diabetes mellitus
  • Hyperlipidämie
  • Bewegungsmangel
  • Stress

Die Risikofaktoren in Tabelle 3 wurden konsensbasiert ausgewählt.

Tabelle 4: Messverfahren

Verfahren

Hinweise zur Anwendung (mod. nach 29779, 30119)

Ambulante 24h-Blutdruckmessung (ABPM)

  • Cut-off-Wert des Tagesmittelwertes: ≥ 135/85 mmHg
  • Cut-off-Wert des 24h-Wertes: ≥ 130/80 mmHg
  • Cut-off-Wert des nächtlichen Mittelwertes: ≥ 120/70 mmHg

Heimblutdruckmessung (HBPM)

  • Vorbereitung: min. 5 Minuten Ruhe, sitzende Position
  • Messung: zweimal in Folge am Oberarm mit 1–2 Minuten Abstand, bei regelmäßigem Puls morgens + abends
  • Ergebnis: Mittelwert aller Messwerte über einen Zeitraum von sieben Tagen
  • Cut-off-Wert: ≥ 135/85 mmHg

Praxisblutdruckmessung

(Variante 1)

  • Vorbereitung: min. 5 Minuten Ruhe, in der Regel in sitzender Position*
  • Messungen: dreimal in Folge am Oberarm mit 2 Minuten Abstand
  • Ergebnis: Mittelwert der 2. und 3. Messung
  • Cut-off-Wert: ≥ 140/90 mmHg

Praxisblutdruckmessung (Variante 2)

  • Vorbereitung: min. 5 Minuten Ruhe, in der Regel in sitzender Position*
  • Messungen: am Oberarm
  • bei Auffälligkeit erneute Messung nach 5 Minuten Ruhe in sitzender Position
  • Ergebnis: letzter gemessener Wert
  • Cut-off-Wert: ≥ 140/90 mmHg

*abweichend beim Monitoring: bei orthostatischer Hypotonie im Stehen

Die Tabelle 4 wurde evidenzbasiert erstellt (nach 29779, 30119 sowie 30120).

Tabelle 5: Hinweise für die hypertoniespezifische Anamnese und körperliche Untersuchung

Anamnese

Aktuelle Symptomatik

  • Kopfschmerz
  • Schwindel, Synkopen
  • kognitive Einschränkungen
  • Visusminderung
  • Ruhe- oder Belastungsdyspnoe
  • Angina pectoris
  • Palpitationen oder Tachykardie
  • Claudicatio intermittens, kalte oder nekrotische Gliedmaßen
  • Ödeme
  • sensorische oder motorische Defizite
  • auffälliger Urin (Hämaturie, schäumender Urin, Nykturie)
  • Männer: erektile Dysfunktion

Eigen- und Familien-Anamnese
(inkl. familiärer Häufungen)

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z. B. Koronare Herzkrankheit, Herzinfarkte, Herzinsuffizienz, Interventionen an den Gefäßen, inkl. der Karotiden oder der Koronararterien)
  • Schlaganfall, transitorische ischämische Attacke
  • Demenz
  • Diabetes mellitus
  • Dyslipidämie
  • Nierenkrankheit
  • obstruktives Schlafapnoe-Syndrom
  • posttraumatische Belastungsstörung
  • Frauen: Bluthochdruck während stattgehabter Schwangerschaften

Medikamenten­anamnese

  • antihypertensive Medikation aktuell und in der Vergangenheit (inkl. Wirksamkeit und Verträglichkeit)
  • Medikamente, die mit einer Erhöhung des Blutdrucks einhergehen können (z. B. Analgetika, orale Kontrazeptiva, Immunsupressiva, Antidepressiva, systemische Kortikosteroide)
  • Unverträglichkeiten gegen Medikamente
  • Adhärenz

Lebensstilanamnese

  • Trinkmenge
  • Essverhalten, inkl. Salz-, Lakritz- oder Koffeinkonsum
  • Nahrungsergänzungsmittel, insbesondere Fitness- oder Diät-Produkte
  • Raucherstatus, Alkoholkonsum, Drogenkonsum
  • körperliche Aktivität, Sport
  • Schlafstörungen, Schnarchen
  • aufgehobener Tag-Nacht-Rhythmus des Blutdrucks (Hinweis auf sekundäre Hypertonie)
  • Stress bzw. Stressoren

Schwerpunkte der körperlichen Untersuchung

  • Größe, Gewicht, ggf. BMI, ggf. Taillen- und Hüftumfang
  • Ggf. Auskultation von Herz und Karotiden
  • Inspektion und Palpation der unteren Extremität (insb. im Hinblick auf Ödeme oder Stauungszeichen)
  • Palpation der peripheren Arterien
  • Orientierende neurologische Untersuchung, ggf. mit Beurteilung des kognitiven Status

Die Tabelle 5 wurde konsensbasiert erstellt.

RationaleRationale

Die Identifizierung von Personen mit Hypertonie kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Die Leitliniengruppe beschreibt im Algorithmus konsenbasiert den Eingang zur Diagnostik der Hypertonie, wobei Hinweise aus vorangegangenen Untersuchungen, (kardiovaskuläre) Risikofaktoren sowie konkrete Symptome bzw. Verdachtsmomente eine Rolle spielen (siehe Tabelle 3, Tabelle 5).

Für die Genauigkeit der unterschiedlichen Messverfahren des Blutdrucks (siehe Tabelle 4) existiert Evidenz (moderate bis sehr geringe Aussagesicherheit der Evidenz), bei der Limitationen zu beachten sind (unter anderem fehlende Präzision und Heterogenität bei den Einschlusskriterien sowie der Umsetzungen der Messverfahren).

Bestätigt sich die arterielle Hypertonie nach der Blutdruckmessung, empfiehlt die Leitliniengruppe die hypertoniespezifische Anamnese, körperliche Untersuchung (Tabelle 5) und Labordiagnostik (Empfehlung 3-4, konsensbasiert) mit dem Ziel, die Therapie angemessen planen zu können.

Zum Ausschluss bzw. zur rechtzeitigen Identifikation von (kardiovaskulären) Folgeerkrankungen empfiehlt die Leitliniengruppe die Basisdiagnostik von Endorganschäden (Empfehlung 3-5 a-c, evidenzbasiert, teilweise indirekte Verwendung) sowie nur bei fortbestehendem Verdacht eine erweiterte Diagnostik – wobei die erweiterte Diagnostik von Endorganschäden nicht primärer Bestandteil der NVL Hypertonie ist.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis und Versorgungsproblem

Die Abläufe zur Diagnostik der Hypertonie beruhen auf den Ergebnissen systematischer Recherchen sowie der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe. Die Leitliniengruppe nimmt als Versorgungsproblem wahr, dass die Hypertonie bei vielen Betroffenen zu spät identifiziert wird. Gleichzeitig erachtet sie es als wichtig, eine mögliche Diagnose ausreichend abzusichern, um Fehldiagnosen zu vermeiden. Die Evidenz für die einzelnen Maßnahmen ist in den entsprechenden Kapiteln dargestellt.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Die Auswahl der in Abbildung 1 aufgeführten Konstellationen erfolgt konsensbasiert. Die Grundlage bildet die gute klinische Praxis. Prinzipiell sieht die Leitliniengruppe zwei Gruppen von Personen, bei denen eine Hypertonie-Diagnostik indiziert ist: Solche mit konkreten Hinweisen auf eine vorliegende Hypertonie (Symptome oder Ergebnis einer Zufallsmessung) und solche, die Risikofaktoren entweder für eine Hypertonie oder für das Eintreten kardiovaskulärer Ereignisse aufweisen, bei denen aber derzeit noch kein konkreter Verdacht für eine Hypertonie vorliegt.

Bei den Risikofaktoren (Tabelle 3) unterscheidet die Leitliniengruppe dabei in durch das Verhalten beeinflussbare (z. B. den Lebensstil betreffend, wie die körperliche Aktivität oder Stressoren, wie Lärmbelastung, familiäre oder Arbeitsplatzkonflikte bzw. Belastungen) und nicht bzw. bedingt beeinflussbare Faktoren – wie die Hyperlipidämie. Weiterführende Informationen bietet u. a. die europäische Leitlinie zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen 32251.

In einer ersten Blutdruckmessung (siehe Abbildung 1) wird geprüft, ob eine Blutdruckdifferenz zwischen den Armen der Betroffenen vorliegt, um künftig an dem Arm mit dem höheren Wert zu messen. Eine Zufallsmessung kann zudem beispielsweise in der Apotheke (siehe auch Empfehlung 9-4) oder im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung auffällige Werte erbracht haben. Bei unauffälliger Praxisblutdruckmessung ergeben sich für Menschen ohne konkreten Verdacht auf Hypertonie keine weiteren diagnostischen Konsequenzen.

Die Formulierung der Cut-off-Werte in Tabelle 4 basiert auf den in der systematischen Übersichtsarbeit 30120 identifizierten Studien, deren Inhalte in den jeweiligen Kapiteln dargestellt sind, sowie auf der klinischen Erfahrungen der Leitliniengruppe. Die Hinweise zur Anwendung der Messverfahren erfolgen konsensbasiert. Zudem wurden internationale Leitlinien orientierend herangezogen 29779, 30119.

In Messungen, die beobachtet bzw. nicht durch die Erkrankten selbst durchgeführt werden, toleriert die Leitliniengruppe höhere Grenzwerte, da hier erfahrungsgemäß von einer ungewohnten bzw. aufregenden Situation ausgegangen werden kann, die sich ggf. auf die Blutdruckwerte auswirkt.

Praxisblutdruckmessungen: Die Anzahl der Praxisblutdruckmessungen richtet sich unter anderem nach der Umsetzbarkeit und den Vorbedingungen (z. B. der Anwendung eines anderen Messverfahrens) sowie den individuellen Risikofaktoren. Prinzipiell sieht die Leitliniengruppe mindestens die Zweifachmessung zur Diagnosesicherung pathologischer/hochnormaler Werte als wichtig an. In Tabelle 4 sind zwei Varianten der Praxisblutdruckmessung dargestellt, die diese Absicherung beinhalten. Ideal ist nach Einschätzung der Leitliniengruppe die dargestellte Variante 1 (Tabelle 4), die auch in vielen identifizierten Studien Anwendung findet. Da diese aber im Praxisalltag, insbesondere aus Zeitgründen, nicht immer umsetzbar ist, stellt sie mit Variante 2 eine Minimalanforderung auf, der zwei Überlegungen zugrunde liegen: Mit der zweimaligen Messung wird die Anforderung eingehalten, pathologische Werte vor Diagnostellung abzusichern. Bei nicht pathologischen Werten wird eine Einmalmessung und eine damit verbundene Unsicherheit akzeptiert, hier auch im Kontext ggf. individuell zu prüfender Kontrolltermine. Zufallsmessungen können nach den Diskussionen der Leitliniengruppe auch in der Apotheke auftreten, wobei hier ein Sicherheitsfenster für den Blutdruck gesehen wird (siehe auch Empfehlung 5-2), weshalb auch bei geringeren Blutdruckwerten eine Praxisblutdruckmessung zum Einsatz kommen kann (siehe auch hochnormale Blutdruckwerte nach der Leitlinie "2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension" 29779).

 Patientenblatt Patientenmaterialien
  • Patientenblatt "Wie messe ich meinen Blutdruck richtig?" 
  • Patientenblatt "Wie kommt es zu Gefäßschäden und Folgeerkrankungen?"

(siehe Patientenblätter)

3.1.1 Praxisblutdruckmessung

RationaleRationale

Aufgrund der in der systematischen Übersichtsarbeit 30120 errechneten Werte für die diagnostische Genauigkeit der Praxisblutdruckmessung sieht die Leitliniengruppe hierin die Möglichkeit der Ersteinschätzung bezüglich Vorliegen einer Hypertonie. Die Ergebnisse sind zumeist aus Beobachtungsstudien generiert und weisen eine geringe bzw. sehr geringe Aussagesicherheit der Evidenz auf. Für die Praxisblutdruckmessung spricht die praktische Umsetzbarkeit der Messung; daher sieht die Leitliniengruppe in der Praxisblutdruckmessung den ersten Schritt der mehrstufigen Bestätigungsdiagnostik.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung der Leitliniengruppe, bei Personen mit o. g. Symptom- oder Risikokonstellation zunächst eine Praxisblutdruckmessung durchzuführen (siehe Abbildung 1) basiert auf den systematischen Übersichtsarbeiten aus der strukturierten Recherche und der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In der strukturierten Recherche wurde eine systematische Übersichtsarbeit 30120 identifiziert, die die diagnostische Genauigkeit der Praxisblutdruckmessung bei Erwachsenen untersuchte, bei denen ein Verdacht auf eine Hypertonie bestand. Es wurden 4 Primärstudien identifiziert. 30120

Die Durchführungen der Praxisblutdruckmessung unterschied sich in den von der systematischen Übersichtsarbeit 30120 identifizierten Primärstudien. In keiner Studie wurde nur ein einzelner Messwert für die Beurteilung des Ergebnisses herangezogen 30120.

Die gepoolte Betrachtung von 3 Studien (n = 1 250) ergab bei einer diagnostischen Grenze von ≥ 140/90 mmHg eine Spezifität von 76% (95% KI 20; 98) und eine Sensitivität von 81% (95% KI 47; 95) für die Praxisblutdruckmessung gegenüber dem Referenztest der ambulanten 24h-Blutdruckmessung (ABPM) (Aussagesicherheit der Evidenz sehr gering) 30120.

Die Autor*innen des systematischen Reviews 30120 identifizierten eine weitere Primärstudie mit 340 Teilnehmer*innen. Hier wurde die diagnostische Genauigkeit der Praxisblutdruckmessung über einen Zeitraum von drei Tagen im Vergleich zur ABPM evaluiert (diagnostischen Grenze ≥ 140/90 mmHg). Für den Mittelwert aus der 2. und 3. Praxismessung errechnete sich eine Sensitivität von 41,4% (95% KI 33,7; 49,4) und eine Spezifität von 89,3% (95% KI 83,8; 93,4) gegenüber der ABPM. Für den Mittelwert aus der 2. und 6. Messung errechnete sich eine Sensitivität von 61,1% (95% KI 53,1; 68,7) und eine Spezifität von 78,7% (95% KI 71,9; 84,4) gegenüber der ABPM (Aussagesicherheit der Evidenz jeweils gering). 30120

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Nach Sichtung internationaler Leitlinien 29779, 30119 empfiehlt die Leitliniengruppe für Variante 1 in der praktischen Umsetzung, den Mittelwert der 2. und 3. Blutdruckmessung heranzuziehen, wobei die Umsetzbarkeit sowie die klinische Situation der Patient*innen zu beachten ist (siehe auch Tabelle 4).

Die sich aus dem Ergebnis der Praxisblutdruckmessung ergebende Konsequenz hängt von der Ausgangssituation der Erkrankten ab:

Stellen sich Personen mit Symptomen einer Hypertonie oder sogar mit bereits etablierten Endorganschäden vor, empfiehlt die Leitliniengruppe unabhängig von dem Ergebnis einer Praxisblutdruckmessung eine 2. Blutdruckmessung vorzunehmen. Ziel ist es vor allem, falsch negative Befunde zu identifizieren.

Bei Personen mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder Risikofaktoren für eine Hypertonie, die jedoch bisher keine erhöhten Blutdruckwerte oder Symptome aufwiesen sowie mit erhöhten Blutdruckwerten in einer vorangegangenen Zufallsmessung erfolgt die Praxisblutdruckmessung eher unter einem präventiven Gesichtspunkt. Ergeben sich hier Blutdruckwerte von < 140/90 mmHg genügt aus Sicht der Leitliniengruppe eine Kontrolle des Blutdruckes nach einem Jahr.

Für die Bestätigung der Diagnose Hypertonie siehe Kapitel 3.1.2 Zweite Blutdruckmessung.

3.1.2 Zweite Blutdruckmessung

Empfehlung

3-2 | e | neu 2023

a)

Besteht bei Patient*innen nach der Praxisblutdruckmessung weiterhin der Verdacht auf eine Hypertonie (siehe Abbildung 1), soll eine ambulante 24h-Blutdruckmessung empfohlen werden.

Starke Empfehlung

b)

Ist eine 24h-Blutdruckmessung nicht verfügbar oder wird sie von Patient*innen nicht akzeptiert, sollte eine Heimblutdruckmessung erfolgen, mit einem validierten Gerät, in das die Patient*innen eingewiesen wurden.

Empfehlung

c)

Sind eine 24h-Blutdruckmessung und eine Heimblutdruckmessung nicht verfügbar oder werden sie von Patient*innen nicht akzeptiert, sollte eine erneute Praxisblutdruckmessung nach drei bis vier Wochen erfolgen.

Empfehlung

3-3 | k | neu 2023

Die erneute Praxisblutdruckmessung nach drei bis vier Wochen sollte nicht als alleiniges Messverfahren zum Ausschluss der Diagnose Hypertonie herangezogen werden.

Negativ-Empfehlung

RationaleRationale

In der systematisch identifizierten Evidenz wird die ABPM durchgehend als Referenztest eingesetzt. Sie erfasst die Blutdruckwerte tags- und nachtsüber. Daher wird sie von der Leitliniengruppe mit einem starken Empfehlungsgrad empfohlen. Weißkittel- und maskierte Hypertonie können aus Sicht der Leitliniengruppe durch die ABPM sicherer erfasst werden als durch die anderen diagnostischen Verfahren.

Bei fehlender Verfügbarkeit oder Adhärenz gegenüber der ABPM stellt die HBPM eine Alternative dar. Die diagnostische Genauigkeit der HBPM (Grenzwert von 135/85 mmHg) gegenüber der ABPM wird von der Leitliniengruppe bei geringer Aussagesicherheit der Evidenz als ausreichend eingeschätzt, um sie als erste Alternative zu empfehlen, wenn eine ABPM nicht möglich ist. Da die nächtlichen Blutdruckwerte nicht erfasst werden und betroffene Personen ein Gerät auf eigene Kosten erwerben müssen, wird die HBPM mit einem abgeschwächten Empfehlungsgrad empfohlen.

Kommen die beiden vorgenannten Messverfahren für die zweite Blutdruckmessung nicht in Betracht, so schätzt die Leitliniengruppe die diagnostische Genauigkeit einer erneuten Praxisblutdruckmessung nach drei bis vier Wochen bei sehr geringer Aussagesicherheit der Evidenz als dennoch ausreichend ein, um eine Hypertonie zu bestätigen. Insbesondere, da in der definierten Situation Alternativen nicht zur Verfügung stehen. Sie reicht jedoch nach Einschätzung der Leitliniengruppe nicht aus, um eine Hypertonie sicher auszuschließen. Daher formuliert sie die abgeschwächte Empfehlung 3-2c.

Aus diesem Grund spricht sich die Leitliniengruppe in Empfehlung 3-3 mit abgeschwächtem Empfehlungsgrad konsensbasiert dagegen aus, eine erneute Praxisblutdruckmessung nach drei bis vier Wochen als Ausschlussdiagnostik für die Hypertonie zu verwenden. Je nach Risikostatus bzw. Ausgangskonstellation haben Betroffene an diesem Punkt des diagnostischen Algorithmus bereits wiederholt pathologische Blutdruckwerte in der Praxismessung gezeigt, sodass ein einmaliger unauffälliger Wert nicht zum Ausschluss genügt.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlungen beruhen auf den Ergebnissen einer in der strukturierten Recherche identifizierten systematischen Übersichtsarbeit 30120 und der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Die diagnostische Genauigkeit der Heimblutdruckmessung (HBMP) wurde im Vergleich zum Referenztest (ABPM) bei Erwachsenen in der systematischen Übersichtsarbeit von NICE untersucht 30120. Vier der fünf identifizierten Beobachtungsstudien (n = 963) untersuchten die diagnostische Genauigkeit bei einer Grenze von ≥ 135/85 mmHg. In der gepoolten Analyse ergaben sich eine Sensitivität von 90% (95% KI 68; 98) und eine Spezifität von 84% (95% KI 53; 96) (Aussagesicherheit der Evidenz sehr gering). 30120

Eine Beobachtungsstudie mit 340 Teilnehmenden untersuchte ebenfalls die Grenze von ≥ 135/85 mmHg, konnte wegen der fehlenden Vier-Felder-Tafel jedoch nicht in die Metaanalyse einbezogen werden. Hier ergaben sich eine Spezifität von 62,4% (95% KI 54,8; 69,5) und eine Sensitivität von 84% (95% KI 77,4; 89,2) (Aussagesicherheit der Evidenz gering). 30120

Die Evaluation der diagnostischen Grenze von ≥130/85 mmHg in der HBMP erbrachte in einer Beobachtungsstudie mit 203 Teilnehmenden eine Spezifität von 81% (95% KI 74; 85) und eine Sensitivität von 71% (95% KI 56; 83) 30120. Die gleiche Studie untersuchte auch den Grenzwert von ≥130/80 mmHg, woraus sich eine Spezifität von 90% (95% KI 85; 94) und eine Sensitivität von 63% (95% KI 48; 76) errechneten (Aussagesicherheit der Evidenz jeweils sehr gering). 30120

Darüber hinaus wurde in der systematischen Übersichtsarbeit eine randomisiert-kontrollierte Studie im Cross-over-Design identifiziert, die eine Handgelenksmanschette nutzte und für die Grenze von ≥ 135/85 mmHg eine Spezifität von 70% (95% KI 45; 84) und eine Sensitivität von 100% (95% KI 82; 100) ergab (Aussagesicherheit der Evidenz moderat) 30120.

Die identifizierte Evidenz zur diagnostischen Genauigkeit der Praxisblutdruckmessung im Vergleich zur ABPM ist im Kapitel 3.1.1 Praxisblutdruckmessung dargestellt.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Die ambulante 24h-Blutdruckmessung (ABPM) stellt aus Sicht der Arbeitsgruppe den Goldstandard der nicht invasiven Diagnostik der Hypertonie dar. Sie erfasst die Werte tags und nachts und ermöglicht einen Überblick über die Blutdruckwerte in Abhängigkeit der Tätigkeiten der Patient*innen, wobei Besonderheiten zu beachten sind – z. B. Arbeitsbedingungen im Schichtdienst. Insbesondere bei Verdacht auf nächtliche Blutdruckspitzen ist die Anwendung des Verfahrens wichtig.

Bei Adhärenzproblemen gegenüber der ABPM stellt die HBPM eine Alternative dar. HBPM-Geräte sind allerdings erst dann verordnungsfähig, nachdem die Diagnose Hypertonie gestellt wurde. Leihgeräte in Arztpraxen oder Apotheken sind nach Kenntnis der Leitliniengruppe nicht üblich. Betroffene müssten sich die Geräte daher entweder selbst zulegen oder bei An- oder Zugehörigen leihen. Eine Beurteilung der nächtlichen Blutdruckwerte ist nicht möglich.

Eine erneute Praxismessung nach einem Zeitintervall von drei bis viert Wochen wird von der Leitliniengruppe dann als angemessen erachtet, wenn keine der beiden o. g. Methoden Anwendung finden kann. Sie gibt eine Momentaufnahme wieder und lässt keine Rückschlüsse auf Blutdruckschwankungen zu.

Weitere Hinweise für die Durchführung der einzelnen Messverfahren und die Cut-off-Werte sind in Tabelle 4 aufgeführt.

Weißkittelhypertonie

Sind Blutdruckwerte nur bei beobachteten Messungen erhöht, deutet dies auf eine sogenannte Weißkittelhypertonie hin. Eine erste Orientierung ermöglicht eine unbeobachtete Praxismessung. Zur genauen Diagnostik verweist die Leitliniengruppe auf die Empfehlung 3-2b und 3-2c sowie die Tabelle 4.

Maskierte Hypertonie

Im klinischen Alltag ergeben sich Hinweise auf eine maskierte Hypertonie, wenn Personen von hohen Blutdruckwerten in der Anamnese berichten, die sich in der Praxisblutdruckmessung nicht abbilden. Ebenfalls hinweisgebend sind häufig wechselnde Blutdruckwerte oder der Umstand, dass bereits Endorganschäden vorliegen, ohne dass bisher eine Hypertonie diagnostiziert werden konnte.

 Informationen Weiterführende Informationen: Validierte Blutdruckmessgeräte

Die Leitliniengruppe sieht eine Beratung zu validierten Blutdruckmessgeräten sowie die Anleitung zur sachgerechten Nutzung des Gerätes, z. B. in der Apotheke, als nützlich für die Patient*innen an.

Blutdruckmessgeräte sind Medizinprodukte, die am/im Körper wirken, ohne dabei zum Beispiel in den Stoffwechsel des Menschen einzugreifen. Sie werden in Deutschland in unterschiedliche Risikoklassen eingeordnet, je nachdem, ob sie außen auf der Haut oder im Körper Anwendung finden, wie lange sie am/im Körper verbleiben und ob sie bspw. mit Strom betrieben werden.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) benennt dabei ein sogenanntes Konformitätsbewertungsverfahren, welches durchlaufen werden muss, bevor ein Medizinprodukt auf den Markt gelangen kann. Dieses Verfahren ähnelt einer Zulassung, wobei der Hersteller nachweisen muss, dass sein Produkt sicher ist und die beschriebenen technischen und medizinischen Leistungen auch so erfüllt werden. Nach erfolgreich abgeschlossenem Konformitätsbewertungsverfahren, kann der Hersteller das CE-Kennzeichen auf das Produkt aufbringen und es somit in der gesamten europäischen Union (EU) auf den Markt bringen.

Validierungsverfahren können ebenso von den Herstellern ausgewiesen werden, wobei es unterschiedliche nationale oder internationale Institutionen zur Durchführung gibt. Beispielsweise die Deutsche Hochdruckliga prüft die Messgenauigkeit von Blutdruckmessgeräten im Auftrag der Gerätehersteller, verleiht diesen ein zusätzliches Prüfsiegel und listet die Geräte mit Prüfsiegel (www.hochdruckliga.de/betroffene/blutdruckmessgeraete).

Weitere Informationen geben Apotheken und Sanitätshäuser.

 Patientenblatt Patientenmaterialien
  • Patientenblatt "Wie messe ich meinen Blutdruck richtig?"

(siehe Patientenblätter)

3.1.3 Anamnese und körperliche Untersuchung

RationaleRationale

Neben der Evaluierung der aktuellen Symptomatik können sich aus den empfohlenen Erhebungen Hinweise auf die Ursachen der Hypertonie ergeben. Darüber hinaus können Folgeerkrankungen oder Endorganschäden bzw. Risikofaktoren für solche identifiziert werden. Dies trägt dazu bei, das weitere Vorgehen individuell zu planen.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die hypertoniespezifische Anamnese und körperliche Untersuchung (siehe Tabelle 5) wurden konsensbasiert auf Basis der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe zusammengestellt.

3.1.4 Labordiagnostik

Empfehlung

3-4 | k | neu 2023

Allen Personen mit bestätigter Diagnose Hypertonie soll die Bestimmung folgender Parameter empfohlen werden:

  • Natrium,
  • Kalium,
  • eGFR (Serumkreatinin),
  • Lipidstatus,
  • Nüchternplasmaglukose, ggf. HbA1c,
  • Urinstatus (z. B. mittels Urinstreifentest).

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die Leitliniengruppe spricht konsensbasiert eine Empfehlung mit starkem Empfehlungsgrad aus, da die Bestimmung der Parameter der Identifikation von Sicherheitsaspekten vor der Wirkstoffauswahl für die medikamentöse Therapie dient. Zudem können sich durch die erhobenen Parameter Hinweise auf relevante Komorbiditäten oder Ursachen der Hypertonie ergeben, die Konsequenzen auf die Therapieplanung haben können.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung wurde konsensbasiert ausgesprochen und beruht auf der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe. Ergänzend diskutiert wurden die Inhalte/Evidenz der Leitlinie zur kardiovaskulären Prävention 32251.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Durch die Erfassung des Lipidstatus (Gesamtcholesterin und Differenzierung nach Lipoprotein hoher Dichte (High-density Lipoprotein (HDL)) sowie geringer Dichte (Low-density Lipoprotein (LDL)), ggf. Triglyceride) und der Nüchternplasmaglukose bzw. des HbA1c lassen sich Hinweise auf Komorbiditäten identifizieren, die neben der Hypertonie weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren und die Gesamtprognose beeinflussen können.

Die Prüfung von Natrium, Kalium und der geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) – als Abschätzung der Kreatinin-Clearance (z. B. mit der CKD-EPI-Formel der Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration (siehe auch 32251)) – ermöglicht, die Wirkstoffauswahl der medikamentösen Therapie individuell anzupassen (siehe Abbildung 5).

Der Urinstatus z. B. mittels eines Urinstreifentestes ermöglicht die Identifikation einer Nierenkrankheit mit Proteinurie oder Hämaturie als potenzielle Ursachen der Hypertonie.

 Informationen Weiterführende Informationen: Weitere Quellen

Im Rahmen der Basisdiagnostik von Endorganschäden oder zur Identifikation von Hinweisen für eine sekundäre Hypertonie sind im weiteren diagnostischen Ablauf weitere laborchemische Untersuchungen möglich.

Die Leitliniengruppe verweist zur weiteren Diagnostik auch auf die NVL Typ-2-Diabetes (register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-001), die S3-Leitlinie Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention (register.awmf.org/de/leitlinien/detail/053-024) und die S3-Leitlinie Versorgung von Patienten mit chronischer nicht-dialysepflichtiger Nierenkrankheit in der Hausarztpraxis (register.awmf.org/de/leitlinien/detail/053-048).

3.1.5 Basisdiagnostik von Endorganschäden

Empfehlung

3-5 | e | neu 2023

a)

Allen Personen mit bestätigter Diagnose Hypertonie sollte zur Identifikation von Endorganschäden ein Ruhe-EKG mit zwölf Ableitungen empfohlen werden.

Empfehlung

b)

Patient*innen mit chronischer Nierenkrankheit (GFR < 60 ml/min) soll bei Erstdiagnose der Hypertonie eine Bestimmung der Albumin-Kreatinin Ratio im Urin empfohlen werden.

Starke Empfehlung

c)

Patient*innen mit Hypertonie ohne bekannte chronische Nierenkrankheit sollte bei Erstdiagnose der Hypertonie eine Bestimmung der Albumin-Kreatinin Ratio im Urin empfohlen werden.

Empfehlung

RationaleRationale

Ziel der in der Empfehlung aufgeführten Untersuchungen ist es, Personen zu identifizieren, die durch die Hypertonie bereits kardiovaskuläre Folgeschäden aufweisen.

Ruhe-EKG: Die Sensitivität der untersuchten Scores des Ruhe-EKG mit zwölf Ableitungen zur Identifikation einer linksventrikulären Hypertrophie wird von der Leitliniengruppe bei eingeschränkter Präzision und inkonsistenter Studienlage als sehr gering eingestuft. Es können sich daraus allenfalls Hinweis auf die Notwendigkeit einer weiteren echokardiografischen Diagnostik ergeben. Für die Spezifität haben sich teilweise hohe Werte ergeben. Da aber auch hier die Ergebnisse der Einzelstudien inkonsistent sind, hält die Leitliniengruppe den sicheren Ausschluss einer linksventrikulären Hypertrophie allein mittels EKG nicht für möglich.

Dennoch sieht die Leitliniengruppe für das Ruhe-EKG mit zwölf Ableitungen einen hohen Stellenwert in der Basisdiagnostik von Endorganschäden, da es Hinweise auf kardiovaskuläre Durchblutungsstörungen oder Herzrhythmusstörungen liefern kann. Da gleichzeitig relevante Schäden durch die nicht-invasive Untersuchung nicht plausibel sind, wird sie mit einem abgeschwächten Empfehlungsgrad empfohlen – basierend auf sechs Primärstudien (geringe Aussagesicherheit der Evidenz); idealerweise mittels einer automatisierten Auswertung neben einer visuellen Beurteilung, falls dies möglich ist.

ACR: Die Leitliniengruppe schätzt die identifizierte prognostische Evidenz zur Assoziation zwischen der Mikroalbuminurie und kardiovaskulären Endpunkten als belastbar genug ein, um die Diagnostik mittels Album-Kreatinin-Ratio (ACR) im Labor zu empfehlen - herangezogen wurden eine systematische Übersichtsarbeit sowie drei Metaanalysen auf Individualdatenbasis (geringe bis sehr geringe Aussagesicherheit der Evidenz). Hierin sieht sie die Möglichkeit, eine Endotheldysfunktion zu identifizieren, die Auswirkungen auf alle Gefäße haben kann und gegebenenfalls ein engmaschigeres Monitoring der Betroffenen erforderlich macht. Sie weist darauf hin, dass die laborchemische Bestimmung der ACR weniger Einflüssen (z. B. vorheriger Trinkmenge) unterliegt, als dass dies bei der Erfassung der Mikroalbuminurie mittels Indikator-Streifentest der Fall wäre. Sie sieht kein Schadenspotential in der Bestimmung.

Dabei sieht die Leitliniengruppe bei eingeschränkter Nierenfunktion eine höhere Dringlichkeit für diese Untersuchung und daher einen stärkeren Empfehlungsgrad: Bei Menschen mit einer eGFR < 60 ml/min begründet die therapeutische Konsequenz den starken Empfehlungsgrad, insbesondere, da die Identifikation weiterer Schädigungen sowie einer Endotheldysfunktion, die Auswirkungen auf alle Gefäße haben kann, als klinisch sehr relevant eingestuft wird. Bei Menschen mit besserer Nierenfunktion (eGFR > 60ml/min) geht die Leitlineingruppe prinzipiell von einem Vorteil der Untersuchung aus, allerdings begründen hier die prognostisch günstigeren Voraussetzungen, die vermutlich geringere Ereignisrate und damit einhergehend der anzunehmend etwas geringere Vorteil der Untersuchung den abgeschwächten Empfehlungsgrad.

Diese Abstufung ist konsistent zur S3-Leitlinie "Versorgung von Patienten mit chronischer nicht-dialysepflichtiger Nierenerkrankung in der Hausarztpraxis" (register.awmf.org/de/leitlinien/detail/053-048).

 Patientenblatt Patientenmaterialien
  • Patientenblatt "Wie kommt es zu Gefäßschäden und Folgeerkrankungen?"

(siehe Patientenblätter)

3.1.5.1 Ruhe-EKG mit zwölf Ableitungen

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

In einer systematischen Recherche wurde die diagnostische Genauigkeit des Ruhe-EKG mit zwölf Ableitungen zur Identifikation einer linksventrikulären Hypertrophie untersucht. Es wurden sechs Primärstudien identifiziert 30361, 30363, 30364, 30355, 30349, 30344.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In den identifizierten Beobachtungsstudien wurden teilweise diverse Scores des Ruhe-EKG evaluiert. Die Leitliniengruppe entschied sich daher, ausgewählte Scores entsprechend der klinischen Relevanz genauer zu betrachten. Dazu zählten aus ihrer Sicht der Cornell-Voltage-Index sowie der Sokolow‐Lyon-Index.

Fünf der sechs identifizierten Beobachtungsstudien nutzten die transthorakale Echokardiographie als Referenztest 30361, 30363, 30355, 30349, 30344. In einer Studie wurde als Referenz die Computertomographie angewandt 30364.

Die Ergebnisse für die diagnostische Genauigkeit der einzelnen Scores unterschieden sich in den sechs Studien und wurden in den Evidenztabellen des Leitlinienreports ausführlich dargestellt 31384.

Zusammenfassend lässt sich berichten, dass für den Sokolow-Lyon-Index die Sensitivität zwischen 14% 30363 und 63,8% 30361 und die Spezifität zwischen 57% 30361 und 98% 30363 variierten.

Für den Cornell-Voltage-Index variierten die Sensitivität zwischen 9% 30364 und 25,4% 30355 und die Spezifität zwischen 50% 30355 und 98,8% 30364.

3.1.5.2 Albumin-Kreatinin-Ratio (ACR)

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Zur Frage, ob mit der Bestimmung der ACR Personen identifiziert werden können, die im Krankheitsverlauf ein höheres Risiko haben, Endorganschäden zu erleiden, wurde eine systematische Recherche durchgeführt. Es wurden eine systematische Übersichtsarbeit 30297 und drei Metaanalysen von Individualdaten des "Chronic Kidney Disease Prognosis Consortium" identifiziert 30291, 30290, 30332.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Ob die Proteinurie einen Prädiktor für das Auftreten eines Schlaganfalles darstellt, untersuchten Kelly et al. 30297 in einer systematischen Übersichtsarbeit, in die sie 6 RCT und 32 Kohortenstudien einschlossen (n = 1 735 390). Die betrachteten Populationen waren hinsichtlich des Erkrankungsprofils gemischt. 36,8% der eingeschlossenen Studien berichteten eine Prävalenz des Diabetes von ≥ 30%. 31,6% der Studien hatten eine Prävalenz der Hypertonie von ≥ 75%. In einer für kardiovaskuläre Risikofaktoren adjustierten Analyse war die Proteinurie mit einem erhöhten relativen Risiko für das Auftreten eines Schlaganfalls assoziiert (RR 1,72 (95% KI 1,51; 1,95), I² = 77,3%, 33 Studien, n = 1 726 550). In einer adjustierten Analyse zu der Ausprägung der Albuminurie ergab sich eine Assoziation zwischen dem Vorhandensein einer Mikroalbuminurie und einem erhöhten relativen Risiko für einen Schlaganfall (RR 1,66 (95% KI 1,28; 2,16), I² = 94,0%, 18 Studien, n = 1 185 152). Subgruppenanalysen erbrachten Hinweise, dass das relative Risiko für einen Schlaganfall bei Vorhandensein einer Proteinurie unabhängig von der Prävalenz der Hypertonie in der Studienpopulation erhöht war (Prävalenz < 25%: RR 1,80 (95% KI 1,25; 2,58), 4 Studien; Prävalenz ≥ 75%: RR 1,49 (95% KI 1,26; 1,76), 10 Studien). 30297

Die Auswahl der Kohorten für die Individualdatenmetaanalyse wurde in einer gesonderten Publikation 30653 dargestellt. Neben der Recherche in einer Literaturdatenbank sichteten die Autor*innen auch Referenzlisten und kontaktierten weitere Autor*innen von Kohortenstudien. Das statistische Vorgehen wurde in den einzelnen Publikationen beschrieben. Als limitierend wird angesehen, dass keine Bewertung des Verzerrungsrisikos der eingeschlossenen Kohorten erfolgte. Für die Beantwortung der Fragestellungen der NVL Hypertonie werden nur die Auswertungen der "general" und "high risk", nicht jedoch der "chronic kidney disease population" zitiert.

Die Assoziation zwischen einer erhöhten Albumin-Creatinin-Ratio (ACR) und dem Risiko für kardiovaskuläre oder Gesamtmortalität bei Patient*innen mit (n = 347 256) und ohne Hypertonie (n = 742 240) untersuchten Mahmoodi et al. anhand von 32 Kohorten der gemischten Population (general und high risk) 30291. Die ACR war in der untersuchten Population bei Personen mit und ohne Hypertonie mit einem höheren Risiko für Gesamtmortalität und kardiovaskuläre Mortalität assoziiert. Bei Personen mit einer ACR unter 100 mg/g war das Mortalitätsrisiko derjenigen mit Hypertonie höher als das derer ohne Hypertonie. 30291

Die Assoziation zwischen einer Albuminurie und dem Risiko für Gesamt- bzw. kardiovaskuläre Mortalität untersuchten van der Velde 30290 in einer Hochrisikopopulation anhand von 10 Kohorten. In 6 Kohorten (n = 117 500) erfolgte die Messung mittels ACR in 4 mittels Streifentest (n = 149 475). Hochrisiko war definiert als Vorhandensein von Hypertonie, Diabetes oder kardiovaskulären Erkrankungen. Der gewichtete Mittelwert für das Vorhandensein einer Hypertonie betrug in der ACR-Kohorte 49,3% und in der Streifentest-Kohorte 58,8%. In den ACR-Kohorten war der mittlere Anteil von Patient*innen mit kardiovaskulären Erkrankungen höher als in den Streifentest-Kohorten (32,7% vs. 15,3%). Je stärker ausgeprägt die Albuminurie war, desto höher war das assoziierte relative Risiko für die kardiovaskuläre oder die Gesamtmortalität. Die aus den Auswertungen der Individualdaten errechneten Informationen zur Gesamtmortalität waren für beide Messverfahren ähnlich. 30290

Den Einfluss des Alters auf die Assoziation einer Albuminurie zur Mortalität untersuchten Hallan et al. 30332. Eingeschlossen wurden 26 General- und 8 High-Risk-Kohorten. Der mittlere Anteil der Menschen mit einer Hypertonie, mit einem Diabetes oder mit kardiovaskulären Erkrankungen war in allen Altersgruppen jeweils in der High-Risk-Kohorte höher als in der General-Risk-Kohorte. In beiden Kohorten war eine höheres Alter mit einer erhöhten Prävalenz der Albuminurie assoziiert. Das Mortalitätsrisiko war bei einer erhöhten Albuminurie in jeder Alterskategorie erhöht. Das relative Mortalitätsrisiko bei einer erhöhten Albuminausscheidung sank leicht mit zunehmendem Alter (HRs der Gesamtmortalität bei ACR 300 vs. 10 mg/g: 2,53 (95% KI 2,13–3,03) bei 18- bis 54-Jährigen, 2,30 (95% KI 1,84–2,88) bei 55- bis 64-Jährigen, 2,10 (95% KI 1,83–2,44) bei 65- bis 74-Jährigen und 1,73 (95% KI 1,45–2,05) bei > 75-Jährigen. Das absolute Risiko war hingegen in den höheren Altersgruppen erhöht: (Übersterblichkeit/1 000 Personen-Jahre bei ACR 300 mg/g vs. 10 mg/g nach Altersgruppen: 7,5 (95% KI, 4,3; 11,9) bei 18- bis-54-Jährigen, 12,2 (95% KI 7,9; 17,6) bei 55- bis 64-Jährigen, 22,7 (95% KI 15,3; 31,6) bei 65- bis 74-Jährigen und 34,3 (95% KI 19,5; 52,4) bei > 75-Jährigen). 30332

3.1.6 Erweiterte Diagnostik von Endorganschäden

Aus Sicht der Leitliniengruppe sind die Inhalte der erweiterten Diagnostik sehr individuell und die Besonderheiten des diagnostischen Vorgehens zu speziell für die NVL Hypertonie. Die Indikationen zur erweiterten Diagnostik von Endorganschäden beschreibt sie auf Basis der klinischen Erfahrung:

  • Verdachtsmomente in der Anamnese oder körperlichen Untersuchung;
  • auffällige Befunde bei der Basisdiagnostik von Endorganschäden;
  • hohe Werte in kardiovaskulären Risikoscores (siehe S3-Leitlinie Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention (www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/053-024.html)) oder relevante Komorbiditäten.

3.2 Sekundäre Hypertonie

Empfehlung

3-6 | k | neu 2023

Ergibt sich bei Patient*innen der Verdacht auf eine sekundäre Hypertonie (siehe Tabelle 6), soll weitere Diagnostik erfolgen.

Starke Empfehlung

Tabelle 6: Mögliche klinische Hinweise für eine sekundäre Hypertonie

Verdachtsdiagnose

Klinische Hinweise

Phäochromozytom

  • Tachykardie, Schwitzen, Palpitationen
  • Vorliegen eines Nebennieren-Tumors
  • Positive Familienanamnese für ein Phäochromozytom
  • Bei rascher Blutdruck-Eskalation < 40 Lebensjahr
  • Therapierefraktäre Hypertonie

Hyperaldosteronismus

  • Grad 2 (> 160/100 mmHg), bei Personen < 60 Jahre, Grad 3 (≥ 180/110 mmHg) oder therapierefraktäre Hypertonie
  • Trotz ≥ 3 antihypertensiven Wirkstoffen nicht kontrollierte Hypertonie
  • Spontane (oder Diuretika induzierte) Hypokaliämie
  • Vorliegen eines Nebennieren-Tumors
  • Positive Familienanamnese für einen primären Hyperaldosteronismus oder frühzeitig auftretende Hypertonie

Akromegalie

  • Veränderungen der Gesichtszüge
  • Vergrößerung von Händen, Füßen und Schädel

Cushing-Syndrom

  • Hautveränderungen (Hautatrophie, Rubeosis, Plethora, Ekchymosen, livide Striae, Akne, Hautinfektionen)
  • stammbetonte Fettgewebsverteilung und nuchales Fettpolster
  • Facies lunata
  • proximale Myopathie
  • Zyklusstörungen/Impotenz
  • psychische Auffälligkeiten

Hyperthyreose

  • Gewichtsabnahme
  • Tachykardie
  • Warme und feuchte Haut
  • Unruhe, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit
  • Tremor

(ggf. Hypothyreose)

  • Gewichtszunahme
  • Müdigkeit
  • Obstipation
  • Antriebsarmut, Depressivität
  • Frieren

Renale Erkrankungen

  • Therapierefraktäre Hypertonie
  • Schwere Hypertonie (≥ 180/110 mmHg)
  • ausgeprägte hypertensive Endorganschäden
  • Erstmanifestation Hypertonie < 30. Lebensjahr
  • Rasche Progression einer bekannten Hypertonie
  • aufgehobener Tag-Nacht-Rhythmus des Blutdrucks
  • Hämaturie oder Proteinurie

Schlafapnoe

  • lautes Schnarchen oder auffällige Atempausen
  • Nicht erholsamer Schlaf, ungewolltes Einschlafen am Tag
  • Verminderte Konzentrationsfähigkeit
RationaleRationale

Die Leitliniengruppe erachtet es als wichtig, behandelbare Ursachen für eine sekundäre Hypertonie sicher zu diagnostizieren, um eine geeignete Therapie planen und nicht geeignete Maßnahmen vermeiden zu können. Insbesondere unter dem Aspekt der Schadensvermeidung spricht sie konsensbasiert eine starke Empfehlung aus.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung wurde konsensbasiert ausgesprochen und beruht auf der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Einer sekundären Hypertonie liegen erfahrungsgemäß behandelbare Ursachen beziehungsweise Erkrankungen zugrunde, deren Therapie auch die Symptomatik der sekundären Hypertonie verbessert. Die Tabelle 6 spiegelt Informationen und klinische Hinweise wieder, die es den Behandelnden erleichtern, eine sekundäre Hypertonie zu identifizieren und die Betroffenen zu entsprechend qualifizierten Fachärzt*innen zu überweisen. Zum Umgang mit der weiteren Diagnostik und Therapie der Ursachen verweist die Leitliniengruppe auf die entsprechenden Leitlinien zur Grunderkrankung (www.awmf.org/leitlinien/leitlinien-suche.html). Zur therapieresistenten Hypertonie siehe auch Kapitel 7.3 Medikamentöse Therapie der therapieresistenten Hypertonie.

NVL Hypertonie, Version 1.0, 2023

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zuletzt verändert: 07.09.2023 | 10:39 Uhr