NVL COPD (2021)

2 Diagnostik und Monitoring

2.1 Diagnostisches Vorgehen

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

2-1

Bei der Diagnose der COPD soll entsprechend dem Algorithmus (siehe Abbildung 1) vorgegangen werden.

Starke Empfehlung

Abbildung - weißAbbildung 1: Diagnostik-Algorithmus

Der Algorithmus ist aktiv: Sie können den Verweisen folgen und per Klick auf die entsprechende Stelle direkt in die Leitlinie "springen".


1  z. B. Tabakanamnese, berufliche Anamnese

2  Es ist unwahrscheinlich, aber grundsätzlich möglich, dass in Spirometrie und Ganzkörperplethysmographie unauffällige Befunde erhoben werden, sich in der DLCO-Messung aber ein deutlich verminderter Wert ergibt. Das kann einerseits durch ein Emphysem bedingt sein, andererseits z. B. auch durch interstitielle Lungenerkrankungen, eine kardiale Grunderkrankung oder eine pulmonale Hypertonie. Eine restriktive Lungenerkrankung ist bei normalem Tiffeneau-Index und erniedrigter TLC in der Ganzkörperplethysmographie bzw. auch erniedrigter DLCO differentialdiagnostisch in Betracht zu ziehen. 28828

3  Bei diagnostischen Diskrepanzen, Diskrepanzen zwischen Lungenfunktion und Beschwerden oder nach klinischem Eindruck inadäquatem Therapieansprechen eignet sich die hochauflösende/dünnschichtige Computertomographie für die weiterführende Diagnostik (siehe Empfehlung 2-6).

Post BD: post Bronchodilatator, FEV1/FVC: Einsekundenkapazität/forcierte Vitalkapazität (Tiffeneau-Index), LLN: Lower Limit of Normal, GLI: Global Lung Initiative, GKP: Ganzkörperplethysmografie, DLCO: Diffusionskapazität für Kohlenmonoxid, TLC: totale Lungenkapazität

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis und Versorgungsproblem

Zum Stellenwert der unterschiedlichen diagnostischen Verfahren sowie zur Aussagekraft der Grenzwerte und dem potenziellen Risiko von Über- und Unterdiagnosen wurde eine systematische Recherche durchgeführt. Grundlage für den in Abbildung 1 dargestellten Algorithmus bildet zudem ein Expert*innenkonsens der Leitliniengruppe, der neben der S2k-Leitlinie COPD 28828 auf kritischen Überlegungen zur Krankheitsdefinition, Ressourcennutzung, Verfügbarkeit und potentiellen Belastungen durch die einzelnen Untersuchungen beruht.

Nach der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe wird die Diagnose COPD oft erst gestellt, wenn Patient*innen wegen einer Exazerbation ärztliche Hilfe suchen.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In einer systematischen Recherche zum Stellenwert der diagnostischen Verfahren Spirometrie, DLCO, Ganzkörperplethysmographie und Computertomographie für die Diagnose einer COPD konnten 16 Primärstudien identifiziert werden. Da für die Diagnose einer COPD kein standardisierter Referenztest existiert (sogenannter "Goldstandard") ist eine angemessene methodische Einschätzung in der QUADAS-2-Bewertung schwierig und erlaubt zudem keinen adäquaten Vergleich zwischen den einzelnen diagnostischen Verfahren. Auch sind die Aussagen der Studien nicht vergleichbar, da entweder der Endpunkt "Obstruktion" oder "Gewebeveränderung" untersucht wurde. Aufgrund ihrer unzureichenden methodischen Qualität in der QUADAS-2-Bewertung bzw. der Anwendbarkeit ihrer Studienergebnisse auf die Fragestellung der NVL COPD wurden diese Primärstudien nicht für den Entwurf eines Diagnostikalgorithmus bzw. für die Formulierung der Empfehlungen herangezogen.

Die im Algorithmus aufgeführte Empfehlung zur vorrangigen Nutzung der LLN (Lower Limit of Normal) nach den GLI-Referenzwerten 30471 für die Beurteilung der spirometrischen Daten beruht auf einer systematischen Recherche zum Thema Über- bzw. Unterdiagnose der COPD. Eine detaillierte Beschreibung dieser Recherche findet sich im Kapitel 2.4.2 Spirometrie (Evidenzbeschreibung zu Empfehlungen 2-4 und 2-5).

2.2 Anamnese

Eine ausführliche Anamnese ist wesentlicher Bestandteil der initialen Diagnostik. In Tabelle 4 werden orientierend diejenigen Punkte dargestellt, welche inhaltlich in einem Anamnesegespräch nach Meinung der Leitliniengruppe vorkommen bzw. abgefragt werden sollen.

 Tabelle Tabelle 4: Anamnese

Tabelle 4: Anamnese

(modifiziert nach 28828)

Anamneseinhalte

Exposition gegenüber

  • Tabakrauch
    (aktiv: In Packungsjahren (pack-years; werden vom Arzt oder von der Ärztin berechnet) sowie passiv)
    und
  • anderen Risikofaktoren
  • Bezugnahme auf ausführlichen Fragebogen für rauchende Patient*innen mit COPD (siehe Abbildung 2)
    oder
  • in verkürzter Form:
    • Rauchen Sie (noch)?
    • Seit wann?
    • Welche Tabakprodukte?
    • Wie viele pro Tag?

Beschwerden (wann bestehen Symptome wie Atemnot, Husten und Auswurf)

Häufigkeit von Exazerbationen mit und ohne Krankenhausaufenthalt1

Arbeitsanamnese, einschließlich Schadstoffexpositionen

Lungenkrankheiten in der Familienanamnese (inklusive Suchtanamnese)

Frühgeborene

Infekte in der Kindheit

Angaben über Asthma, Allergien, und andere Lungen- sowie HNO-Erkrankungen

Komorbiditäten (siehe Tabelle 8)

B-Symptomatik (Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust)

gegenwärtige Medikation

Körperliche Aktivität

1 Für eine strukturierte Erfassung der Exazerbationen kann der MEP-Fragebogen (Monitoring of Exacerbation Probability) 28144 (siehe Tabelle 11) herangezogen werden. Nähere Angaben hierzu finden sich im Kapitel 2.7 Strukturierte Symptomerfassung.

Weiterführende Informationen zur Erfassung der häufig vorkommenden Symptome Husten, Auswurf und/oder Atemnot werden im Kapitel 2.7 Strukturierte Symptomerfassung dargestellt.

2.2.1 Zusätzliche Anamnese für rauchende Patient*innen mit COPD

Der in Abbildung 2 (modifiziert nach 26599, 30885) dargestellte Fragebogen ist ein Vorschlag der Leitliniengruppe für eine strukturierte und ausführliche Anamnese zum aktuellen Rauchverhalten für rauchende Patient*innen mit COPD. Dieser kann im Wartezimmer ausgelegt und bereits vor der ärztlichen Konsultation selbstständig von Patient*innen ausgefüllt werden.

 Algorithmus Abbildung 2: Fragebogen für rauchende Patient*innen mit COPD

Abbildung 2: Fragebogen für rauchende Patient*innen mit COPD

(zum Vergrößern / Download und zur Aktivierung der Formularfunktionen Abbildung bitte anklicken)

Abbildung 2.jpg

2.2.2 Risikofaktoren

Die bedeutendste Ursache einer COPD ist die Exposition gegenüber Tabakrauch über mehrere Jahre. Weitere Risikofaktoren sind in Tabelle 5 aufgeführt.

 Tabelle Tabelle 5: Risikofaktoren für die Entwicklung einer COPD

Tabelle 5: Risikofaktoren für die Entwicklung einer COPD

(modifiziert nach 28828)

Exogene Faktoren

Genuine Faktoren

  • Inhalativer Tabakkonsum (auch passiv)
  • Inhalativer Konsum alternativer Tabakprodukte (wie Wasserpfeife, Tabakerhitzer, E-Zigaretten)
  • Berufsbedingte inhalative Noxen
  • Umweltnoxen (Biomassenexposition, Luftverunreinigung)
  • Intrauterine und frühkindliche Einwirkungen
  • Atemwegsinfektionen (in der Kindheit)
  • Tuberkulose
  • Sozioökonomischer Status
  • Genetische Prädisposition (z. B. Alpha-1-Protease-Inhibitor-Mangel)
  • Bronchiale Hyperreaktivität (Asthma)
  • Störungen des Lungenwachstums

In den letzten Jahren nahm das Angebot alternativer Tabakprodukte zu. Da diese Produkte Feinstaub und andere Emissionen freisetzen – und der Zusammenhang zwischen Feinstaub und der möglichen Entwicklung einer COPD bereits in der breiten Literatur belegt werden konnte – wurden auch alternative Tabakprodukte als potentielle Risikofaktoren zusätzlich in die Tabelle 5 aufgenommen (siehe auch Kapitel 3.3 E-Zigaretten).

2.3 Körperliche Untersuchung

Im Rahmen der körperlichen Untersuchung können bei mittelschwerer und schwerer Erkrankung die in Tabelle 6 aufgeführten folgende Befunde vorliegen:

 Tabelle Tabelle 6: Körperliche Untersuchung

Tabelle 6: Körperliche Untersuchung

Mögliche körperliche Untersuchungsbefunde bei mittelschwerer und schwerer Erkrankung

Verlängerte Exspiration, Giemen, Pfeifen und Brummen, abgeschwächtes Atemgeräusch bis zur "stummen Lunge"

Lungenüberblähung mit tief stehenden Zwerchfellhälften, ggf. Thorax in Inspirationsstellung, Einsatz der Atemhilfsmuskulatur, verstrichene Supraclaviculargruben, hypersonorer Klopfschall

zentrale Zyanose

periphere Ödeme

Trommelschlegelfinger

Kachexie

Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz
(Rückstau des Blutes in die Körpervenen):

  • Symptome: Beinödeme, Schwellung des Bauches (Aszites), Pleuraergüsse
  • Klinische Zeichen: sichtbare/tastbare präkordiale Pulsationen, Halsvenenstauung, Lebervergrößerung, periphere Ödeme, Aszites

Zeichen der Linksherzinsuffizienz
(Rückstau des Blutes in die Lungengefäße):

  • Symptome: Atemnot, zunächst unter Belastung, in fortgeschrittenen Stadien auch in Ruhe, Husten mit meist dünnflüssigem Sekret
  • Klinische Zeichen: Rasselgeräusche über der Lunge, Orthopnoe, Herzvergrößerung, meist Tachykardie, Pleuraergüsse, evtl. Cheyne-Stokes-Atmung, im weiteren Verlauf zusätzlich Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz

Bei einer leichten Form der COPD kann der körperliche Untersuchungsbefund auch unauffällig sein. Eine Inspektion der oberen Atemwege gehört ebenso zu einer ausführlichen körperlichen Untersuchung bei Patient*innen mit COPD.

2.4 Apparative Untersuchungen

2.4.1 Röntgen-Thorax

 Hintergrund Stellenwert und Hintergrund

Die Röntgenuntersuchung der Thoraxorgane wird auf Basis der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe als eine der ersten differentialdiagnostischen Maßnahmen im Rahmen der COPD-Diagnostik eingestuft. Insbesondere aus Gründen der guten Verfügbarkeit und Zugänglichkeit im deutschen Versorgungssystem, niedrigerer Kosten im Vergleich zu anderen bildgebenden Verfahren sowie aufgrund einer geringeren Strahlenbelastung ist die Röntgen-Thorax-Aufnahme bereits im oberen Abschnitt des Diagnostik-Algorithmus der NVL COPD (siehe Abbildung 1) aufgeführt. Die Leitliniengruppe weist jedoch explizit darauf hin, dass dieses diagnostische Verfahren nicht zum direkten Ausschluss von anderen Erkrankungen bzw. Komorbiditäten und auch nicht zum Ausschluss der Diagnose COPD geeignet ist. Die Untersuchung ist jedoch geeignet, den Verdacht auf andere, gegebenenfalls dringlicher zu behandelnde Ursachen der Symptomatik (zum Beispiel einen Tumor) zu erhärten und diese dann vorrangig abzuklären.

2.4.2 Spirometrie

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

2-2

Alle Patient*innen mit Verdacht auf COPD sollen eine Spirometrie erhalten.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die Leitliniengruppe schätzt die in einer systematischen Recherche identifizierten Studien als unzureichend ein, um die Frage des Stellenwertes der Spirometrie zu beantworten. Die Basis für die Diagnose einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung ist der Nachweis einer nicht oder kaum reversiblen Atemwegsobstruktion. Auch wenn die vorliegenden Studien wegen erheblicher methodischer Mängel keinen Vergleich der unterschiedlichen diagnostischen Verfahren erlauben, ist die Spirometrie nach Einschätzung der Leitliniengruppe eine breit verfügbare Untersuchung, die diesen Nachweis zuverlässig erlaubt. Daher spricht sie eine starke Empfehlung für die Lungenfunktionsprüfung mittels Spirometrie aus.

Für die Durchführung der Spirometrie sowie die Interpretation der gemessenen Lungenfunktionsparameter verweist die Leitliniengruppe auf die deutsche S2k-Leitlinie Spirometrie 25953 (www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-017.html).

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung basiert auf einer systematischen Recherche und der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Siehe Kapitel 2.1 Diagnostisches Vorgehen.

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

2-3

Bei Patient*innen mit nachgewiesener Atemwegsobstruktion soll zunächst ein Reversibilitätstest mit kurzwirkenden Beta-2-Sympathomimetika (SABA) durchgeführt werden.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Der Reversibilitätstest dient der Abgrenzung zu Asthma. Hochwertige aggregierte Evidenz konnte bei systematischen Recherchen zur NVL Asthma nicht identifiziert werden. Nationale wie internationale Leitlinien empfehlen übereinstimmend zunächst einen Reversibilitätstest mit kurzwirksamen Sympathomimetika (SABA). Daher wird auch hier konsensbasiert eine starke Empfehlung ausgesprochen.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung basiert auf den Formulierungen der NVL Asthma 30515 sowie den dort zugrundeliegenden systematischen Recherchen und der S2k-Leitlininie Spirometrie 25953. Da die Reversibilität die beiden Erkrankungen voneinander abgrenzt, ist der Rekurs auf die NVL Asthma begründet und nach Ansicht der Leitliniengruppe keine eigene systematische Recherche notwendig.

 Informationen Vertiefende Informationen: Reversibilitätstestung

Die Reversibilitätstestung soll entsprechend den Empfehlungen der aktuellen NVL Asthma 30515 (www.leitlinien.de/asthma) und der S2k-Leitlinie Spirometrie 25953 mit kurzwirksamen Beta-2-Sympathomimetika durchgeführt werden. Bringt diese Untersuchung keine Ergebnisse, kann in zweiter Instanz ein rasch wirksames Anticholinergikum angewendet werden. 30515, 25953

Eine COPD kann dabei nur bei vollständiger Normalisierung der Obstruktion ausgeschlossen werden 25953. Jedoch schließt eine fehlende Reversibilität in einem einzigen Reversibilitätstest ein Asthma auch nicht sicher aus, da ein Ansprechen zu einem späteren Untersuchungszeitpunkt möglich ist ("variable" Obstruktion bei Asthma). Zusätzlich ist vor der Testung der Reversibilität eine je nach Bronchodilatator differente Karenzzeit zu beachten – kurzwirksame Betamimetika und Anticholinergika 6 Stunden, langwirksame Betamimetika und Theophyllinpräparate 12 Stunden und langwirksame Anticholinergika 48 Stunden 25953.

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

2-4

Für die Diagnose einer COPD sollen die GLI-Referenzwerte herangezogen werden.

Starke Empfehlung

2-5

Nur bei fehlender Verfügbarkeit der GLI-Referenzwerte kann der starre Wert der FEV1/FVC < 70%1 herangezogen werden.

Offene Empfehlung

1 CAVE: Bei Verwendung des starren Wertes FEV1/FVC < 70% kommt es bei einem erheblichen Anteil älterer Menschen zu COPD-Überdiagnosen 25953, 28249, 28178, 28213, 28222, 28237.

RationaleRationale

Die in einer systematischen Recherche identifizierten Studien setzen sich zum größten Teil aus retrospektiven Querschnittstudien zusammen und sind damit von geringer Evidenzqualität. Die Leitliniengruppe schätzt die identifizierte Literatur dennoch als wichtig und richtungsweisend ein, insbesondere, da sich daraus Hinweise auf relevante Schäden durch die Verwendung der starren, bisher gebräuchlichen Grenzwerte ("Fixed Ratio") ergeben. Bei Hinweisen auf Schäden gelten auch geringere Evidenzlevel als empfehlungsleitend zur Schadensvermeidung. Die Leitliniengruppe formuliert auf Basis ihrer klinischen Erfahrungen und der Ergebnisse der Literaturrecherche die starke Empfehlung, bevorzugt die GLI-Referenzwerte 30471 für die Diagnose der COPD heranzuziehen, um Über- und Unterdiagnosen und damit eine inadäquate Behandlung möglichst zu vermeiden. Bei fehlenden technischen Voraussetzungen für die Erfassung der LLN nach den GLI-Referenzwerten hält die Leitliniengruppe für eine Übergangszeit auch die bisher gebräuchlichen Referenzwerte (FEV1/FVC < 0,7 nach Bronchodilatator) zur Erfassung der Schwere einer COPD für vertretbar, weist aber auf die Notwendigkeit hin, die technischen Voraussetzungen für die Berücksichtigung der GLI-LLN zeitnah flächendeckend zu schaffen.

Bei der Verwendung bisher gebräuchlicher Referenzwerte ("Fixed Ratio") muss jedoch immer das Risiko altersbedingter Über- oder Unterdiagnosen in Betracht gezogen werden.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlungen beruhen auf einer systematischen Recherche zum Thema Über- bzw. Unterdiagnose der COPD – insbesondere hinsichtlich der Verwendung der Fixed Ratio (FEV1/FVC < 0,7 nach Bronchodilatator-Gabe) oder der LLN-Werte (Lower Limit of Normal) als Definition für eine Obstruktion 30471.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In einer systematischen Recherche konnten 5 Publikationen identifiziert werden. Eine große retrospektive Analyse der Global Lung Initiative (GLI) 28249 wertet in der Routine erhobene spirometrische Daten von insgesamt 17 572 Studienteilnehmer*innen im Alter von 18 bis 85 Jahren aus und zeigt auf, dass die Nutzung der fixen Werte in den GOLD-Definitionen bei > 20% der Teilnehmer*innen bis zu einem Alter von 55 Jahren eine Atemwegsobstruktion unterdiagnostiziert, und 16-23% der älteren Menschen überdiagnostiziert hätte. Weitere identifizierte Publikationen 28178, 28213, 28222, 28237 liefern ebenfalls Hinweise, dass bei Verwendung des starren Wertes (FEV1/FVC < 70%) die Gefahr von altersbedingten Fehldiagnosen – sowohl der Überdiagnose einer COPD im Alter, als auch einer möglichen Unterdiagnose bei jüngeren Menschen – besteht.

 Informationen Vertiefende Informationen: Implementierung im niedergelassenen Bereich

Für die Berechnungen der LLN-Werte zum Nachweis einer Obstruktion nach den GLI-Referenzwerten müssen bestimmte technische Voraussetzungen erfüllt sein. Hierfür steht ein Software-Programm zur Verfügung, welches jedoch kostenpflichtig durch Techniker*innen im Spirometer installiert werden muss. Alternativ können Patient*innendaten auch manuell über eine PC-Software eingegeben und die Werte so berechnet werden, was allerdings mit zusätzlichem Zeitaufwand verbunden ist.

2.4.3 Ganzkörperplethysmographie

 Hintergrund Stellenwert und Hintergrund

Die Ganzkörperplethysmographie ist eine in Deutschland flächendeckend verfügbare Untersuchungsmethode und fester Bestandteil der ambulanten Versorgung. Sie stellt eine annähernd mitarbeitsunabhängige objektive Messmethode der Obstruktion dar und misst ergänzend zur Spirometrie sämtliche Volumina; sie gibt somit wichtige Informationen über eine Überblähung der Lunge und ist auch sinnvoll bei Patient*innen, die nicht in der Lage sind, auswertbare maximale und/oder forcierte Atemmanöver zusätzlich zur Spirometrie durchzuführen 28828. Die Druckflusskurve gibt Informationen über den Elastizitätsverlust der Lunge (exspiratorische Keule) und kann zur Abschätzung der Überblähung herangezogen werden.

2.4.4 DLCO

 Hintergrund Stellenwert und Hintergrund

Die DLCO (Diffusionskapazität für Kohlenstoffmonoxid) wird üblicherweise in der Single-Breath-Methode durchgeführt. Sie dient zur Abschätzung der Gasaustauschfläche beim Emphysem und kann zusammen mit dem ganzkörperplethysmographisch bestimmten Residualvolumen Hinweise auf den Anteil an nicht belüftbaren Lungenanteilen geben. Somit kann die DLCO auch eine Argumentationshilfe hinsichtlich interventioneller Eingriffe darstellen.

2.4.5 Computertomographie

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

2-6

Nur bei diagnostischen Diskrepanzen, Diskrepanzen1 zwischen Lungenfunktion und Beschwerden oder nach klinischem Eindruck inadäquatem Therapieansprechen1 soll eine Computertomographie durchgeführt werden (siehe Tabelle 7).

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die Frage nach dem Stellenwert der CT-Untersuchung lässt sich mit den in einer systematischen Recherche identifizierten Studien nicht beantworten. Da die COPD als obstruktive Erkrankung definiert wird, gilt der Nachweis der irreversiblen Obstruktion als grundlegend. Aus diesem Grund sehen die Autor*innen der Leitlinie keine Relevanz für die Computertomographie (CT) in der Basisdiagnostik. Wenn aber nach Ausschöpfung der Basisdiagnostik, insbesondere auch der potentiell günstigeren und leichter verfügbaren Untersuchungen wie Ganzkörperplethysmographie und DLCO, weiterhin Unsicherheit besteht oder wenn sich im Verlauf der Behandlung nur unzureichende Behandlungsergebnisse einstellen, sieht die Leitliniengruppe Handlungsbedarf und die Notwendigkeit, die Ursachen angemessen abzuklären. Dazu dient die Computertomographie. Deshalb spricht die Leitliniengruppe für diese Situation eine starke Empfehlung aus.

 Definition 1Erläuterung: "diagnostische Diskrepanzen"/"inadäquates Therapieansprechen"

Als diagnostische Diskrepanzen sieht die Leitliniengruppe beispielsweise die Konstellation von normalen spirometrischen Werten bei veränderten Ergebnissen in der DLCO und/oder Ganzkörperplethysmographie an, welche mittels Computertomographie weiter abgeklärt werden können. Ein nach klinischem Eindruck inadäquates Therapieansprechen kann sich beispielsweise als gleichbleibende oder sogar verschlechterte Symptomatik trotz Erweiterung von nicht-medikamentösen und medikamentösen Therapiemaßnahmen äußern.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung basiert auf einer systematischen Recherche und der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe. Die systematische Recherche erbrachte nur methodisch unzureichende Studien, die nicht für die Begründung der Fragestellung herangezogen werden können (siehe Hintergrundtext Abbildung 1).

 Informationen Vertiefende Informationen: Mögliche Indikationen

Basierend auf der durchgeführten systematischen Recherche zum Stellenwert der diagnostischen Verfahren besteht ein Expert*innenkonsens darüber, dass die computertomographische Untersuchung bei folgenden Fragestellungen relevant ist:

  • Abklärung pathologischer Befunde auf der Thorax Übersichtsaufnahme (einschließlich Verdacht auf Lungenkarzinom);
  • differentialdiagnostischen Erwägungen (z. B. Bronchiektasen, Lungenembolie, diffuse Lungenparenchymerkrankung, pleurale Erkrankungen);
  • vor möglichen interventionellen oder operativen Eingriffen wegen eines Emphysems (Bullektomie, Volumenreduktion, Resektion wegen Bronchiektasen, Lungentransplantation. 28828

Im Sinne des Strahlenschutzes sind indikationsspezifische CT-Protokolle in Betracht zu ziehen. Auch eine Patientenabdeckung (Bleischürze) der Abdominalregion und ein Schilddrüsenschutz bewirken eine Reduktion der jeweiligen Organdosis. Je nach eingesetztem Gerät kann eine Röhrenmodulation oder ein Sektorscan eingesetzt werden, um eine zusätzliche Dosiseinsparung zu erreichen. 30478

 Kapitel CT-technische Anforderungen

Die von der Leitliniengruppe empfohlenen technischen Anforderungen einer Computertomographie für die Beurteilung des Lungenparenchyms und der Atemwege bzw. für den diagnostischen Ausschluss anderer Erkrankungen sind in Tabelle 7 als kurze CT-Protokolle aufgeführt. Sie beruhen auf technischen Überlegungen sowie klinischer Erfahrung.

Tabelle 7: CT-technische Anforderungen

Parameter

COPD Parenchym/Atemwege

diagnostischer Ausschluss anderer Erkrankungen

Scanmodus

Spirale

Spirale

Schichtanzahl

≥ 16

≥ 16

Rotationszeit

≤ 1 s

≤ 1 s

Scanzeit

< 15 s

< 15 s

Schichtkollimation

≤ 1,25 mm

< 3 mm

Überlappung

Ca. 30-50%

Ca. 30-50%

Spannung

80-140 kV

80-140 kV

Röhrenstrom

≤ 100 mAs

≤ 120 mAs

Dosisautomatik

ja, wenn vorhanden

ja, wenn vorhanden

Rekonstruktion

Volumetrisch, kanten- + flächenbetont, vergrößert auf die Lunge

Schichtdicke ≤ 1 mm, iterativ, wenn vorhanden

Volumetrisch, kanten- + flächenbetont, vergrößert auf die Lunge

Schichtdicke ≤ 1 mm, iterativ, wenn vorhanden

KM-Volumen

kein

50-100 ml

KM Injektionsrate

entfällt

2-5 ml/s

Verzögerung

entfällt

Bolustrigger

2.5 Diagnostik von Komorbiditäten

Wichtige Komorbiditäten bei Patient*innen mit COPD sind in Tabelle 8 aufgeführt.

 Tabelle Tabelle 8: Häufige Komorbiditäten

Tabelle 8: Häufige Komorbiditäten

Komorbiditäten

Tabakabhängigkeit

Kardiovaskuläre Erkrankungen

Häufigste Entitäten:

  • arterielle Hypertonie
  • koronare Herzerkrankung mit und ohne stattgehabten Myokardinfarkt
  • Herzrhythmusstörungen
  • Herzinsuffizienz
  • periphere arterielle Verschlusskrankheit

Metabolisches Syndrom/Diabetes

Adipositas

Angststörung und Depression

Nächtliche Hypoxie, schlafbezogene Atemstörungen

Osteoporose

Lungenkarzinom

Pulmonale Hypertonie

Pulmonale Kachexie

Muskelschwäche

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Inhalte der Tabelle beruhen auf einem Expert*innenkonsens basierend auf der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe und werden gestützt durch epidemiologische und Register-Daten aus dem deutschen Versorgungskontext 29219, 29714. Zur Inzidenz psychischer Komorbidität bei COPD wurde zusätzlich eine systematische Recherche durchgeführt (siehe Kapitel 2.5.2 Angst und Depression). 28658, 28661

2.5.1 Tabakabhängigkeit

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

2-7

Bei rauchenden Patient*innen mit COPD soll der Fagerströmtest (FTCD) zur weiterführenden Diagnostik eingesetzt werden, wenn es für die Therapie relevant ist, die Stärke der Zigarettenabhängigkeit einzuschätzen.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Bei rauchenden Patient*innen mit COPD ist Verzicht auf Tabakkonsum ein zentrales Therapiekonzept. Da Tabakabhängigkeit einer besonderen und gezielten Behandlung bedarf, ist deren Erfassung essenziell für die Therapieplanung. Mit dem Fagerströmtest liegt ein niederschwellig einsetzbarer, validierter Test vor. Aus diesem Grund spricht die Leitliniengruppe – basierend auf der Empfehlung der S3-Leitlinie Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung 30885 – konsensbasiert eine starke Empfehlung aus.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung basiert auf einem Expert*innenkonsens und wurde mit der S3-Leitlinie Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung 30885 abgestimmt.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Tabakabhängigkeit ist eine häufige Komorbidität bei Patient*innen mit COPD – so werden beispielsweise im Qualitätsbericht 2017 des DMP Nordrhein 29714 38% der eingeschriebenen Patient*innen als Raucher dokumentiert. Auch die Angaben der DACCORD-Studie 29219 zum Baseline-Rauchstatus der Gesamtpopulation zeigen, dass in dieser Gruppe zu Beginn der Studie 38,3% (n = 2 271) der Patient*innen mit COPD aktiv rauchten. Eine valide Erfassung der Rauchgewohnheiten ist daher zentral für die Therapieplanung (siehe auch Kapitel 3 Tabakentwöhnung).

Die S3-Leitlinie Rauchen und Tabakabhängigkeit 30885 beschreibt die Reliabilität des Fagerströmtests (Fagerström Test for Cigarette Dependence; FTCD) als gut belegt, für die Validität lägen einzelne, zum Teil widersprüchliche Studien vor. Der FTCD sei – neben anderen quantitativen Instrumenten – ein gutes Screeninginstrument für die Erfassung der Tabakabhängigkeit bei täglichen Tabakkonsumenten; er scheint jedoch bei Raucher*innen mit geringerer Abhängigkeit etwas reliabler zu sein. Der Fagerströmtest ist im deutschsprachigen Raum das einzige validierte Instrument zur Diagnostik der Tabakabhängigkeit 30885. Dieser psychometrische Test besteht aus sechs Fragen zum Rauchverhalten und ermöglicht die Einschätzung der Stärke der Zigarettenabhängigkeit.

 Informationen Vertiefende Informationen: Objektive Messung des Tabakkonsums

Dieser Abschnitt beruht auf den Inhalten der S3-Leitlinie Tabakentwöhnung bei COPD 26599. Die Leitliniengruppe schätzt die dort beschriebenen Sachverhalte als weiterhin gültig ein.

Objektive Messverfahren stellen eine Handlungsoption dar, wenn Zweifel an den Selbstauskünften des/der Patient*in hinsichtlich des Rauchverhaltens bzw. einer Tabakabstinenz nach Tabakentwöhnungsversuch bestehen. Entsprechende Tests bedürfen der aktiven Zustimmung der Patienten*innen. Als Messverfahren stehen biochemische Marker wie die Nikotin-Plasma-Konzentration, die Thiozyanat-Konzentration (mit geringer Spezifität bei niedrigem Tabakkonsum) sowie der Cotinin-Spiegel im Serum, Speichel und Urin zur Verfügung.

Kohlenmonoxid (CO) kann sowohl mit Geräten in der Ausatemluft, als auch durch kapilläre Blutgasanalysen bestimmt werden. Da letztere im Rahmen der pneumologischen Diagnostik oft durchgeführt werden, besteht die Möglichkeit das Kohlenmonoxid im Hämoglobin direkt mit zu erfassen.

Ein CO-Wert ≥ 10 ppm gilt hierbei als Indikator für Tabakrauchen 30143.

2.5.2 Angst und Depression

 Hintergrund Stellenwert und Hintergrund

In einer systematischen Recherche nach aggregierter Evidenz zur Koinzidenz von Angst oder Depression bei Patient*innen mit COPD wurde jeweils eine systematische Übersichtsarbeit identifiziert.

In der Metaanalyse von Matte et al. 28658 zeigte sich eine mittlere Prävalenz der Depression bei Patient*innen mit COPD von 27,1% ((95% KI 25,9; 28,3); n = 5 552) im Vergleich zur Kontrollgruppe mit einer Prävalenz von 10,0% ((95% KI 9,2; 10,8); n = 5 211). Die gepoolte Odds Ratio (OR) betrug 3,74 ((95% KI 2,4; 5,9); 1 505 vs. 522; I² = 89%, 8 Studien, n = 2 027).

Eine systematische Übersichtsarbeit zur Prävalenz von Angststörungen bei Patient*innen mit COPD 28661 ergab, dass im Median 17% (range 10-55%) der Patient*innen an einer Angststörung leiden, wobei diese sowohl im stationären Setting (10-55%; n = 138 Patient*innen), als auch im ambulanten Bereich (13-46%; n = 446) auftraten.

Aufgrund der hohen Prävalenzen von Angst und/oder Depression als Komorbidität bei Patient*innen mit COPD weist die Leitliniengruppe auf die Relevanz einer frühzeitigen Erfassung dieser Krankheiten hin. Dazu eignet sich in der Praxis der PHQ4 (Patient Health Questionnaire-4) 29220, 29221. Dieser Test besteht aus je zwei Kernfragen für depressive Störungen und für die generalisierte Angststörung und wurde mittels einer Umfrage in der deutschen Allgemeinbevölkerung validiert. Ein Punktewert ≥ 3 deutet auf einen klinisch bedeutsamen Fall hin. Die Leitliniengruppe nimmt als Versorgungsproblem wahr, dass in der Praxis zu selten psychische Komorbidität bei COPD erfasst wird.

2.6 Differentialdiagnosen

Die wichtigste Differentialdiagnose bei der Diagnosestellung einer COPD ist das Asthma bronchiale. Eine Übersicht zur Abgrenzung typischer Merkmale beider Erkrankungen findet sich in Tabelle 3.

Weitere mögliche Differentialdiagnosen sind in Tabelle 9 aufgeführt.

 Tabelle Tabelle 9: Differentialdiagnosen

Tabelle 9: Differentialdiagnosen

Mögliche Differentialdiagnosen

  • Asthma bronchiale

Weitere Erkrankungen mit
Bronchialobstruktion u. a.

 

  • Bronchiolitis obliterans
  • Diffuse Lungenparenchymerkrankungen mit möglicher Obstruktion wie z. B. Sarkoidose

Erkrankungen mit
chronischem Husten u. a.

 

  • Lungenkarzinom
  • Tuberkulose
  • Chronischer idiopathischer Husten
  • Chronische Bronchitis ohne Obstruktion
  • chronische Rhinosinusitis
  • Interstitielle Lungenerkrankungen

Erkrankungen mit
Atemnot u. a.

  • Anämie
  • Linksherzinsuffizienz
  • pulmonale Hypertonie
  • Übergewicht
  • Trainingsmangel
  • Hyperthyreose
  • metabolische Azidose
  • zystische Fibrose, Bronchiektasie
  • Bronchialwandinstabilität
  • extrathorakale Obstruktion (Larynx, Trachea, Vocal Cord Dysfunction)
  • Tumoren im Bereich der Atemwege

Zum Stellenwert des BNP (B-natriuretisches Peptid)/NTpro-BNP für den Ausschluss einer kardialen Ursache der Dyspnoe siehe NVL Chronische Herzinsuffizienz 30330 (www.leitlinien.de/herzinsuffizienz).

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Inhalte der Tabelle beruhen auf einem Expert*innenkonsens basierend auf der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe.

2.7 Strukturierte Symptomerfassung

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

2-8

Die Schwere der Symptomatik einer COPD soll strukturiert erfasst und beurteilt werden.

Starke Empfehlung

2-9

Für die strukturierte Erfassung und Beurteilung kann Tabelle 10 genutzt werden.

Offene Empfehlung

RationaleRationale

Die Qualität der Evidenz aus einer systematischen Recherche wird als gering eingeschätzt, liefert aber Hinweise auf inkonsistente Ergebnisse der unterschiedlichen Fragebögen. Um eine geeignete Therapie bei Patient*innen mit COPD zu initiieren bzw. zu steuern ist eine strukturierte Erfassung der Symptome unabdingbar. Die in aktuellen nationalen und internationalen Leitlinien empfohlenen Instrumente zur Erfassung der Symptome (CAT, mMRC, CCQ (Clinical COPD Questionnaire)) beziehen sich auf verschiedene Patientengruppen bzw. betrachten unterschiedliche Symptome in unterschiedlicher Ausprägung, zudem ist keiner der Tests für die Therapiesteuerung validiert. Daher sieht die Leitliniengruppe keine Grundlage für die bevorzugte Empfehlung eines Tests. Da andererseits erfahrungsgemäß die Symptomerfassung zu selten strukturiert erfolgt, spricht sie eine starke prinzipielle Empfehlung für die strukturierte Erfassung der Symptome aus.

Um die Umsetzung der strukturierten Erfassung in der Praxis zu fördern hat die Leitliniengruppe basierend auf der klinischen Erfahrung und der Evidenz zu den in den Therapiestudien verbesserten Endpunkten ein eigenes Erhebungsinstrument entworfen (siehe Tabelle 10), welches sich aus Sicht der Expert*innen gut in den Versorgungsalltag implementieren und umsetzen lässt. Dies scheint besonders deshalb gerechtfertigt, weil die vorhandenen Fragebögen nicht für die Therapiesteuerung validiert sind. Da auch für dieses Instrument keine Validierung vorliegt, spricht die Leitliniengruppe lediglich eine offene Empfehlung aus, erhofft sich davon aber eine breitere Umsetzung der strukturierten Symptomerfassung.

 Tabelle Tabelle 10: Intensität der Hauptsymptome der COPD

Tabelle 10: Intensität der Hauptsymptome der COPD

 

Beurteilung der Schwere (qualitativ)1

leicht

mittelgradig

schwergradig

Atemnot

geringgradig unter Belastung:

Keine Pause nach ≥ 3 Stockwerken

unter Belastung:

Pause nach > 1 bis < 3 Stockwerken

in Ruhe; bei geringster Belastung:

Pause nach ≤ 1 Stockwerk

Husten

Norm: < 2 Hustenstöße/Stunde

überwiegend nur morgens

mehrfach am Tage

ständig (am Tage), auch in der Nacht

Auswurf

nur morgens; keine Beschwerden am Tage oder in der Nacht

mehrfach täglich

ständig verschleimt, Abhusten stark erschwert

1 Einordnung des Symptoms, das am schwersten ausgeprägt ist, auch wenn zwei andere Hauptsymptome minderschwer abschneiden

Die Beurteilung der Schwere der Symptomatik gliedert sich in dieser Darstellung in 3 Grade: leicht, mittelgradig und schwergradig. Leichte Symptome resultieren größtenteils in geringeren therapeutischen Maßnahmen, als schwergradige Symptome, welche meist deutlich höhere therapeutische Maßnahmen erfordern. Die Beurteilung der Symptomatik als mittelgradig lässt dem behandelnden Arzt bzw. der behandelnden Ärztin die Entscheidungsfreiheit, die Therapie noch spezifischer an den Patienten oder die Patientin mit Hinsicht auf die individuelle Situation und den bisherigen Behandlungsverlauf anzupassen. Ausschlaggebend für eine mögliche Therapiewahl ist immer die Einordnung des Symptoms, welches als am stärksten ausgeprägt bewertet wurde – auch wenn zwei der anderen Hauptsymptome minder schwer abschneiden.

Zudem eignet sich Tabelle 10 auch für die Charakterisierung von Symptomänderungen, wie sie für die Erfassung von Exazerbationen wichtig sind.

Farbskala

Zusätzlich zur Beurteilung der Schwere der Symptomatik kann die Farbe des Auswurfes mittels einer Farbskala eingeschätzt werden 28828 (nach 361). Wenn ein purulentes Sputum vorliegt (gelb-grünliche Farbe), kann dies ein klinischer Hinweis auf eine bakterielle Infektion sein und dementsprechende Therapiemaßnahmen eingeleitet werden.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis und Versorgungsproblem

Die Empfehlungen beruhen auf einer systematischen Recherche zur Testgüte von Fragebögen zur Symptomerfassung bei COPD und der klinischen Einschätzung der Leitliniengruppe. Die Leitliniengruppe nimmt als Versorgungsproblem wahr, dass in der Praxis die Symptomerfassung nicht nach einem strukturierten Vorgehen (mittels Fragebogen) erfolgt.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Die im GOLD-Schema 30154 empfohlenen Fragebögen (CAT (COPD Assessment Test) und mMRC (Modified British Medical Research Council)) sind zwar jeweils bezüglich ihrer Konstruktvalidität evaluiert, nicht aber im Hinblick auf die Therapiesteuerung gemäß GOLD. Zudem ergeben sich, wie anhand der DACCORD-Daten gezeigt 29219, bei Verwendung der unterschiedlichen Fragebögen erhebliche Unterschiede bezüglich der Gruppenzuweisungen bei den laut GOLD angesetzten Schwellenwerten für CAT oder mMRC. Daher wurde eine systematische Recherche zur Frage durchgeführt, welche Cut-off-Werte des CAT zur Einschätzung der Schwere der COPD-Symptomatik zur Therapiesteuerung geeignet sind. Hierbei konnten eine systematische Übersichtsarbeit 28124 sowie 11 Primärstudien (Beobachtungsstudien und retrospektive Datenanalysen; 28126, 28127, 28128, 28131, 28134, 28135, 28136, 28137, 28139, 28140, 28142) identifiziert werden. Die in diesen Publikationen empfohlenen Schwellenwerte des CAT haben eine große Varianz. Zudem ergaben sich Hinweise, dass ein deutlich höherer Cut-off beim CAT eher dem mMRC-Schwellenwert von ≥ 2 entsprechen könnte und somit bei der Verwendung von CAT ≥ 10 mehr Patient*innen laut GOLD als höher symptomatisch eingeschätzt würden 28124, 28136, 28137, 28139, 28140, 28142. Dies stellt möglicherweise eine Gefahr dar, die Patient*innen diskrepant als leicht oder schwer symptomatisch einzuschätzen – je nachdem, welcher Cut-off für die in den Leitlinien 30154 empfohlenen symptomerfassenden Tests verwendet wird. Aus dieser unterschiedlichen Einschätzung könnten dann auch unterschiedliche Therapieeinstellungen resultieren.

2.7.1 Erfassung von Exazerbationen

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

2-10

Die Exazerbationen sollen strukturiert erfasst und dokumentiert werden.

Starke Empfehlung

2-11

Für die Erfassung der Exazerbationen kann der MEP-Fragebogen (Monitoring of Exacerbation Probability) genutzt werden.

Offene Empfehlung

RationaleRationale

Die strukturierte Erfassung der Exazerbationen ist nach Einschätzung der Leitliniengruppe wichtig, da sie durch Vergleichbarkeit der Ereignisse eine bessere Therapiesteuerung ermöglicht – insbesondere hinsichtlich der medikamentösen Therapieoptionen (siehe Abbildung 4). Deshalb spricht sie konsensbasiert eine starke Empfehlung zugunsten der strukturierten Erfassung aus.

Den MEP-Test schätzt die Leitliniengruppe als praktikabel ein. Da aber belastbare Daten zur Testgüte bislang fehlen, wird lediglich eine offene Empfehlung für die Verwendung des MEP ausgesprochen.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis und Versorgungsproblem

Die Empfehlungen beruhen auf einem Expert*innenkonsens sowie einer selektiv eingebrachten Publikation zum MEP-Fragebogen. Gleichzeitig nimmt die Leitliniengruppe als Versorgungsproblem wahr, dass Exazerbationen in der Praxis zu selten strukturiert erfasst werden.

 Informationen Vertiefende Informationen: MEP-Fragebogen

Der in Deutschland systematisch entwickelte Fragebogen (MEP) 28144 besteht aus 5 leichtverständlichen Fragen, welche von den Patient*innen mit Ja oder Nein beantwortet werden können. Werden 2 oder mehr Fragen mit Ja beantwortet, so kann von einer stattgefundenen Exazerbation einer COPD ausgegangen werden. Da der Test auch vorab durch die Patient*innen ausgefüllt werden kann und dann während der ärztlichen Konsultation direkt besprochen wird, ist zudem eine Zeitersparnis im Praxisalltag plausibel. Je länger jedoch eine Exazerbation zurückliegt, desto ungenauer und weniger belastbar werden vermutlich die Patient*innen-Angaben. Aktuell wird eine Validierung des MEP durchgeführt.

Tabelle 11: Patient*innen-Questionnaire "Monitoring of Exacerbation Probability (MEP)" 28144

Fragen

Antworten

1

Haben sich die Symptome Ihrer COPD-Erkrankung zwischenzeitlich seit dem letzten Besuch in der Praxis deutlich verschlechtert?

Ja/Nein

2

Haben Sie seit dem letzten Besuch in der Praxis wegen einer akuten Verschlechterung Ihrer COPD außerplanmäßig einen Arzt/eine Ärztin benötigt?

Ja/Nein

3

Hatten Sie wegen Ihrer COPD seit dem letzten Besuch in der Praxis einen stationären Krankenhausaufenthalt?

Ja/Nein

4

Haben Sie zwischenzeitlich seit dem letzten Besuch in der Praxis Ihr inhalatives Medikament häufiger einsetzen oder Ihr Bedarfsmedikament öfter anwenden müssen?

Ja/Nein

5

Haben Sie zwischenzeitlich seit dem letzten Praxisbesuch zusätzliche Medikamente zum Einnehmen wegen Ihrer COPD benötigt? (z. B. Antibiotika oder Kortison)

Ja/Nein

2.8 Monitoring

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

2-12

Bei jedem ärztlichen COPD-bezogenen Patientenkontakt sollen die Symptomatik sowie aufgetretene Exazerbationen strukturiert erfasst werden. Dies soll entsprechend der Empfehlungen 2-8 bis 2-11 umgesetzt werden.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die Häufigkeit der Patientenkontakte richtet sich nach der Schwere der Erkrankung und kann von Seiten des niedergelassenen Arztes bzw. der niedergelassenen Ärztin individuell und symptomorientiert angeboten werden. Um die Therapie im Sinne des Algorithmus zu steuern, ist es wichtig, diese Parameter konsistent zu erfassen, welche die Therapiesteuerung beeinflussen – und dies möglichst immer mit denselben Instrumenten. Daher, und weil aus Therapiestudien belastbare Evidenz für die Verbesserung der zu erfragenden Parameter vorliegt, spricht die Leitliniengruppe konsensbasiert eine starke Empfehlung aus.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung beruht auf einem Expert*innenkonsens sowie auf der indirekten Evidenz zu den in den Therapiestudien verbesserten Endpunkten und genutzten Parameter zur Therapiesteuerung.

 Hinweis Hinweis: Patiententagebücher

Als zusätzliche Hilfsmittel können zum Beispiel auch Patiententagebücher herangezogen werden. Diese können dem Arzt oder der Ärztin nützliche Hinweise geben, um beispielsweise die Notwendigkeit einer Behandlungsanpassung zu erkennen.

 Patientenblatt Patienteninformation

Zur Unterstützung der Aufklärung und Beratung der Patient*innen wurde das Patientenblatt "Information für Angehörige" (siehe Patientenblätter) entwickelt.

NVL COPD, 2. Auflage, 2021. Version 1

Mehr zur NVL COPD

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zuletzt verändert: 04.09.2023 | 11:25 Uhr