NVL Chronische Herzinsuffizienz, Version 4

8 Komorbiditäten (2019)

Viele Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz leiden aufgrund ihres hohen Alters an Komorbiditäten: Bei etwa der Hälfte der Patienten liegt eine koronare Herzkrankheit vor, bei etwa einem Drittel eine chronische Nierenerkrankung, Diabetes mellitus und/oder Vorhofflimmern/-flattern. Weitere häufige Komorbiditäten sind COPD, Depressionen, Anämien, schlafbezogene Atmungsstörungen und pAVK 28327, 26923, 25484, 15063, 13770. Viele Patienten weisen außerdem nicht nur eine, sondern mehrere Komorbiditäten auf: In einer deutschen Kohortenstudie (n = 1 054, LVEF < 40%) wurden bei rund 50% der Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz (NYHA I-IV) mindestens sieben weitere Erkrankungen diagnostiziert 13770.

Komorbiditäten beeinflussen nicht nur die Lebensqualität der Patienten, sondern auch die Prognose 14067, 13857, 13856. Den stärksten Einfluss auf die Mortalität innerhalb von 2,5 Jahren hatten in einer retrospektiven Individualdatenanalyse aus 31 RCTs und Beobachtungsstudien mit mehr als 39 000 Patienten (HFrEF und HFpEF) eine eingeschränkte Nierenfunktion, Diabetes mellitus und COPD 26111.

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

8-1

Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und Komorbiditäten soll gemeinsam mit dem Patienten festgelegt werden, welche Erkrankungen bzw. Symptome vordringlich behandelt werden sollen und auf welche diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen verzichtet werden kann.

Starke Empfehlung

Die Empfehlung stellt einen Expertenkonsens dar. Zur Begründung und für detaillierte Empfehlungen zur Therapieplanung, zur gemeinsamen Entscheidungsfindung und zum Umgang mit Multimorbidität siehe Kapitel 4 Therapieplanung (2019).

Bei Ko- und Multimorbidität kann es für manche Patienten wichtiger sein, belastende Symptome zu bekämpfen und auf eine potenziell lebensverlängernde Therapie zu verzichten. Daraus ergibt sich für die Leitliniengruppe die vorrangige Verpflichtung für die Behandelnden, die individuellen Therapieziele und Prioritäten der Patienten zu klären.

Die konkrete Behandlung der Begleiterkrankungen ist nicht Gegenstand dieser NVL. Die folgenden Abschnitte adressieren Aspekte, die im Zusammenhang mit einer gleichzeitig existierenden chronischen Herzinsuffizienz bedeutsam sind und ggf. Einfluss auf die herzinsuffizienzspezifische Medikation haben. Das Patientenblatt "Begleiterkrankungen – was ist wichtig zu wissen?" fasst in allgemeinverständlicher Sprache wichtige Aspekte für Patienten mit Komorbiditäten zusammen (siehe Anhang Patientenblätter).

8.1 Nierenerkrankungen

Herz- und Nierenerkrankungen treten häufig konsekutiv auf, was auch als "kardiorenales Syndrom" bezeichnet wird. Die NVL Chronische Herzinsuffizienz wendet diesen Begriff bewusst nicht an, da er unscharf umgrenzt und teilweise noch umstritten ist. 29769

Akutes Nierenversagen

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

8-2

Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und akuter Verschlechterung der Nierenfunktion sollen auf reversible Ursachen (z. B. Begleitmedikation, Hypovolämie, Hypotension, Harnwegsobstruktion oder -infektion) untersucht werden.

Starke Empfehlung

8-3

Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und akuter Verschlechterung der Nierenfunktion sollten folgende Maßnahmen empfohlen werden:

  • bei Dehydratation: Lockerung der Flüssigkeitsrestriktion, Dosisreduktion oder befristete Aussetzung des Diuretikums;
  • bei Therapie mit RAAS-Hemmern: Dosisreduktion oder befristete Aussetzung.

Starke Empfehlung

Die Empfehlungen beruhen auf einem Expertenkonsens. Die klinische Erfahrung zeigt, dass milde bis moderate Fluktuationen der Nierenfunktion bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz häufig sind, meist aber nicht einen Serumkreatinin-Anstieg > 30% des Ausgangswertes überschreiten. Von einem akuten Nierenversagen (AKI) ist auszugehen, wenn der Serum-Kreatininwert innerhalb von 48 Stunden um ≥ 0,3 mg/dl (≥ 26,5 μmol/l) bzw. innerhalb von 7 Tagen um das ≥ 1,5-fache steigt oder über mehr als 6 Stunden weniger als 0,5 ml/kg/h Urin ausgeschieden werden (AKI-Stadium 1 28607). In diesem Fall werden aus Sicht der Leitliniengruppe diagnostische Maßnahmen notwendig, um mögliche reversible Ursachen zu ermitteln. Ist die verschlechterte Nierenfunktion medikamentenassoziiert, werden Therapieanpassungen notwendig und die Kontrollintervalle müssen individuell verkürzt werden. Tabelle 24 gibt einen Überblick über Orientierungswerte für Serumkalium, Serumkreatinin und geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR), bei deren Erreichen die Dosis der Herzinsuffizienz-Medikation reduziert, die Therapie vorläufig ausgesetzt oder abgebrochen werden sollte.

Tabelle 24:  Renale Schwellenwerte für Therapieanpassungen bei Behandlung mit RAAS-Hemmern

 

ACE-H/ARB*

MRA*

Sacubitril/Valsartan**

Dosisreduktion

  • Anstieg von K+ >5,5 mmol/l oder
  • Anstieg von KREA > 50% über Ausgangswert bzw. Anstieg von KREA > 266 μmol/l (> 3 mg/dl) oder
  • Abfall der eGFR < 25 ml/min/1,73 m2

(trotz Reduktion von Diuretika (sofern keine Hypervolämie vorliegt) und Anpassung nephrotoxischer Begleitmedikation und/oder Beendigung kaliumretinierender Substanzen und einer Kaliumsubstitution)

  • Anstieg von K + > 5,5 mmol/l oder
  • Anstieg von KREA ≥ 221 μmol/l (≥ 2,5 mg/dl) oder
  • Abfall der eGFR < 30 ml/min/1,73 m2
  • bei "klinisch bedeutsamer" Nierenfunktionsstörung "schrittweise" Dosisreduktion "in Betracht ziehen"
  • bei "klinisch signifikanter Hyperkaliämie" Anpassung der Begleitarzneimittel, "vorübergehende Dosisreduktion oder Absetzen" empfohlen

Therapiestopp

  • Anstieg von K+ > 5,5 mmol/l oder
  • Anstieg von KREA >100% bzw. KREA > 310 μmol/l (> 3,5 mg/dl) oder
  • Abfall der eGFR < 20 ml/min/1,73 m2
  • Anstieg von K+ > 6,0 mmol/l oder
  • Anstieg von KREA > 310 μmol/l (> 3,5 mg/dl) oder
  • Abfall der eGFR < 20 ml/min/1,73 m2
  • bei K+ > 5,4 mmol/l "in Betracht ziehen"

Anmerkungen

Ein gewisser Anstieg von Harnstoff, Kreatinin und Kalium ist zu erwarten und tolerierbar.

 

geringere Anfangsdosis bei eGFR 30-60 ml/min/1,73 m2 "in Betracht ziehen"; bei eGFR < 30 ml/min/1,73 m2 "mit Vorsicht" und geringerer Anfangsdosis anwenden***, bei "chronischem Nierenversagen" nicht empfohlen

* erfahrungsbasierte Orientierungswerte, mod. nach 25512 (Web Tables); **Angaben laut Fachinformation, Stand Juni 2018 26394; *** Patienten mit eGFR <30 ml/min/1,73m2 waren aus der Zulassungsstudie ausgeschlossen; eGFR: geschätzte glomeruläre Filtrationsrate ; K+: Serumkalium; KREA: Serumkreatinin; ACE-H: ACE-Hemmer; ARB: Angiotensinrezeptorblocker; MRA: Mineralokortikoidrezeptorantagonisten

Chronische Nierenerkrankungen

Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz sind chronische Nierenerkrankungen sehr häufig, und viele Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen entwickeln kardiale Komorbiditäten. Das Spektrum der pathologischen Interaktionen von Herz und Niere ist breit und die Koexistenz von Erkrankungen beider Organe prognostisch ungünstig. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz stellt chronische Niereninsuffizienz einen der stärksten Prädiktoren für erhöhte Mortalität dar (siehe Kapitel 2.3 Prognosefaktoren).

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

8-4

Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und chronischer Nierenerkrankung sollen Elektrolythaushalt und Nierenfunktion engmaschig sowie daran orientierend die Indikation und Dosierung der Medikation geprüft und angepasst werden.

Starke Empfehlung

Die Empfehlung stellt einen Expertenkonsens dar und basiert auf klinischen Erfahrungswerten der Autoren.

Chronische Nierenerkrankungen verlaufen in der Regel progredient, so dass häufig eine Anpassung der Therapie – Deeskalation, befristete Aussetzung oder Absetzen – notwendig wird (siehe Tabelle 24). Daher sollen Elektrolythaushalt und Nierenfunktion engmaschig kontrolliert werden: vor Therapiebeginn und bei jeder Therapieänderung; 1-2 Wochen nach jeder Dosissteigerung; nach 3 Monaten und danach mindestens 6-monatlich (bei MRA: 4-monatlich); bei jeder Hospitalisierung (siehe Tabelle 24).

Die Autoren betonen die besondere Versorgungsrelevanz dieser Empfehlung, da in der Praxis die Kontrollen aus ihrer Erfahrung zu selten erfolgen, obwohl schwerwiegende und lebensbedrohliche Komplikationen drohen.

Bestimmung der Nierenfunktion

Neben der Messung des Serum-Kreatinins zur Bestimmung der Nierenfunktion empfiehlt es sich, zusätzlich die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) abzuschätzen. Hintergrund ist, dass insbesondere bei älteren oder kachektischen Patienten mit geringer Muskelmasse auch bei bereits deutlich eingeschränkter Nierenfunktion der Serum-Kreatininwert noch (hoch-)normal sein kann. Für Schätzung der GFR (estimated GFR) soll gemäß internationaler nephrologischer Fachgesellschaften vorzugsweise die CKD-EPIKrea Formel verwendet werden; bei grenzwertigen Befunden (geschätzte GFR 45-59 ml/min/1,73 m²) besteht die Option, Cystatin C als zusätzlichen Filtrationsmarker zu bestimmen (Schätzung der GFR mittels CKD-EPIKrea-Cys-Formel). 28032

Die Definition und Kategorisierung der chronischen Nierenerkrankung erfolgt nach der GFR, nicht nach der (zumeist mittels Cockcroft-Gault Formel abgeschätzter) Kreatinin-Clearance. Allerdings beziehen sich Arzneimittelstudien und -zulassungen uneinheitlich auf entweder eGFR oder Kreatinin-Clearance. Daher ist bei Medikamentenanpassungen darauf zu achten, dass die jeweils zutreffende Schätzformel verwendet wird, da sich durch die Schätzformel für die Kreatinin-Clearance (nach Cockcroft-Gault) tendenziell höhere Werte ergeben als für die – mit den heute in den Laboren üblicherweise verwendeten Formeln bestimmte – eGFR. Somit könnte derselbe Patient je nach verwendeter Schätzformel in unterschiedliche Kategorien der chronischen Nierenerkrankung eingestuft werden – mit der Folge einer potenziellen Unter- oder Überdosierung der Medikation.

Die Bestimmung der endogenen Kreatininclearance im 24-Stunden-Sammelurin hat aufgrund häufiger Ungenauigkeiten bei der Urinsammlung insbesondere im ambulanten Bereich nur noch einen Stellenwert als zusätzlicher Marker bei Einzelfällen mit massiv veränderter Muskelmasse (etwa nach Extremitätenamputationen).

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

8-5

Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und chronischer Nierenerkrankung mit eGFR ≥ 30 ml/min/1,73 m2 soll die gleiche medikamentöse Therapie empfohlen werden wie nierengesunden Patienten.

Starke Empfehlung

Die Empfehlung beruht auf der im Kapitel 6 Medikamentöse Therapie (2023) genannten empfehlungsbegründenden Evidenz (teils aus Leitlinienadaptationen, teils aus eigenen Recherchen nach systematischen Übersichtsarbeiten).

Für Patienten mit mäßiger Niereninsuffizienz (eGFR 30-60 ml/min/1,73 m2) liegen für die Basismedikation der chronischen Herzinsuffizienz Daten aus Subgruppenanalysen zahlreicher großer RCT vor. Zusammengefasst deutet die Evidenzlage darauf hin, dass RAAS-Hemmer häufig initial zu einer verschlechterten Nierenfunktion führen und das Risiko für Hyperkaliämien erhöhen können, aber dennoch positive Effekte auf Prognose und Symptomatik haben (Effektmaßen und zum Nutzen-Risiko-Verhältnis der einzelnen Wirkstoffe siehe Kapitel 6 Medikamentöse Therapie (2023)). Daher können nach Einschätzung der Leitliniengruppe die allgemeinen Empfehlungen zur medikamentösen Basistherapie auf Patienten mit mäßiger Niereninsuffizienz übertragen werden.

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

8-6

Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und chronischer Nierenerkrankung mit eGFR < 30 ml/min/1,73 m2 sollte unter Berücksichtigung klinischer Gesichtspunkte die gleiche medikamentöse Therapie empfohlen werden wie nierengesunden Patienten, sofern keine Kontraindikationen vorliegen.

Starke Empfehlung

Die Empfehlung stellt einen Expertenkonsens dar und basiert auf der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe.

Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz (eGFR < 30 ml/min/1,73 m2) werden aus den meisten klinischen Studien zur medikamentösen Therapie der Herzinsuffizienz ausgeschlossen. Daher gibt es für diese Patientengruppe kaum Evidenz aus großen RCTs. Die Leitliniengruppe schätzt das Nutzen-Risiko-Verhältnis (prognoseverbessernde Effekte vs. verschlechterte Nierenfunktion) jedoch als positiv ein und empfiehlt daher auch für Patienten mit eGFR < 30 ml/min/1,73 m2 die medikamentöse Basistherapie mit ACE-Hemmern bzw. ARB, Betarezeptorenblockern und MRA, jedoch

  • unter Berücksichtigung von Kontraindikationen;
  • unter Wahrnehmung der individuellen Aufklärungspflichten bei Off-Label-Use;
  • mit vorsichtiger Titration und ggf. Anpassung der Dosierung (s. u.);
  • mit besonders engmaschiger Kontrolle von Elektrolythaushalt und Nierenfunktion;
  • in Absprache mit dem behandelnden Nephrologen (Tabelle 28).

CAVE: Spironolacton und Eplerenon sind bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz kontraindiziert (siehe auch Hinweis zum Off-Label-Use).

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

8-7

Patient*innen mit chronischer Herzinsuffizienz und chronischer Nierenerkrankung mit eGFR < 30 ml/min/1,73 m2 sollte Sacubitril/Valsartan nicht empfohlen werden.

Starke Negativ-Empfehlung

Patient*innen mit eGFR < 30 ml/min/1,73 m2 waren aus der Zulassungsstudie ausgeschlossen; dennoch ist Sacubitril/Valsartan formell auch für diese Patient*innen zugelassen. Die systemische Exposition von Sacubitrilat, dem aktiven Metaboliten von Sacubitril, ist bei Patienten mit leichter bis schwerer Niereninsuffizienz erhöht 26394, 28639. Wenn Patient*innen mit einer eGFR < 30 ml/min/1,73 m2 behandelt werden, soll dies laut Fachinformation "mit Vorsicht" erfolgen. Bei Patient*innen mit chronischem Nierenversagen wird von einer Anwendung abgeraten 26394. Sacubitril/Valsartan kann die Nierenfunktion (weiter) vermindern; laut Fachinformation soll bei klinisch bedeutsamer Abnahme eine schrittweise Dosisreduktion in Betracht gezogen werden 26394.

Patient*innen mit leichter oder mittelschwerer Nierenfunktionsstörung hatten in der Zulassungsstudie ein erhöhtes Hypotonie-Risiko. 26394

Chronische Nierenerkrankungen führen zu einer Erhöhung der Plasmaspiegel natriuretischer Peptide, die durch die Akkumulation von Sacubitril/Valsartan bzw. Sacubitrilat weiter gesteigert wird. Die klinische Bedeutung dieses Umstandes ist unklar.

Es existieren bislang nur geringe klinische Erfahrungswerte für die Therapie mit Sacubitril/Valsartan bei Patient*innen mit schweren Nierenfunktionsstörungen. Die Leitliniengruppe plädiert daher mehrheitlich für eine schwache Negativ-Empfehlung bei dieser Patientengruppe. In Ausnahmefällen, insbesondere bei einer eGFR nahe 30 ml/min/1,73 m2, ist eine vorsichtige Anwendung in Absprache mit dem behandelnden Nephrologen zu diskutieren (siehe auch Kapitel 8.1 Nierenerkrankungen).

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

8-8

Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und chronischer Nierenerkrankung sollte die Erhaltungsdosis von Digoxin reduziert bzw. auf Digitoxin umgestellt werden.

Starke Empfehlung

Die Empfehlung stellt einen Expertenkonsens dar.

Digoxin wird ausschließlich renal eliminiert und hat nur eine geringe therapeutische Breite. Bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz und generell bei älteren und weiblichen Patienten ist daher besondere Vorsicht geboten, um toxische Dosierungen zu vermeiden 12818, 12827. Die Leitliniengruppe empfiehlt Zielserumkonzentrationen im unteren therapeutischen Bereich 12818, 12827, 26448 oder alternativ den Einsatz des bei Nierenfunktionsstörung hepatisch metabolisierten Digitoxins.

Weitere Aspekte bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und chronischen Nierenerkrankungen

NSAR und Cox-2-Hemmer können sich sowohl auf eine chronische Herzinsuffizienz als auch chronische Niereninsuffizienz ungünstig auswirken. Bei Vorliegen beider Erkrankungen ist ihr Einsatz daher besonders kritisch (vgl. Empfehlung 6-22 sowie Kapitel 8.11 Schmerz).

Eine systematische Recherche zu implantierbaren Kardioverter-Defibrillatoren 27967 ergab Hinweise, dass ICD bei Patienten mit Niereninsuffizienz weniger wirksam zu sein scheinen 26144, 26282, vermutlich weil bei ihnen tachykarde Störungen seltener sind. Aus Sicht der Autoren ist in diesem Fall die Indikation für die Implantation von ICD kritischer zu stellen.

S3 Versorgung von Patienten mit nicht-dialysepflichtiger Niereninsuffizienz in der Hausarztpraxis*

www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/053-048.html

* zum Zeitpunkt des Erscheinens der NVL Chronische Herzinsuffizienz noch nicht erschienen

8.2 Arterielle Hypertonie, KHK und Angina pectoris

Internationale Leitlinien empfehlen übereinstimmend, Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und Hypertonie, KHK und/oder Angina pectoris grundsätzlich zu behandeln wie Patienten ohne chronische Herzinsuffizienz. 25512, 24950, 27956 Für Patienten mit Herzinsuffizienz und erhaltener LVEF (HFpEF) ist die Behandlung prognostisch relevanter Komorbiditäten und insbesondere der arteriellen Hypertonie der wichtigste therapeutische Ansatz (siehe Kapitel 6.3 Medikamentöse Therapie bei Herzinsuffizienz mit erhaltener linksventrikulärer Ejektionsfraktion (HFpEF)).

Lipidsenkung: Die NVL Chronische KHK empfiehlt, bei Patienten mit ischämischer Genese der Herzinsuffizienz eine Statintherapie fortzuführen, vor allem in zeitlicher Nähe zu akuten koronaren Ereignissen 28150. Die Leitliniengruppe der NVL Chronische Herzinsuffizienz schließt sich dieser Einschätzung an und empfiehlt zudem, bei Patienten mit palliativer Zielsetzung die Indikation kritisch zu prüfen, da eine Statintherapie keinen kurzfristigen Effekt auf Lebensqualität und Symptomatik hat (siehe Kapitel 11 Palliativmedizinische Versorgung (2019))

Revaskularisierung: Zum Nutzen einer Bypass-Operation bei Patienten mit koronarer Mehrgefäßerkrankung und chronischer Herzinsuffizienz siehe Kapitel 7.4 Revaskularisation und NVL Chronische KHK 28150.

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

8-9

Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz sollen negativ-inotrope Kalziumkanalblocker (Verapamil, Diltiazem) oder kurzwirksame Präparate vom Dihydropyridin-Typ (z. B. Nifedipin) nicht eingesetzt werden, wenn eine arterielle Hypertonie bzw. stabile Angina pectoris nach Ausschöpfung der empfohlenen Medikation weiterbesteht und mit Kalziumkanalblockern behandelt werden soll.

Starke Negativ-Empfehlung

Die Empfehlung beruht auf einer evidenzbasierten Zusammenstellung der American Heart Association 25922 (siehe auch Empfehlung 6-22) und entspricht den Empfehlungen internationaler Leitlinien 25512, 24950, 27955.

Bei Patienten mit Herzinsuffizienz und arterieller Hypertonie oder stabiler Angina pectoris, die trotz einer Therapie mit ACE-Hemmern, Betarezeptorenblockern und Diuretika symptomatisch sind, stellen Kalziumkanalblocker aus Sicht der Autoren eine Reservemedikation dar. Negativ-inotrope Kalziumkanalblocker (Verapamil, Diltiazem) sowie kurzwirksame Präparate vom Nifedipin-Typ (z. B. Dihydropyridin) können negative Effekte auf eine bestehende Herzinsuffizienz haben 25922; nur für die Dihydropyridin-Kalziumkanalblocker Amlodipin und Felodipin liegen keine solchen Hinweise vor. Cave: Felodipin ist nur bei Hypertonie, nicht aber für die Behandlung der Angina pectoris zugelassen (siehe Hinweis zum Off-Label-Use).

Auch Moxonidin und Alpha-Andrenoceptor-Antagonisten können bei Patienten mit Herzinsuffizienz mit negativen Effekten verbunden sein 25922 (siehe Tabelle 18, Kapitel 6 Medikamentöse Therapie (2023)). Eine Dauertherapie mit Nitraten war bei Patienten mit HFpEF mit negativen Auswirkungen auf die Belastungsfähigkeit verbunden (28757, zitiert nach 27955).

NVL Chronische KHK

www.leitlinien.de/khk

8.3 Vorhofflimmern

Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern ergeben sich teilweise abweichende Behandlungsempfehlungen. Siehe dazu

8.4 Diabetes mellitus

Etwa ein Drittel der Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz sind zugleich an Diabetes mellitus erkrankt 28327, 14869, 15063, 13780. Diabetes mellitus beider Typen ist sowohl ein Risikofaktor für die Entstehung als auch einer der wichtigsten Prognosefaktoren für den Verlauf einer chronischen Herzinsuffizienz (siehe Kapitel 2.1 Epidemiologie).

Subgruppen- und Metaanalysen der im Kapitel 6 Medikamentöse Therapie (2023) aufgeführten empfehlungsbegründenden Evidenz für die Basistherapie der chronischen Herzinsuffizienz (z. T. aus Leitlinienadaptationen, z. T. aus eigenen systematischen Recherchen) kommen bezüglich deren Effektivität bei Patienten mit Diabetes mellitus zu sehr inkonsistenten Ergebnissen. Insgesamt scheinen die Patienten von der leitliniengerechten medikamentösen Herzinsuffizienz-Therapie zu profitieren, wenn auch bei einigen Medikamenten das Ausmaß dieses Nutzens etwas geringer zu sein scheint als bei Patienten ohne Diabetes mellitus 14153, 10897, 11660, 26422, 25017, 12811, 25426, 12815, 25541, 18922, 13789, 13853.

International gelten die Empfehlungen zur medikamentösen Therapie der chronischen Herzinsuffizienz auch für Patienten mit Diabetes mellitus 25512, 27956.

Zu beachten ist, dass Patienten mit komorbidem Diabetes mellitus erfahrungsgemäß unter ACE-Hemmern, ARB, MRA und kaliumsparenden Diuretika häufiger Hyperkaliämien entwickeln. Zudem kann eine Therapie mit Betarezeptorenblockern die Symptome von Hypoglykämien maskieren.

Ebenso wie bei der Behandlung der Chronischen Herzinsuffizienz sind auch bei Diabetes mellitus ein regelmäßiges Monitoring (v. a. Blutdruck, Nierenwerte; siehe Kapitel 3.4 Verlaufskontrolle) und nicht-medikamentöse Interventionen (z. B. körperliche Aktivität, Tabakverzicht) wichtige Eckpfeiler der Versorgung. Dazu sowie zur Wahl der blutzuckersenkenden Medikation bei Patienten mit manifesten kardiovaskulären Erkrankungen wird die NVL Typ-2-Diabetes (2. Auflage) informieren. Antidiabetika, deren Indikation bei Herzinsuffizienz kritisch geprüft werden sollte, sind in Tabelle 18 im Kapitel 6 Medikamentöse Therapie (2023) aufgeführt.

NVL Typ-2-Diabetes (2. Auflage)*

www.leitlinien.de/diabetes

* zum Zeitpunkt des Erscheinens der NVL Chronische Herzinsuffizienz in Erstellung

8.5 Atemwegserkrankungen

COPD und Asthma

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

8-10

Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und klinischen Anhaltspunkten für eine pulmonale Ursache der Dyspnoe sollte eine Lungenfunktionsprüfung empfohlen werden.

Starke Empfehlung

Da Dyspnoe ein Leitsymptom sowohl der chronischen Herzinsuffizienz als auch von Lungenkrankheiten wie COPD und Asthma ist, empfiehlt die Leitliniengruppe aus klinischer Erfahrung, bei Patienten mit entsprechender Komorbidität zu eruieren, inwieweit die kardiale und die pulmonale Erkrankung für die Atembeschwerden des Patienten verantwortlich sind, damit die Therapie entsprechend angepasst werden kann. Bei der Lungenfunktionsprüfung ist zu beachten, dass bei akut dekompensierten Patienten die Ergebnisse verfälscht sein können. Daher setzt die Messung wie auch die Indikationsstellung zur antiobstruktiven Therapie einen bestmöglich rekompensierten Zustand voraus.

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

8-11

Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz stellt Asthma bronchiale keine absolute Kontraindikation für eine Therapie mit kardioselektiven Betarezeptoren­blockern dar.

Statement

8-12

Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und COPD sollen mit kardioselektiven Betarezeptorenblockern behandelt werden.

Starke Empfehlung

In einer strukturierten Recherche wurden zwei Cochrane-Reviews identifiziert, deren Aussagesicherheit aufgrund der geringen Patientenanzahl (n für Dauerbehandlung: 141 bzw. 185) und der mangelhaften Studienqualität jedoch begrenzt ist. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass von Patienten mit COPD eine Betarezeptorenblocker-Therapie meist gut toleriert wird 26980, 27026. Bei Patienten mit Asthma können nicht-selektive Betarezeptorenblocker (z. B. Carvedilol) bronchospastische Symptome verschärfen. Sie sind mit einem erhöhten Risiko für moderate und schwere Asthmaanfälle verbunden und daher in der Regel kontraindiziert. Kardioselektive (ß1-selektive) Betarezeptorenblocker (z. B. Bisoprolol, Metoprololsuccinat) scheinen nicht zu einer klinisch bedeutsamen Verschlechterung des Asthmas zu führen 26980.

In der Praxis ist die Abgrenzung von Asthma und COPD mitunter schwierig (Asthma-COPD-Overlap). Angesichts des nachgewiesenen Nutzens bei Herzinsuffizienz ist aus Sicht der Autoren der Einsatz von kardioselektiven Betarezeptorenblockern auch bei Patienten mit komorbidem Asthma bzw. Mischformen vertretbar: bei strenger Indikationsstellung, engmaschiger Kontrolle und in Absprache mit dem behandelnden Pneumologen. Wichtige Aspekte für die individuelle Therapieentscheidung sind dabei der Grad der Asthmakontrolle und das Ausmaß der Reversibilität.

NVL Asthma

www.leitlinien.de/asthma

NVL COPD*

www.leitlinien.de/copd

* zum Zeitpunkt des Erscheinens der NVL Chronische Herzinsuffizienz in Überarbeitung

Husten

Husten als Nebenwirkung von ACE-Hemmern kann Atemwegsinfektionen maskieren und umgekehrt. Um unnötige Abbrüche einer ACE-Hemmer-Therapie zu verhindern, empfehlen die Leitlinienautoren, bei allen Patienten mit Husten zunächst pulmonale Ursachen auszuschließen, bevor auf einen ARB umgestellt oder der ACE-Hemmers abgesetzt wird.

8.6 Schlafbezogene Atmungsstörungen

Schlafbezogene Atmungsstörungen sind bei Herzinsuffizienz häufig und treten sowohl bei Patienten mit HFpEF als auch bei Patienten mit HFrEF auf. Die Angaben zur Prävalenz in den Studien schwankt dabei stark – je nach Definition und Patientenpopulation. In einer von den Autoren selektiv eingebrachten großen deutschen Registerstudie (n = 6 876) wurden beispielsweise bei 46% aller Patienten mit HFrEF moderate oder schwere schlafbezogene Atmungsstörungen diagnostiziert 28818.

Pathophysiologisch wird zwischen obstruktiver (OSA) und zentraler (ZSA) Schlafapnoe unterschieden, wobei HFpEF-Patienten eher an der obstruktiven Form leiden, während bei Patienten mit HFrEF zentrale, obstruktive und Mischformen gleichermaßen auftreten. Männer sind häufiger betroffen als Frauen und die Prävalenz steigt mit dem Alter; als Risikofaktoren gelten Übergewicht, niedrigere Ejektionsfraktion, höheres Alter, Vorhofflimmern und männliches Geschlecht 28818.

Schlafapnoe beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität der Patienten, sondern triggert Erkrankungen wie Hypertonie, KHK oder Arrhythmien, die dann zur Herzinsuffizienz-Symptomatik beitragen und die Morbidität und Mortalität der Patienten erhöhen. 28821 Daher gehört Schlafapnoe zu den Aspekten, die bei Verdacht auf chronische Herzinsuffizienz erfragt und berücksichtigt werden sollen (siehe Empfehlung 3-1 und Tabelle 7), idealerweise mittels validierter Fragebögen (z. B. STOP, STOP-BANG, Epworth Sleepiness Scale 28821). Dennoch bleiben im Versorgungsalltag schlafbezogene Atmungsstörungen häufig unerkannt, was sich auch in der – verglichen mit den Prävalenzraten in Kohortenstudien – geringen Rate der nach ICD-10 kodierten Fallzahlen widerspiegelt (z. B. 28327).

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

8-13

Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und Tagesmüdigkeit, Einschlafneigung, nächtlichen Atemaussetzern und/oder anfallsweiser nächtlicher Luftnot sollte eine weiterführende Schlafapnoe-Diagnostik empfohlen werden.

Starke Empfehlung

Die Empfehlung basiert auf der S3-Leitlinie "Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen - Schlafbezogene Atmungsstörungen" 28821.

Aufgrund der hohen Prävalenz, der prognostischen Relevanz und bestehenden therapeutischen Möglichkeiten bei schlafbezogenen Atemstörungen möchten die Autoren der NVL Chronische Herzinsuffizienz die Aufmerksamkeit für diese Problematik erhöhen und empfehlen eine strukturierte Schlafanamnese, wenn selbst- oder fremdanamnestisch über typische Symptome wie Tagesmüdigkeit, Einschlafneigung oder nächtliche Atemaussetzer berichtet wird. Ein weiteres, jedoch sehr unspezifisches Symptom ist Schnarchen. Je mehr dieser Symptome vorliegen, umso höher die Vortestwahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer SBAS. Erhärtet sich der Verdacht auf Schlafapnoe und dadurch ausgelöste Gesundheitsprobleme wie verminderte Leistungsfähigkeit oder imperative Einschlafneigung, empfehlen die Leitlinienautoren die Abstimmung mit oder Überweisung zu einem Schlafmediziner, Pneumologen oder HNO-Arzt.

Da das Vorliegen einer Herzinsuffizienz die Vortestwahrscheinlichkeit für SBAS per se erhöht und klassische Symptome der SBAS in diesem Kollektiv nur schlecht mit dem Vorhandensein einer nächtlichen schlafbezogenen Atmungsstörung korrelieren, wird für diese Patientengruppe ein allgemeines Screening mittels einfacher portabler Geräte (1-3-Kanal-Systeme) diskutiert, um SBAS entweder auszuschließen bzw. den Verdacht zu erhärten 28821. Dahinter steht die Überlegung, dass Patienten mit kardiovaskulärer Komorbidität prognostisch von einer Therapie der SBAS profitieren könnten. Weil dieser Nutzen für Patienten mit Herzinsuffizienz ohne SBAS-Symptome bislang jedoch nicht belegt ist und weil sowohl das apparative Screening als auch die daraus möglicherweise abzuleitenden therapeutischen Konsequenzen für den Patienten mit Belastungen verbunden sind, entschloss sich die Leitliniengruppe, kein allgemeines Screening zu empfehlen, sondern bei Patienten mit bestehender SBAS-Symptomatik eine weiterführende Diagnostik durchzuführen.

Nach Einschätzung der Leitliniengruppe können die leitliniengerechte Behandlung der Herzinsuffizienz mit medikamentösen und nicht-medikamentöse Interventionen und das Befolgen von Empfehlungen zum Lebensstil schlafbezogene Atmungsstörungen und damit deren negative Effekte auf Lebensqualität bereits effektiv verringern. Zu speziellen therapeutischen Optionen bei Schlafapnoe siehe S3-Leitlinie 28821, doch liegen nicht für alle Patienten mit Herzinsuffizienz und schlafbezogenen Atmungsstörungen (CSA/OSA, Altersgruppen, HFpEF) genügend evidenzbasierte Daten vor. Zusammenfassend befürwortet die S3-Leitlinie bei Patienten mit Herzinsuffizienz eine spezifische Therapie der OSA, da diese mit positiven Effekten auf die Symptomatik der SBAS verbunden zu sein scheint. Bei Patienten mit ZSA inkl. Cheyne-Stokes-Atmung (CSA) empfiehlt die Leitlinie hingegen zunächst eine optimierte Therapie der Herzinsuffizienz; eine CPAP-Therapie kann bei symptomatischen Patienten erwogen werden. Bei Patienten mit HFrEF (LVEF ≤ 45%) und prädominanter ZSA wird eine nächtliche adaptive Servoventilation wegen negativer Effekte auf die kardiovaskuläre Mortalität nicht empfohlen. 28821

S3 Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen – Schlafbezogene Atmungsstörungen

www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/063-001.html

8.7 Psychische Komorbidität

Aufgrund der hohen Prävalenz und prognostischen Bedeutung psychischer/psychosomatischer Komorbiditäten ist ein entsprechendes Screening sowohl Bestandteil der initialen wie auch der Verlaufsdiagnostik (siehe Kapitel 3.3.2 Psychosoziale Diagnostik). Ergibt sich ein Verdacht auf psychische/psychosomatische Komorbiditäten, resultieren daraus entweder therapeutische Konsequenzen durch den Hausarzt oder in Abhängigkeit vom Schweregrad Überweisungen an andere Fachgruppen (Psychosomatik, Psychiatrie, Psychotherapie) zwecks weiterer Diagnostik und Mitbehandlung.

Evidenzbasis

Die folgenden Empfehlungen stellen jeweils einen Expertenkonsens dar und beruhen auf einer Extrapolation von Empfehlungen der NVL Unipolare Depression 26437, der S3-Leitlinie Angststörungen 24128 und – bezüglich spezifischer Fragen bei Patienten mit Herzinsuffizienz – eines konsensbasierten Positionspapiers zur Bedeutung von psychosozialen Faktoren in der Kardiologie 28638.

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

8-14

Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz sollten bei psychischer Komorbidität (z. B. Depression, Angststörungen etc.) zuerst Angebote im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung erhalten.

Körperliches Training kann zusätzlich hilfreich sein.

Abgeschwächte Empfehlung

8-15

Sind Maßnahmen der psychosomatischen Grundversorgung nicht ausreichend, sollten psychotherapeutische Verfahren empfohlen werden.

Abgeschwächte Empfehlung

8-16

Eine medikamentöse Therapie psychischer Komorbidität sollte bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz erst nach Ausschöpfung nicht-pharmakologischer Maßnahmen und nach psychiatrischer oder psychosomatischer Konsultation empfohlen werden.

Abgeschwächte Empfehlung

Entsprechend ausgebildete Haus- und andere Fachärzte können im Rahmen der sogenannten Psychosomatischen Grundversorgung 28763 Maßnahmen zur Versorgung psychisch kranker Menschen anbieten. Im Wesentlichen umfasst dies Gesprächsangebote zur Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung und in Krisensituationen, aber auch niedrigschwellige psychosoziale Interventionen (z. B. verbale Interventionen, Entspannungsverfahren, Stressbewältigungstechniken, soziale Hilfen und Entlastung). Diese Form der hausärztlichen Problemlöseintervention kann in einer allgemeinen Population mit starken Depressionen ähnlich effektiv sein wie eine medikamentöse Behandlung (28761, 4815, zitiert nach 26437). Die Leitliniengruppe empfiehlt die primäre Betreuung im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung, weil der behandelnde Arzt mit dem psychosozialen Umfeld der Patienten vertraut ist und oft über viele Jahre ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden konnte.

Körperliches Training hat zusätzliche positive Effekte auf depressive Symptomatik und die allgemeine Lebensqualität (systematische Recherche 25949, 27714, 27718, 27729; siehe auch Kapitel 5.3 Körperliche Aktivität und Training).

Die Empfehlung zu psychotherapeutischen Interventionen beruht weniger auf einem evidenzbasierte Wirksamkeitsnachweis dieser Therapie bei Patienten mit Herzinsuffizienz (28997, zitiert nach 28638), als vielmehr auf dem Wunsch, Polypharmazie sowie Neben- und Wechselwirkungen von Antidepressiva bei Patienten mit Herzinsuffizienz zu vermeiden. 28638 Spezifische psychokardiologische Interventionsmöglichkeiten sind in Deutschland bislang nicht flächendeckend vorhanden. Die Leitliniengruppe empfiehlt daher, bei entsprechendem Bedarf die regionalen Möglichkeiten zu prüfen und den Patienten ggf. in integrierte Konzepte einzubinden, die sowohl psychokardiologische Betreuungsangebote als auch Trainingsprogramme umfassen (siehe Kapitel 10 Rehabilitation (2019) und Kapitel 12.3 Strukturierte Versorgung).

Vor dem Hintergrund von Polypharmazie und metabolischen Nebenwirkungen sieht die Leitliniengruppe eine medikamentöse Therapie psychischer Komorbidität nur als letzte Option. RCTs mit Psychopharmaka speziell bei Patienten mit Herzinsuffizienz sprechen zudem für keinen oder einen nur geringen Nutzen bei gleichzeitig potenziellen negativen Effekten (28918, 28919, zitiert nach 28638). Sie setzt eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung und ggf. auch die Rücksprache mit Spezialisten (Psychosomatiker, Psychiater) voraus (siehe auch Tabelle 28).

Zu konkreten therapeutischen Maßnahmen siehe die jeweilige Leitlinie. Psychopharmaka, die bei Herzinsuffizienz nicht oder nur eingeschränkt angewendet werden sollten, sind in Tabelle 18 im Kapitel 6 Medikamentöse Therapie (2023) aufgeführt.

NVL Unipolare Depression

www.leitlinien.de/depression

S3 Angststörungen

www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-028.html

S3 Posttraumatische Belastungsstörungen*

www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-010.html

S3 Funktionelle Körperbeschwerden

www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-001.html

* zum Zeitpunkt des Erscheinens der NVL Chronische Herzinsuffizienz in Überarbeitung

8.8 Kognitive Einschränkungen und Demenz

Chronische Herzinsuffizienz ist mit kognitiven Beeinträchtigungen und Demenz assoziiert, die ihrerseits mit einer schlechteren Prognose verbunden sein können 13952, 12503, 13957. Verschlechtert sich eine Herzinsuffizienz, können dem auch kognitive Einschränkungen und demenzielle Erkrankungen zugrunde liegen, da sie u. a. zu einer verschlechterten Adhärenz führen. Die progrediente Herzinsuffizienz kann dann wiederum die kognitiven Einschränkungen weiter verstärken. Dieses Problem spielt im Versorgungsalltag eine wichtige Rolle, da bis zu 50% aller Patienten mit Herzinsuffizienz mindestens leichtgradig kognitiv beeinträchtigt sind 28512, 28513, 28514, zitiert nach 28638.

Ein Verdacht auf zunehmende kognitive Einschränkungen oder Demenz kann durch ein geriatrisches Assessment abgeklärt werden. Die S3-Leitlinie Demenzen benennt als einfache und zeitökonomischen Testverfahren den Mini-Mental-Status-Test (MMST), den DemTect, den Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung (TFDD), den Montreal Cognitive Assessment Test (MoCA) sowie den Uhrentest 27760. Bestätigt sich der Verdacht auf kognitive Leistungseinbuße, empfiehlt es sich, Angehörige und/oder Pflegepersonal zu informieren und in die Versorgung einzubinden, um die Einnahme der verschriebenen Herzinsuffizienz-Medikation und die Adhärenz zu nicht-medikamentösen Therapieempfehlungen zu gewährleisten.

S3 Demenzen

www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/038-013.html

8.9 Anämie und Eisenmangel

Anämie ist eine häufige Komorbidität bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz. Je nach Population und Definition schwanken die Angaben zur Prävalenz in Studien sehr stark (10-68%) (28894, zitiert nach 27956, 14110). Eine komorbide Anämie ist bei Patienten mit Herzinsuffizienz assoziiert mit einem erhöhten Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko 14110, 14108.

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

8-17

Erythropoesestimulierende Substanzen sollen bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz ohne fortgeschrittene Niereninsuffizienz nicht zur Behandlung einer Anämie eingesetzt werden.

Starke Negativ-Empfehlung

Eine Behandlung der Anämie bei Patienten mit Herzinsuffizienz mit erythropoesestimulierenden Agentien wird von internationalen Leitlinien nicht empfohlen, da die Erythropoesestimulation mit Darbepoetin in Studien keinen Effekt auf Mortalität und Morbidität bei Patienten mit HFrEF hatte, jedoch mit mehr thromboembolischen Ereignisse assoziiert war (28760, zitiert nach 25512). Besondere Relevanz hat diese Empfehlung für Patienten ohne chronische Nierenerkrankung oder mit nur milder oder moderater chronischer Nierenerkrankung, die aus der Erfahrung der Leitliniengruppe in der Versorgungspraxis zu häufig erythropoesestimulierende Substanzen erhalten, wohingegen die Behandlung eines Eisenmangels eher vernachlässigt wird. Aber auch bei Patienten mit schwerer chronischer Nierenerkrankung – insbesondere für Dialysepatienten – erscheint es aus Sicht der Leitliniengruppe sinnvoll, zunächst einen etwaigen Eisenmangel zu substituieren, bevor eine Therapie mit erythropoesestimulierenden Substanzen initiiert wird.

Eisenmangel tritt – auch ohne gleichzeitiges Vorliegen einer Anämie – je nach Definition bei 30 bis 50% aller Patienten mit Herzinsuffizienz auf (28820, zitiert nach 28758). In Studien wird er meist definiert als Serumferritin < 100 mg/L bzw. Serumferritin 100-299 mg/L bei einer Transferrinsättigung (TSAT) < 20%. Eisenmangel ist mit der Schwere der Erkrankung und negativ mit der Prognose assoziiert (28820, zitiert nach 28758).

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

8-18

Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz ab NYHA II konnte kein Nutzen bezüglich einer Supplementierung mit oralen Eisenpräparaten gezeigt werden.

Statement

8-19

Eine i. v. Eisensupplementierung kann bei Patienten mit HFrEF und Eisenmangel (Ferritin < 100 mg/L bzw. Ferritin 100-299 mg/L + TSAT < 20%) erwogen werden.

Offene Empfehlung

Die orale Supplementierung von Eisen ist im Versorgungsalltag weit verbreitet. In einer systematischen Recherche wurde ein RCT (n = 225) identifiziert, der eine hochdosierte Supplementierung mit oralem Eisenpolysaccharid speziell bei Patienten mit Herzinsuffizienz und Eisenmangel untersuchte. Die Intervention erbrachte im Vergleich zu Placebo keine Effekte auf die Belastungsfähigkeit und klinische Endpunkte; aufgrund der stark schwankenden Bioverfügbarkeit scheint auch der Eisenstoffwechsel nur in geringem Maße beeinflusst zu werden 28300. Orale Eisensupplementierung hat daher aus Sicht der Autoren keinen Stellenwert bei Patienten mit Herzinsuffizienz.

Bezüglich einer i. v. Eisensupplementierung ergab eine systematische Recherche Hinweise, dass patientenberichtete Endpunkte (Leistungsfähigkeit, Lebensqualität) und klinische Surrogate (Sechs-Minuten-Gehtest u. a.) verbessert werden können. "Harte" klinische Endpunkte (Dekompensationen, Krankenhausbehandlungen, Mortalität) waren nicht primäre Endpunkte der Studien. In Metaanalysen ergaben sich im Vergleich zu Placebo Vorteile hinsichtlich der Rate an Krankenhauseinweisungen (ARR 10,4%; OR 0,28 (95% KI 0,16; 0,49); p < 0,001 28295); die Event-Anzahl ist jedoch insgesamt zu klein und die Nachbeobachtungszeit zu kurz, um eine ausreichende Aussagekraft für diesen Endpunkt zu erreichen 28295, 28291, 28293, 28296.

Die Studien zu i. v. Eisen bei Herzinsuffizienz schlossen sowohl anämische als auch nicht-anämische Patienten mit ausschließlich HFrEF ein und untersuchten verschiedene Wirkstoffe, wobei die meiste Evidenz für Patienten mit Anämie und für Eisencarboxymaltose vorliegt 28305, 28299, 28329. Da auch Evidenz für andere Präparate vorliegt 28295, wenngleich methodisch weniger belastbar, schließt die Leitliniengruppe nicht aus, dass es sich um einen Klasseneffekt handelt und empfiehlt in Einklang mit den meisten internationalen Leitlinien (27956, 26931, 28328) keinen speziellen Wirkstoff.

Weil der Nutzen für anämische und nicht-anämische Patienten bislang nicht getrennt darstellbar ist, umfasst die Empfehlung alle Patienten mit HFrEF und Eisenmangel. Unklar ist bislang, welches Dosierungsschema am günstigsten ist (unverdünnt als Bolus, wiederholt niedrigdosiert, Häufigkeit der Wiederholungsinfusionen) und welche Effekte eine i. v. Eisensupplementierung bei Patienten mit HFpEF hat.

Die auf dem Markt befindlichen i. v. Eisen-Präparate unterscheiden sich im Hinblick auf Dosierung, Dauer und notwendige Anzahl der Infusionen ebenso wie bezüglich des Nebenwirkungsprofils. Ein Rote-Hand-Brief aus dem Jahr 2013 warnt vor schweren Überempfindlichkeitsreaktionen mit teils tödlichem Ausgang und bewertet das Nutzen-Risiko-Verhältnis von i. v. Eisen nur unter Beachtung besonderer Sicherheitshinweise als positiv: Unter anderem sollen in der Erkennung und Behandlung anaphylaktischer/anaphylaktoider Reaktionen geschulte Fachkräfte sowie eine vollständige Ausrüstung zur Reanimation unverzüglich verfügbar sein. Außerdem sollen die Patienten während und bis mindestens 30 Minuten nach jeder Applikation überwacht werden 28759. Während es in den durch die systematische Recherche identifizierten klinischen Studien keine Hinweise auf schwere allergische Reaktionen infolge von i. v. Eisensupplementierung gab, wurden in einer Suche nach Spontanmeldungen in der EudraVigilance-Datenbank auch Verdachtsfälle identifiziert, bei denen im zeitlichen Zusammenhang mit hochdosierten neueren Formulierungen schwere anaphylaktische Schocks auftraten, teils mit letalem Ausgang. Auch andere häufige Nebenwirkungen wie z. B. Hypophosphatämien sind zu berücksichtigen.

Vor dem Hintergrund der fehlenden Belege für die Effektivität bezüglich harter Endpunkte, der Sicherheitsbedenken sowie dem hohen Aufwand sowohl für die ambulanten Versorger als auch für die Patienten selbst, sehen die Autoren eine Indikation für die i. v. Eisensupplementierung nur im Einzelfall. Ein beispielhaftes Szenario für einen Therapieversuch ist ein Patient, der durch Erschöpfung und Müdigkeit sehr stark beeinträchtigt ist und alltägliche Wege nicht mehr schafft, ohne dass die Herzfunktion sich deutlich verschlechtert hat oder andere Ursachen vorliegen und bei dem ein Eisenmangel nachgewiesen wurde.

8.10 Kardiale Kachexie, Sarkopenie, Frailty

Bei den häufig älteren und/oder multimorbiden Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz besteht eine besondere Herausforderung für die Primärversorger darin, frühzeitig Einschränkungen der Alltagsfunktionalität zu erkennen, um Unterstützungsmaßnahmen einleiten und Autonomieverlust und Pflegebedürftigkeit verhindern zu können. Die Leitliniengruppe möchte das Bewusstsein für die geriatrische Problematik im Praxisalltag stärken.

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

8-20

Patienten mit Herzinsuffizienz sollten auf Anzeichen von Funktionsverlusten untersucht werden, insbesondere bei Veränderungen im Krankheitsverlauf (z. B. Dekompensationen). Dafür können geriatrische Assessmentverfahren angewendet werden.

Bei Hinweisen auf drohende oder manifeste Funktionsverluste sollten unterstützende Maßnahmen (z. B. Physiotherapie, Ernährungstherapie) eingeleitet werden.

Abgeschwächte Empfehlung

Zum Nutzen geriatrischer Assessments sowie zu Interventionsmöglichkeiten bei Gebrechlichkeit (Frailty) erfolgte eine strukturierte Suche nach systematischen Übersichtsarbeiten. Für Angaben zur Prävalenz und prognostischen Relevanz wurde nach epidemiologischen Daten aus dem deutschen bzw. europäischen Kontext gesucht.

Definitionen, prognostische Relevanz und Epidemiologi

Ein relevantes Problem bei geriatrischen und besonders bei chronisch kranken Patienten stellen Mangel- und Unterernährung dar. Eine kardiale Kachexie – definiert als ungewollter Gewichtsverlust von > 5% des nichtödematösen, ursprünglichen Körpergewichtes innerhalb von 12 Monaten 28893, zitiert nach 28890 – geht mit Appetitmangel, Muskelatrophie, Müdigkeit und Schwäche einher. Je schwerer die Herzinsuffizienz, umso schwerer fällt es den Patienten erfahrungsgemäß, sich gut zu ernähren – und je schlechter die Ernährung, umso schlechter die Prognose. Kachexie ist ein unabhängiger negativer Prädiktor für Lebensqualität, Morbidität und Mortalität. 28893, zitiert nach 28890 Sarkopenie, der alters- oder erkrankungsbedingte Verlust von Muskelmasse und Muskelkraft, ist ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für Pflegeabhängigkeit, schlechter Lebensqualität und Mortalität verbunden. 28890 Beide Erkrankungen können gemeinsam, aber auch unabhängig voneinander auftreten. 28892 Gebrechlichkeit (Frailty) als multifaktorielles geriatrisches Syndrom ist häufig die Folge von Kachexie und Sarkopenie. Die Patienten sind besonders vulnerabel, verlieren ihre Anpassungs- und Selbsthilfefähigkeit, bauen kognitiv ab und haben ein erhöhtes Risiko für Stürze, Pflegebedürftigkeit, Krankenhauseinweisungen und Tod. 28891

Angaben zur Prävalenz von Kachexie, Sarkopenie und Frailty bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz variieren in epidemiologischen Studien stark in Abhängigkeit von Population, Assessment-Methode und Definition. In der deutschen SICA-HF-Studie (n = 207) waren 21,3% der (ausschließlich männlichen) Patienten mit Herzinsuffizienz von Muskelabbau betroffen; bei 18,8% wurde eine Kachexie diagnostiziert. 28892 Eine spanische prospektive Kohortenstudie (FRAIL-HF) fand bei Patienten mit Herzinsuffizienz ≥ 70 Jahren eine Frailty-Prävalenz von 76% (Definition nach Fried-Kriterien). Von den Patienten mit Frailty wiesen drei Viertel eine Muskelschwäche auf (Patienten ohne Frailty: 25%) und mehr als ein Drittel einen unbeabsichtigten Gewichtsverlust (Patienten ohne Frailty: 7%). 28891

Assessment

Erste Anzeichen für Einschränkungen und Vulnerabilität fallen im Praxisalltag erfahrungsgemäß nicht unbedingt auf und werden daher häufig übersehen. Gebrechlichkeit entwickelt sich zumeist schleichend über Jahre hinweg. Zu akut fortschreitenden Verläufen mit schnellem Verlust der Funktionalität kommt es erfahrungsgemäß nach Krankenhausaufenthalten oder nach Ereignissen, die zu einer Immobilisierung und Schwächung der Patienten führen (Dekompensationen, Infektionen). Ein geriatrisches Assessment ist die Voraussetzung, um zielgerichtet präventive oder unterstützende Maßnahmen einleiten zu können. Dazu existieren verschiedenste Fragebögen und andere Verfahren. In einer strukturierten Suche wurden keine Übersichtsarbeiten zum Frailty-Assessment speziell bei Patienten mit Herzinsuffizienz identifiziert. Ein Review zu stationär behandelten Patienten ≥ 65 Jahre ergab, dass sich durch geriatrische Assessments die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass die Patienten nach einem Jahr noch zu Hause lebten (RR 1,06 (95% KI 10,1; 1,10); Datenqualität hoch) und es seltener zu Einweisungen in ein Pflegeheim kam (RR 0,80 (95% KI 0,72; 0,89); Datenqualität hoch). 29211 Ein Metareview untersuchte den Nutzen verschiedener Screening-Tools bei ambulant oder stationär behandelten oder institutionalisierten Patienten > 60 Jahren. Ein universell geeignetes Tool mit guter Vorhersagefähigkeit, akzeptabler Validität und Diagnosegenauigkeit wurde nicht identifiziert; der Review bestätigte aber den Nutzen einfacher Risikoindikatoren (z. B. Ganggeschwindigkeit). 29210

Für Primärversorger gibt es einfache und in Deutschland durch die Kassen auch vergütete Möglichkeiten eines geriatrischen Basis-Assessments, um vulnerable Patienten frühzeitig und mit geringem Aufwand zu erkennen. Zu diesen Werkzeugen, mit denen u. a. Selbstversorgungsfähigkeit des Patienten, Mobilität und Ernährung erfasst werden können, zählen z. B. Griffstärketest, Stuhl-Aufstehtest, Tandemstand, Mobilitätstest nach Tinetti, Barthel-Index, Mini Nutritional Assessment; hinzu kommen weitere Testverfahren zur Abklärung der kognitiven Funktionalität (siehe Kapitel 8.8 Kognitive Einschränkungen und Demenz). Das Kompetenz-Centrum Geriatrie stellt unter http://kcgeriatrie.de eine große Auswahl von Assessment-Instrumenten zur Verfügung.

Geriatrisch spezialisierte Vertragsärzte können zudem umfassendere spezialisierte geriatrische Assessments abrechnen. Voraussetzung ist, dass die Patienten ≥ 70 Jahre alt sind, mindestens zwei geriatrische Syndrome aufweisen (bzw. ein geriatrisches Syndrom und einen Pflegegrad) und zuvor ein hausärztliches geriatrisches Basis-Assessment erfolgt ist.

Unterstützende Maßnahmen und therapeutische Interventionen

Basierend auf den Ergebnissen des geriatrischen Assessments können Risikopatienten beobachtet und wenn nötig präventive oder unterstützende Maßnahmen eingeleitet werden:

  • Problembewusstsein bei Patienten und Angehörigen schaffen (z. B. auf erhöhtes Sturzrisiko hinweisen);
  • Hilfsmittel für den Alltag einsetzen (z. B. spezielles Besteck und Geschirr, Antirutschmatten, Rollator, Hausnotruf);
  • Pflege- und Sozialdienste in Anspruch nehmen (z. B. "Essen auf Rädern");
  • zu einfacher körperlicher Aktivität anregen (z. B. Spazierengehen, Gartenarbeit);
  • zu geistiger Stimulation anregen (z. B. Lesen, Kreuzworträtsel).

Als therapeutische Interventionen bei kardialer Kachexie, Sarkopenie und Frailty kommen beispielsweise Kraft-, Ausdauer- und Koordinationstraining, Physio- und Ergotherapie infrage (siehe Kapitel 5.3 Körperliche Aktivität und Training). In einer strukturierten Suche wurden keine Übersichtsarbeiten zur Behandlung von Frailty speziell bei Patienten mit Herzinsuffizienz identifiziert. Bei einer gemischter Patientenpopulation mit (Pre-)Frailty > 65 Jahren erwies sich in einem systematischen Review körperliche Aktivität als wirksamste Intervention zur Prävention von Frailty oder deren Progression – jedoch nur, wenn sie in Gruppen durchgeführt wurden. Weitere positive Effekte hatten Nahrungsergänzungsmittel (z. B. hochkalorische Zusatznahrung); die Evidenzqualität ist jedoch schwach (Datenqualität hoch). 29209

Da der geriatrische Ansatz die funktionelle Ebene betrifft und damit unabhängig von der Nosologie ist, kann die Evidenz zu Assessment-Verfahren und Interventionen aus Sicht der Leitliniengruppe als repräsentativ auch speziell für Patienten mit Herzinsuffizienz betrachtet werden.

Für allgemeine Empfehlungen zum Umgang mit multimorbiden Patienten (Medikamenten-Review, Therapiedeeskalation, Therapiebeendigung) siehe Kapitel 4.3 Multimorbidität.

S3 DGEM-Terminologie in der Klinischen Ernährung

www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/073-019.html

S3 Klinische Ernährung in der Geriatrie*

www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/073-019.html

S3 Multimorbidität

www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/053-047.html

*zum Zeitpunkt des Erscheinens der NVL Chronische Herzinsuffizienz in Überarbeitung

8.11 Schmerz

Das Thema Schmerzmedikation ist für die Versorgung von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz von besonderer Relevanz, da gebräuchliche nichtsteroidale Antiphologistika (NSAP/NSAR/NSAID) wie z. B. Ibuprofen, Diclofenac oder selektive Cox2-Hemmer die Herzerkrankung negativ beeinflussen können (siehe Tabelle 18, Kapitel 6.4 Empfehlungen zur praktischen Durchführung einer medikamentösen Therapie) 25922, aber gerade bei den meist älteren und häufig multimorbiden Patienten als Therapie für Komorbiditäten indiziert sind (z. B. Rheuma, Arthrose, Kreuzschmerz, Osteoporose). Hinzu kommt der häufige Gebrauch als Selbstmedikation ("over-the-counter"-Präparate).

Die Leitliniengruppe betont daher die Bedeutung der Aufklärung und Sensibilisierung des Patienten für diese Problematik (siehe Tabelle 13 und Patientenblatt "Vorsicht bei bestimmten Medikamenten"; siehe Anhang Patientenblätter) und empfiehlt die Ausfertigung eines Medikationsplans (siehe Empfehlung 6-23). Da andere Schmerzmedikamente andere unerwünschte Wirkungen mit sich bringen können (z. B. Erhöhung des Sturzrisikos durch zentralwirksame Analgetika), gilt es Art und Dosierung von Schmerzmedikamenten mit Bedacht abzuwägen und ggf. zwischen den an der Versorgung beteiligten Haus- und Spezialfachärzten abzustimmen.

8.12 Gicht

Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz haben aufgrund mehrerer Faktoren (z. B. Langzeittherapie mit Schleifendiuretika, komorbide chronische Nierenerkrankung) ein erhöhtes Risiko für Hyperurikämien und damit verbundene akute Gichtanfälle.

Bei akuten Gichtanfällen sollen NSAR und COX-2-Hemmer bei Patienten mit Herzinsuffizienz nicht eingesetzt werden (siehe Empfehlung 6-22). Colchicin sehen die Autoren aufgrund seiner engen therapeutischen Breite und wegen des Risikos fataler Ausgänge als Reservemedikation. Systemische Kortikosteroide können als Langzeitmedikation Natrium- und Wasserretention verursachen. Als Kurzzeittherapie (4-5 Tage) und in Anbetraucht der bei akuter Gicht benötigten Dosis stellt dies nach Erfahrung der Autoren jedoch eher kein Problem dar.

Bezüglich einer Dauertherapie bei chronischer Hyperurikämie sehen die Autoren in der Versorgungspraxis Hinweise auf eine Überbehandlung. Sie empfehlen, nur die manifeste Gichtarthritis zu behandeln, hingegen bei nur gering erhöhten Harnsäurespiegeln ohne Symptomatik keine harnsäuresenkende Medikation ein- und Allopurinol ggf. abzusetzen, auch vor dem Hintergrund der Akkumulation bei gleichzeitig bestehender chronischer Nierenerkrankung.

Bei chronischer Herzinsuffizienz und komorbider schwerer Gicht ist aus Sicht der Autoren eine Abstimmung der Medikation zwischen den beteiligten Fachdisziplinen empfehlenswert. Für die Therapie der chronischen Gichtarthritis gibt es in selektiv eingebrachter Literatur Hinweise, dass Febuxostat bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen im Vergleich zu Allopurinol mit einer erhöhten kardiovaskulären Mortalität verbunden sein könnte; in der Subgruppe der Patienten mit Herzinsuffizienz war der Effekt jedoch nicht signifikant. 28920

S2e Gichtarthritis - fachärztliche Versorgung

www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/060-005.html

S2e Häufige Gichtanfälle und Chronische Gicht in der hausärztlichen Versorgung

www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/053-032a.html

S2e Akute Gicht in der hausärztlichen Versorgung*

www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/053-032b.html

*zum Zeitpunkt des Erscheinens der NVL Chronische Herzinsuffizienz noch nicht erschienen, Vorgängerversion (S1) Gültigkeit abgelaufen

 

 

NVL Chronische Herzinsuffizienz, Version 4.0, 2023

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