NVL Typ-2-Diabetes (2023)

3 Screening und erhöhtes Diabetesrisiko

 Hinweis Vorbemerkung

Übergeordnetes Ziel des Screenings und der Diagnostik ist die Erkennung von Stoffwechselstörungen, deren Therapie zu einer relevanten Reduktion von Folgeerkrankungen und Verlängerung der Lebenszeit führt und die Lebensqualität erhält oder verbessert.

Bezogen auf die Screening- bzw. Diagnostik-Situation werden in dieser Leitlinie folgende Personengruppen unterschieden:

  • Allgemeinbevölkerung (populationsbezogenes Screening)
  • Personen mit erhöhtem Risiko für die Entwicklung eines Diabetes (z. B. erhoben durch Risikoscores), siehe Kapitel 3.1 Menschen mit erhöhtem Diabetesrisiko
  • Personen mit Verdacht auf Diabetes (z. B. durch diabetesspezifische Symptome, Auftreten von diabetesassoziierten Erkrankungen, erhöhte Blutglukose- oder HbA1c-Werte, die im Rahmen einer anderen Untersuchung erhoben wurden), siehe Kapitel 4 Diagnostik

Die Einschätzung, bei welchen diabetesassoziierten Erkrankungen und in welchem Umfang der Ausschluss eines Diabetes bzw. eine diagnostische Abklärung empfohlen wird, divergiert zwischen den Fachgesellschaften. Die abweichenden Einschätzungen sind in Kapitel 3.1 Menschen mit erhöhtem Diabetesrisiko, im Kapitel 4.1.2.1 Diagnosealgorithmus und im Anhang 9 dargestellt.

Das Screening der Allgemeinbevölkerung wurde nicht im Rahmen der Leitlinienarbeit diskutiert. Informationen hierzu sind im Folgenden zusammengefasst.

 Hinweis Hinweis: Populationsbezogenes Screening auf (Typ-2-) Diabetes

Gesetzlich Krankenversicherte haben ab Vollendung des 35. Lebensjahres alle drei Jahre Anspruch auf eine allgemeine Gesundheitsuntersuchung. Diese beinhaltet unter anderem die Erhebung der Eigen-, Familien und Sozialanamnese, einschließlich der Erfassung des kardiovaskulären Risikoprofils, die klinische Untersuchung zur Erhebung des Ganzkörperstatus und die Erhebung der Nüchternplasmaglukose und des Lipidprofils 31127. Versicherte ab Vollendung des 18. Lebensjahres können die Gesundheitsuntersuchung einmal bis zum Ende des 35. Lebensjahres in Anspruch nehmen. Die Laboruntersuchung erfolgt entsprechend des Risikoprofils 31127. Ein darüberhinausgehendes Screening der Allgemeinbevölkerung auf Typ-2-Diabetes ist aktuell nicht vorgesehen. Evidenz für einen Nutzen eines populationsbezogen Screenings auf patientenrelevante Langzeitendpunkte wurde in der strukturierten Recherche nicht gefunden 32477, 31132 (siehe auch Kapitel 3.1 Menschen mit erhöhtem Diabetesrisiko).

3.1 Menschen mit erhöhtem Diabetesrisiko

Die unterschiedliche Bewertung der Fachgesellschaften zum erhöhten Risiko, den empfohlenen Untersuchungen zur Diagnostik und den Kontrollintervallen sind unter Abweichende Einschätzungen der Fachgesellschaften zur empfohlenen Diagnostik bei Menschen mit erhöhtem Diabetesrisiko dargestellt.

Empfehlung

3-1 | e | neu 2023

Bei Menschen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines Diabetes soll die Untersuchung auf das Vorliegen eines Diabetes angeboten werden.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die in der strukturierten Recherche identifizierten Übersichtsarbeiten erlauben es insbesondere wegen der niedrigen Aussagesicherheit der Evidenz nicht, die Fragestellung nach dem Nutzen eines Screenings für Risikopersonen zu beantworten 32477, 31132. In die Erwägungen wurden daher auch Hinweise aus epidemiologischen Daten, aus Auswertungen des DMP-Programms und die indirekte Evidenz zum Nutzen der nicht-medikamentösen und medikamentösen Therapie einbezogen. Nach der Auswertung epidemiologischer Daten ist einem Teil der Personen mit Diabetes die Erkrankung nicht bewusst 31131, 30139, 31130. Gleichzeitig liegt die Übersterblichkeit (Exzessmortalität) im Vergleich zu Personen ohne Diabetes für diese Gruppe in einem ähnlichen Größenverhältnis wie für Personen mit bekanntem Diabetes (altersadjustierte HR 1,9 bzw. 1,7) 31131. Zwar liegt keine ausreichende Evidenz vor, die einen direkten Nutzen des Screenings von Risikopatient*innen und einer dadurch frühzeitigen Einleitung der Therapie in Bezug auf patientenrelevante Endpunkte belegt. Dieser scheint aber zumindest indirekt durch Evidenz zum Nutzen der nicht-medikamentösen und medikamentösen Therapie plausibel (siehe auch Empfehlung 3-2, Kapitel 5 Medikamentöse Therapie des Glukosestoffwechsels, Kapitel Nicht-medikamentöse Therapie (wird aktuell erstellt)).

Potentielle Schäden durch unzureichende oder falsche Testergebnisse und ggf. erforderliche weitere Diagnostik sind diesem Nutzen gegenüber abzuwägen. Einem möglichen Schaden im Sinne einer psychischen Belastung und der Einbindung in das medizinische System kann durch eine realistische Risikokommunikation und wertschätzende Gesprächsführung aus Sicht der Leitliniengruppe entgegengewirkt werden. Die Formulierung "soll angeboten werden" weist zudem ausdrücklich auf die Notwendigkeit, durch angemessene und verständliche Aufklärung eine informierte Entscheidung zu ermöglichen (siehe auch Kapitel 2 Partizipative Entscheidungsfindung (PEF) und Teilhabe in allen relevanten Lebensbereichen). Das Vorgehen, Menschen mit Risikofaktoren für eine potentiell beeinflussbare Erkrankung eine Untersuchung anzubieten, die eine Handlungsmöglichkeit eröffnet, entspricht zudem dem Prinzip der Patientenautonomie. Daher spricht die Leitliniengruppe eine starke Empfehlung für das Angebot einer Untersuchung aus. Zur Abschätzung des Risikos für die Entwicklung eines Diabetes liegen für die deutsche Bevölkerung evaluierte und validierte Risiko-Scores vor, die eine Einschätzung ermöglichen (siehe auch: Weiterführende Informationen: Risikoscores). Zur unterschiedlichen Bewertung der Fachgesellschaften bezüglich der empfohlenen Untersuchungen bei erhöhtem Diabetesrisiko und der Definition eines erhöhten Diabetesrisikos siehe Abschnitt Abweichende Einschätzungen der Fachgesellschaften zur empfohlenen Diagnostik bei Menschen mit erhöhtem Diabetesrisiko.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis und Versorgungsproblem

Die Empfehlung 3-1 beruht auf den Ergebnissen der strukturierten Recherche. Epidemiologische Daten des Robert Koch-Instituts wurden zur Beurteilung der epidemiologischen Situation herangezogen. In der strukturierten Recherche zum Schlagwort Diabetes bei Institutionen mit hoher Berichtsqualität (Cochrane, NICE, IQWiG und AHRQ) wurden aktuelle systematische Reviews identifiziert, die den Nutzen des Screenings untersuchten 32477, 31132. Auf eine eigene systematische Recherche zu diesem Thema wurde daher verzichtet. Die Leitliniengruppe nimmt als Versorgungsproblem wahr, dass einem Teil der Personen mit Typ-2-Diabetes ihre Erkrankung nicht bekannt ist und bei Diagnosestellung schon Begleit- oder Folgeerkrankungen vorliegen können (siehe Kapitel 1 Epidemiologie).

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Epidemiologische Daten zur altersabhängigen Prävalenz des bekannten und unerkannten Diabetes und die Häufigkeit des Auftretens von Folge- und Begleiterkrankungen in Abhängigkeit der Erkrankungsdauer werden in Kapitel 1 Epidemiologie beschrieben.

Ein in der strukturierten Recherche identifizierter Cochrane-Review untersuchte den Nutzen des Diabetesscreenings (Massenscreening, gezieltes oder opportunistisches Screening) im Vergleich zu keinem Screening auf Basis von RCTs (AMSTAR-2-Kategorie hoch) 31132. Es wurde eine Cluster-randomisierte Studie identifiziert, in der die Effekte einer Einladung von Personen mit hohem Diabetesrisiko (27 Praxen, 16 047 Teilnehmende, 11 737 Teilnehmende tatsächlich gescreent) im Vergleich zu einem Procedere ohne Einladung (5 Praxen, 4 137 Teilnehmende; ADDITION-Cambridge) verglichen wurden. Zum Screening erfolgte ein stufenweises Vorgehen, in dem zunächst aus Kapillarblut die Gelegenheitsplasmaglukose bestimmt wurde und bei Werten ≥ 5,5 mmol/l bzw. 100 mg/dl weitere Tests zur Bestimmung des Diabetes-Status erfolgten (Nüchternplasmaglukose, HbA1c-Wert, oraler Glukose-Toleranz-Test). In einer zweiten Phase wurden die Effekte einer intensiven multifaktoriellen Therapie gegenüber der Standardtherapie bei Personen mit screening-detektiertem Diabetes verglichen. Dieser Teil der Studie wurde in dem Review nicht betrachtet. Bezogen auf die Gesamtmortalität (91/1 000 vs. 96/1 000, HR 1,06 (95% KI 0,90; 1,25), 1 Studie, n = 20 184, Follow-up 9,6 Jahre, Aussagesicherheit der Evidenz niedrig, mangelnde Präzision) und diabetesassoziierte Mortalität (4/1 000 vs. 5/1 000, HR 1,26 (95% KI 0,75; 2,12), 1 Studie, n = 20 184, Follow-up 10 Jahre, Aussagesicherheit der Evidenz niedrig, mangelnde Präzision, geringe Ereignisrate) ergab sich in den Gruppen kein signifikanter Unterschied. Diabetesassoziierte Morbidität (Schlaganfall und ischämische Herzerkrankung) wurde nur für einen Teil der Studienteilnehmer*innen als selbstberichtete Ereignisse angegeben, so dass eine verlässliche Aussage hierzu nicht möglich ist. Ein substantieller Unterschied wurde in dieser Auswertung nicht beobachtet 31132. Als Einschränkung wurde in der Leitliniengruppe diskutiert, dass das Screeningprocedere in der Studie nicht auf das in der NVL vorgeschlagene Procedere bei Personen mit erhöhtem Diabetesrisiko übetragen werden kann (mangelnde Direktheit).

In einem systematischen Review, der im Auftrag der AHRQ erstellt worden war und im Rahmen der strukturierten Recherche identifiziert wurde, wurden Nutzen und Schaden des Screenings auf Diabetes und Prädiabetes, sowie der Therapie für screening-detektierten Diabetes und Prädiabetes untersucht 32477. Im Vergleich zum Cochrane-Review 31132 wurden weniger strenge Einschlusskriterien (Studiendesign, Dauer der Studien) gewählt und eine weitere Studie eingeschlossen (Screening ohne vorheriges Risikoassessment alle fünf Jahre durch einen oralen Glukose-Toleranz-Test). Auch in dieser Studie wurde kein statistisch signifikanter Nutzen in Bezug auf die Mortalität, selbstberichtete kardiovaskuläre Ereignisse, Lebensqualität, Nephropathie und Neuropathie berichtet, bei allerdings eingeschränkter Verfügbarkeit der Daten (< 30% der Teilnehmenden). Die Aussagesicherheit der Evidenz bezogen auf die Mortalität wurde von den Autor*innen des Reviews als niedrig, bezogen auf die anderen Endpunkte als sehr niedrig, bzw. unzureichend angegeben. Studien, die den Nutzen des Screenings durch vorzeitige Therapieeinleitung (Zeitpunkt des Screenings versus Zeitpunkt der klinischen Diagnose) untersuchten, wurden nicht gefunden. Keine der Studien berichtete über Labeling/Stigmatisierung, Schaden durch falsch-positive Ergebnisse, Belastung, Unannehmlichkeiten, oder unnötige Diagnostik und Therapie 32477.

Die Evidenz zum Nutzen der nicht-medikamentösen und medikamentösen Therapie des Diabetes wird in den entsprechenden Kapiteln erläutert.

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Da ein Typ-2-Diabetes zu Beginn jahrelang ohne Symptome verlaufen kann oder Symptome falsch interpretiert werden können, besteht die Möglichkeit, dass er über längere Zeit unerkannt bleibt, aber bereits Folgeschäden in Gang setzen kann. Die nicht-medikamentöse und medikamentöse Therapie des Typ-2-Diabetes kann Folgeschäden des Diabetes verhindern. Die derzeit vorliegenden Daten liefern keinen Hinweis darauf, dass durch eine Vorverlagerung des Diagnosezeitpunktes Folgeerkrankungen verhindert oder herausgezögert werden können, die Aussagesicherheit der Evidenz ist allerdings gering bis sehr gering 32477, 31132.

Dem möglichen Nutzen einer frühzeitig eingeleiteten Therapie gegenüber stehen Schäden durch falsch-positive oder falsch-negative Testergebnisse und sich anschließende Folgeuntersuchungen, oder die Möglichkeit, aufgrund der Limitationen der Diagnose-Parameter eine Erkrankung zu diagnostizieren, deren Therapie ggf. ohne Vorteil für die Betroffenen ist. Damit können psychische Belastungen durch die Diagnose und die Einbindung in das medizinische System einhergehen. Auch die Therapie selbst kann zu Belastung führen. Diese Schäden lassen sich durch eine leitliniengerechte Diagnostik insbesondere unter der Berücksichtigung der jeweiligen Limitationen der Parameter, eine kritische Diagnosestellung, eine angemessene Risikokommunikation und eine wertschätzende, motivierende Kommunikation der Diagnose mindern. Hierzu wird auch auf das Kapitel 4.2 Kommunikation der Diagnose und eine realistische Risikokommunikation verwiesen. Diese Bedingungen vorausgesetzt, scheint der mögliche Nutzen der Untersuchung zu überwiegen. Die Hinweise aus deutschen Versorgungsdaten, nach denen Menschen mit einem lange unerkannten Diabetes ein erhöhtes Risiko für relevante Folgeschäden des Diabetes aufwiesen, stützen nach Ansicht der Gruppe eine starke Empfehlung zugunsten des Angebots einer Untersuchung (siehe Kapitel 1 Epidemiologie).

 Abweichende Einschätzungen Abweichende Einschätzungen der Fachgesellschaften zur empfohlenen Diagnostik bei Menschen mit erhöhtem Diabetesrisiko

Die unterschiedlichen Einschätzungen werden im Folgenden dargestellt. Im Rahmen der PEF brauchen Betroffene Informationen über Vor- und Nachteile beider Vorgehensweisen, um informiert entscheiden zu können. Ausführliche Informationen sind in den entsprechenden Praxisempfehlungen bzw. Anwenderversionen zu finden (siehe auch Anhang 9).

DEGAM und AkdÄ

Bei Menschen mit erhöhtem Diabetesrisiko, bei denen kein weiterer klinischer oder laborchemischer Verdacht besteht, ist die orientierende Bestimmung der Nüchternplasmaglukose aus Sicht der DEGAM und AkdÄ im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsuntersuchung (alle drei Jahre) ausreichend, um eine behandlungsrelevante Glukosestoffwechselstörung auszuschließen. Der klinische oder laborchemische Verdacht ergibt sich für die Fachgesellschaft durch das Auftreten von diabetesspezifischen Symptomen, anderweitig erhobenen erhöhten Blutglukose- oder HbA1c-Werten oder durch das Auftreten von diabetesassoziierten Erkrankungen wie Nephropathie, Retinopathie oder Neuropathie (siehe auch Kapitel 4.1.2.1.1 Erläuterungen zum Algorithmus und abweichende Einschätzungen der Fachgesellschaften).

Liegt die Nüchternplasmaglukose im Normbereich oder im Bereich des erhöhten Diabetesrisikos (siehe Kapitel 3.2 Therapeutische Konsequenzen für Menschen mit Laborwerten im Bereich des erhöhten Diabetesrisikos), ist aus Sicht der DEGAM und AkdÄ die Bestimmung eines weiteren Wertes nicht notwendig. Eine erneute Kontrolle kann nach drei Jahren im Rahmen der nächsten allgemeinen Gesundheitsuntersuchung erfolgen. Menschen mit Laborwerten im Bereich des erhöhten Diabetesrisikos (Nüchternplasmaglukose 110-125 mg/dl bzw. 6,1-6,9 mmol/l, WHO-Grenzwerte) sollen gemäß Empfehlung 3-2 lebensstilmodifizierende Maßnahmen empfohlen werden (siehe Empfehlung 3-2).

Bei einem erhöhten Wert der Nüchternplasmaglukose (≥ 126 mg/dl bzw. 7,0 mmol/l) erfolgt die weitere Diagnostik (z. B. Nachbestimmung des HbA1c-Wertes), siehe Kapitel 4 Diagnostik.

DDG und DGIM

Bei Menschen mit erhöhtem Risiko (gemäß Risikoscores, siehe Weiterführende Informationen: Risikoscores) ist die Diagnostik entsprechend Kapitel 4 Diagnostik mit der Bestimmung von mindestens zwei Laborparametern aus Sicht der DDG/DGIM zu empfehlen (siehe Abbildung 6). Eine einmalige Bestimmung der NPG ist nach Einschätzung der Fachgesellschaften zum Ausschluss der Diagnose nicht ausreichend, da die Gefahr besteht, einen Teil der Erkrankten (ca. 1/3) in der Frühphase auf diese Weise zu übersehen (32751 selektiv durch die Fachgesellschaft eingebrachte Literatur).

Auf Basis ihrer klinischen Erfahrung empfehlen die Vertreter der DDG und DGIM bei Laborwerten im Normbereich eine Aufklärung über das erhöhte Risiko und ggf. lebensstilmodifizierende Maßnahmen entsprechend des Risikoprofils, sowie eine Kontrolle der Laborparameter nach einem Jahr.

Aus Sicht der DDG/DGIM ist es wichtig, bei Laborwerten im Bereich des erhöhten Risikos (siehe Kapitel 3.2 Therapeutische Konsequenzen für Menschen mit Laborwerten im Bereich des erhöhten Diabetesrisikos) lebensstilmodifizierende Maßnahmen zu empfehlen (siehe auch Empfehlung 3-2) und die Laborwerte initial nach drei Monaten und dann 6-monatlich zu kontrollieren. Gleichzeitig empfiehlt die Fachgesellschaft nach diabetesassoziierten Erkrankungen bei erhöhten Glukosewerten zu fragen und eventuell zu suchen (31943, 32432, selektiv durch die Fachgesellschaft eingebrachte Literatur).

Das weitere Vorgehen bei Diabetesdiagnose erfolgt gemäß den Kapiteln Nicht-medikamentöse (wird aktuell erstellt) und ggf. Kapitel 5 Medikamentöse Therapie des Glukosestoffwechsels.

 Informationen Weiterführende Informationen: Manifestationsfördernde oder assoziierte Faktoren

Tabelle 7: Manifestationsfördernde oder assoziierte Faktoren des Typ-2-Diabetes

Manifestationsfördernde oder assoziierte Faktoren des Typ-2-Diabetes

Familiäre Belastung

Höheres Lebensalter 32433

Lebensstilfaktoren

Niedriger sozioökonomischer Status, Bewegungsmangel, balaststoffarme, fettreiche Kost, Rauchen

Metabolische und vaskuläre Faktoren*

Abdominelle Adipositas, Insulinresistenz, gestörte Glukosetoleranz, Dyslipoproteinämie, Albuminurie, Hypertonie

Nicht alkoholische Fettleber 32608

Medikamente, die den Glukosestoffwechsel verschlechtern

Gestationsdiabetes in der Vorgeschichte

Polyzystisches Ovarsyndrom und andere endokrine Erkrankungen

Umweltfaktoren (z. B. Luftschadstoffe, Lärm) 32610, 32609, 32607 zitiert nach 32435

Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom 32611

*zu metabolischem Syndrom siehe Hintergrundtext

Tabelle 7 wurde weitestgehend aus der vorherigen NVL Therapie des Typ-2-Diabetes 2014 23863 übernommen. Angegebene Literatur wurde zusätzlich eingebracht.

Die manifestationsfördernden Faktoren haben über ihre Bedeutung für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes hinaus auch Bedeutung für die Entstehung anderer Erkrankungen, von denen viele zu den häufigen Begleiterkrankungen des Diabetes zählen. Lebensstilmodifzierende Maßnahmen, die diesen Faktoren entgegenwirken, beispielsweise Umstellung der Ernährung und vermehrte körperliche Aktivität stellen auch die Grundlage der Diabetestherapie dar 23863 (siehe Kapitel Nicht-medikamentöse Therapie, wird aktuell erstellt).

Unter dem Begriff des Metabolischen Syndroms werden mehrere metabolische und vaskuläre Faktoren zusammengefasst, die häufig gemeinsam auftreten und das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen erhöhen. In den vergangenen Dekaden wurden von verschiedenen Organisationen voneinander abweichende Definitionen vorgeschlagen. Hauptfaktoren sind in dem überwiegenden Teil dieser Definitionen die abdominelle Adipositas, erhöhte Blutdruckwerte, eine Dyslipoproteinämie und erhöhte Glukosewerte. Die einzelnen betrachteten Faktoren, die Art ihrer Bestimmung, ihre Grenzwerte und die Kriterien, ab wann hinreichend Faktoren vorliegen, um von einem metabolischen Syndrom zu sprechen, divergieren in Abhängigkeit der verwendeten Definition, was die Anwendbarkeit erschwert (siehe z. B. 32927, selektiv eingebrachte Literatur). Die Leitliniengruppe präferiert die Definition 2009 nach Alberti 32797, die eine Harmonisierung unterschiedlicher Definitionen durch die Fachgesellschaften darstellt. Nach dieser liegt ein metabolisches Syndrom vor, wenn drei von fünf Kriterien (Taillenumfang, Triglyceride, HDL-Cholesterin, Blutdruck, Nüchternplasmaglukose) erfüllt sind (32797, selektiv eingebrachte Literatur, siehe auch Anhang 5).

Die Zusammenfassung der Faktoren in einem Syndrom wird teilweise kontrovers diskutiert. Die Einschätzungen, ob die gemeinsame Betrachtung der Faktoren im Rahmen eines Syndroms einen Vorteil gegenüber der Betrachtung der Einzelfaktoren bringt und ob das gemeinsame Auftreten der Faktoren mehr als die Summe der Einzelfaktoren zum kardiovaskulären Risiko eines Menschen beiträgt, gehen auseinander (siehe z. B. 32927, selektiv eingebracht).

Aus selektiv eingebrachten Metaanalysen ergeben sich Anhaltspunkte auf eine Assoziation zwischen Typ-2-Diabetes und bestimmten Krebserkrankungen (32747, selektiv eingebrachte Literatur).

 Informationen Weiterführende Informationen: Risikoscores

Zur Abschätzung des Diabetesrisikos stehen für den hausärztlichen Versorgungsbereich zwei für die deutsche Bevölkerung evaluierte Instrumente zur Verfügung: der Deutsche Diabetes-Risiko-Score (DRS) 22014 und der Risiko- oder GesundheitsCheck FINDRISK 22013.

Der DRS wurde anhand von Studiendaten der Potsdamer European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC)-Studie erstellt. Die Validierung des Scores wurde an Daten der Heidelberger EPIC-Studie, der Tübinger Familienstudie für Typ-2-Diabetes und der Studie "Metabolisches Syndrom Berlin Potsdam" durchgeführt 19165, 31030. Der DRS steht auf der Homepage des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung zum Download zur Verfügung (www.dife.de). Nach Überarbeitung wurde der Vorhersagezeitraum für das Risiko an einem Typ-2-Diabetes zu erkranken in aktuellen Versionen von fünf auf zehn Jahre erweitert 32924.

FINDRISK ist ein in mehr als 25 Ländern eingesetzter Fragebogen, der ursprünglich in Finnland entwickelt wurde, für die deutsche Population angepasst und im deutschen Versorgungskontext evaluiert wurde 31031, 31032. Der FINDRISK steht auf der Homepage der Deutschen Diabetes-Stiftung in neun Sprachen zum Download zur Verfügung oder man kann online den Risiko-Score erstellen (www.diabetes-risiko.de).

Beide Scores beinhalten keine Laborparameter und scheinen der Leitliniengruppe aufgrund der Validierungsstudien gleichermaßen geeignet 19165, 31030, 31031, 31032.

3.2 Therapeutische Konsequenzen für Menschen mit Laborwerten im Bereich des erhöhten Diabetesrisikos

Empfehlung

3-2 | e | modifiziert 2023

Bei Laborwerten im Bereich des erhöhten Diabetesrisikos (siehe Tabelle 8) sollen lebensstilmodifizierende Maßnahmen empfohlen werden.

Starke Empfehlung

Tabelle 8: Laborwerte im Bereich des erhöhten Diabetesrisikos

Laborwerte im Bereich des erhöhten Risikos für die Entwicklung eines Diabetes (modifiziert nach 31013)

Abnorme Nüchternplasmaglukose (IFG)

100–125 mg/dl bzw. 5,6–6,9 mmol/l*

HbA1c-Wert

5,7 bis < 6,5% bzw. 39 bis < 48 mmol/mol**

Gestörte Glukosetoleranz (IGT)

(im oralen Glukose-Toleranz-Test, 75g)

NPG: < 126 mg/dl bzw. < 7,0 mmol/l

2-h Plasmaglukose: 140–199 mg/dl bzw. 7,8–11,0 mmol/l*

* Grenzwerte laut WHO 110–125 mg/dl (6,1–6,9 mmol/l), die DEGAM, AkdÄ, DGfW und DGP unterstützen die WHO-Grenzwerte für NPG (siehe auch Tabelle 10). Für die DEGAM, AkdÄ, DGfW und DGP hat der oGTT und damit die gestörte Glukosetoleranz keinen Stellenwert im hausärztlichen Bereich (siehe auch Bewertung des oGTT durch die Fachgesellschaften und Darstellung der abweichenden Einschätzungen im Anhang 9).

**  Besonderheiten/Einflussfaktoren (u. a. Alter) siehe auch Tabelle 14 und Tabelle 15

IFG: Impaired fasting glucose; IGT: Impaired glucose tolerance; NPG: Nüchternplasmaglukose

RationaleRationale

Die Leitliniengruppe schätzt die Aussagesicherheit der identifizierten Evidenz zum Nutzen lebensstilmodifizierender Maßnahmen bei Menschen mit Laborwerten im Bereich des erhöhten Diabetesrisikos auf patientenrelevante Endpunkte wie Mortalität als sehr niedrig ein 32477, 31306. Menschen mit Laborwerten in den angegebenen Grenzbereichen haben in Studien ein erhöhtes Risiko, einen Diabetes zu entwickeln, die kummulative Diabetesinzidenz nimmt dabei mit der Dauer der Studien zu (niedrige bzw. moderate Aussagesicherheit der Evidenz) 27900 (siehe Evidenzbeschreibung). Ein Cochrane-Review 31306 liefert Hinweise, dass lebensstilmodifizierende Maßnahmen (Ernährungstherapie und körperliche Aktivität) mit einer geringeren Diabetesinzidenz assoziiert sind (moderate Aussagesicherheit der Evidenz). Daten zum Nutzen nicht-medikamentöser Maßnahmen bei Menschen mit Diabetes stützen die Empfehlung (siehe Kapitel Nicht-medikamentöse Therapie, folgt). Für lebensstilmodifizierende Maßnahmen, insbesondere körperliche Aktivität und Tabakverzicht, spricht zudem, dass diese auch andere chronische Erkrankungen, die einen Diabetes begleiten können, positiv beeinflussen können. Schäden, insbesondere infolge übersteigerter bzw. unangemessen intensiver körperlicher Aktivität, lassen sich erfahrungsgemäß durch entsprechende Aufklärung und eine enge Abstimmung in der Anfangsphase reduzieren. Zu beachten ist weiterhin, dass wertschätzende Kommunikation und positive Motivation dem Risiko einer Stigmatisierung entgegenwirken. Basierend auf diesen Erwägungen spricht die Leitlinie eine starke Empfehlung aus. Da sich – bei sehr niedriger Aussagesicherheit der Evidenz – ein Nutzen lebensstilmodifizierender Maßnahmen auf die Mortalität erst nach einem sehr langen Zeitraum andeutet, scheint plausibel, dass Menschen mit vermutlich geringer Lebenserwartung (z. B. Frailty, Multimorbidität) von entsprechenden Interventionen in Bezug auf eine Diabetesmanifestation nicht oder nur in geringem Maße profitieren.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis und Versorgungsproblem

Die Empfehlung basiert auf den Ergebnissen der in der strukturierten Recherche identifizierten Evidenz und epidemiologischen Daten zum Verlauf, zum Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko (siehe Kapitel 1 Epidemiologie) und der Möglichkeit der therapeutischen Beeinflussung bei Personen mit Laborwerten im Bereich des erhöhten Risikos. Auf eine systematische Recherche auf Primärstudienbasis wurde verzichtet, da systematische Übersichtsarbeiten mit hoher Berichtsqualität und aktueller systematischer Recherche vorlagen 31306. Die Empfehlung beruht auf einer Empfehlung aus der NVL Therapie des Typ-2-Diabetes 23863 und stützt sich darüber hinaus auf indirekte Evidenz zur Wirksamkeit nicht-medikamentöser Maßnahmen (siehe Kapitel Nicht-medikamentöse Therapie, wird aktuell erstellt).

Laborwerte im Bereich des erhöhten Diabetesrisikos (siehe Tabelle 8) erfüllen zwar nicht die Kriterien eines Diabetes mellitus, liegen jedoch über dem normalen Bereich 31013. Nach Daten des Robert Koch-Instituts lag der HbA1c-Wert in der Gruppe der 18- bis 79-jährigen Bevölkerung im Jahr 2010 bei insgesamt 20,8% (Frauen: 17,2%; Männer 24,4%) im Bereich des erhöhten Risikos zwischen 5,7 und 6,4% bzw. 39 und 46 mmol/mol 31130. Bei der Interpretation dieser Zahlen sind die Einflussgrößen des HBA1c-Wertes (unter anderem die Altersabhängigkeit) zu berücksichtigen (siehe Kapitel 4.1.2.2 Diagnosekriterien).

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

Die Entwicklung eines Diabetes bei Menschen mit Laborwerten im Bereich des erhöhten Diabetesrisikos wurde in einem methodisch hochwertig durchgeführten Cochrane-Review in prospektiven Kohortenstudien untersucht 27900. Mehr als 250 000 Teilnehmende wurden in 103 Studien zwischen einem und 24 Jahren beobachtet. Die kumulative Diabetes-Inzidenz stieg prinzipiell mit zunehmender Beobachtungszeit an. Die Zunahme war nicht linear, sondern teils fluktuierend und variierte in Abhängigkeit der Definition der intermediären Hyperglykämie (IH), z. B. kumulative Inzidenz IFGGrenzwert 5,6: nach drei Jahren Follow-up 17% ((95% KI 6; 32), 3 Studien, n = 1 091), nach sechs Jahren 22% ((95% KI 15; 31), 4 Studien, n = 783), nach neun Jahren 38% ((95% KI 10; 70), 3 Studien n = 1 356); IFG + IGT: nach drei Jahren 34% ((95% KI 28; 41), 1 Studie, n = 209), nach sechs Jahren 58% ((95% KI 48; 67), 4 Studien, n = 106) und nach neun Jahren 84% ((95% KI 74; 91), 1 Studie, n = 69) (moderate Aussagesicherheit der Evidenz, mangelnde Präzision) 27900. Neben dem Risiko, an einem Diabetes zu erkranken, wurde betrachtet, wie viele der Personen im Verlauf wieder eine Normoglykämie aufwiesen. Der Anteil nahm mit zunehmender Beobachtungszeit ab, wobei auch hier kein rein linearer Verlauf zu beobachten war (nach einem Jahr Follow-up 59% (95% KI 54; 64), 2 Studien, n = 375; nach drei Jahren 41% (95% KI 24; 69), 7 Studien, n = 1 356; nach sechs Jahren 23% (95% KI 3; 53), 5 Studien, n = 1 328, nach neun Jahren 17% (95% KI 14; 22), 1 Studie, n = 299) (insgesamt moderate Aussagesicherheit der Evidenz, mangelnde Präzision) 27900.

Das Risiko einen Diabetes zu entwickeln war für Menschen mit intermediärer Hyperglykämie höher als für Menschen mit Normoglykämie. Für die unterschiedlichen Definitionen der intermediären Hyperglykämie ergaben sich folgende gepoolte Hazard Ratios: IFGGrenzwert 5,6: HR 4,32 (95% KI 2,61; 7,12), 8 Studien, n = 9 017; IFGGrenzwert 6,1: HR 5,47 (95% KI 3,50; 8,54), 9 Studien, n = 2 818; IGT: HR 3,61 (95% KI 2,31; 5,64), 5 Studien, n = 4 010; IFG und IGT: HR 6,90 (95% KI 4,15; 11,45), 5 Studien, n = 1 038; HbA1cGrenzwert 5,7: HR 5,55 (95% KI 2,77; 11,12), 4 Studien, n = 5 223; HbA1cGrenzwert 6,0: HR 10,10 (95% KI 3,59; 28,43), 6 Studien, n = 4 532 (niedrige Aussagesicherheit der Evidenz, mangelnde Präzision, Limitation der Studien mit fehlender Berücksichtigung beeinflussender Faktoren, teilweise Inkonsistenz) 27900.

Ein in der strukturierten Recherche identifizierter, methodisch hochwertig durchgeführter Cochrane-Review untersuchte den Nutzen diätetischer Maßnahmen und/oder körperlicher Aktivität bei Personen mit erhöhtem Diabetesrisiko gemäß prädefinierter Laborparameter (AMSTAR-2-Kategorie hoch) 31306. Die Definition des Prädiabetes variierte zwischen den Studien, wobei IGT in allen bis auf einer Studie als eines der Einschlusskriterien galt. Betrachtet wurden RCTs mit einer Dauer von mindestens zwei Jahren. 12 RCTs wurden in die Analyse eingeschlossen. Es wurden nur wenige Studien identizifiert, die den Nutzen einer alleinigen Ernährungstherapie (1 Studie, n = 271) oder von alleinigen Maßnahmen zur Steigerung der körperlichen Aktivität (2 Studien, n = 397) untersuchten. In Studien, die eine Kombination aus Ernährungstherapie und körperlicher Aktivität mit Standardtherapie oder keiner Intervention vergleichen, wurde hinsichtlich der Gesamtmortalität und kardiovaskulärer Mortalität kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen beobachtet (Gesamtmortalität 12/2 049 vs. 10/2 050, RR 1,12 (95% KI 0,50; 2,50), I2 = 0%, 10 Studien, n = 4 099, Follow-up: bis zu 6 Jahre, mean duration 3,6 Jahre, sehr niedrige Aussagesicherheit der Evidenz, Verzerrungsrisiko durch Inkonsistenz, fehlende Präzision, mögliches Publikations-Bias und weitere; kardiovaskuläre Mortalität: 2/1 000 vs. 2/1 000, RR 0,94 (95% KI 0,24; 3,65), 7 Studien, n = 3 263, sehr niedrige Aussagesicherheit der Evidenz, Verzerrungsrisiko durch Inkonsistenz, fehlende Präzision (sehr wenig Daten), mögliches Publikations-Bias und weitere) 31306. Zwei der Studien berichteten Mortalitätsraten in der Nachbeobachtungszeit. In einer der Studien wurde nach 10,6 Jahren (6,6 Jahre Follow-up) kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen Interventions- und Kontrollgruppe berichtet (6/257 vs. 10/248, HR 0,57 (95% KI 0,21; 1,58), unklare Adjustierung). Dieser ergab sich auch nicht für kardiovaskuläre Morbidität. In der zweiten Studie aus China unterschieden sich die Interventions- und Vergleichsgruppe im Follow-up bis 20 Jahre nach Randomisierung (14 Jahre nach Intervention) in Bezug auf die Gesamtmortalität und kardiovaskuläre Mortalität nicht signifikant. Die Interventionsgruppen (diätetische Maßnahmen allein, körperliche Aktivität allein, oder Kombination) wurden im Verlauf zusammen betrachtet. 23 Jahre nach Randomisierung war für beide Endpunkte ein Vorteil für die zusammengefasste Interventionsgruppe nachweisbar (Mortalität: 28,1% versus 38,4%; HR 0,71 (95% KI 0,51; 0,99), kardiovaskuläre Mortalität 11,9% versus 19,6%; HR 0,59 (95% KI 0,36; 0,96)) 31306. Daten für diese Endpunkte nach 30 Jahren Follow-Up wurden im AHRQ-Report 32477 (siehe unten) berichtet: Mortalität nach 30 Jahren 45,7% versus 56,3%; HR 0,74 (95% KI 0,61; 0,89); kardiovaskuläre Mortalität nach 30 Jahren 22,0%; versus 29,6%; HR 0,67 (95% KI 0,48; 0,94)). Aufgrund von Unklarheiten in Bezug auf die Randomisierungsmethode, die verdeckte Zuteilung und Unterschiede der Baselinecharakteristika (Raucherstatus) wurde für die Studie von den Reviewautor*innen des AHRQ-Berichts ein mindestens mittleres Verzerrungsrisiko angegeben. Darüber hinaus wird im Review diskutiert, ob Ergebnisse in der betrachteten Population aus China aus dem Jahr 1986 auf heutige Populationen übertragen werden können (mangelnde Direktheit) 32477.

Weniger Personen in der Interventionsgruppe (Ernährungstherapie plus körperliche Aktivität) entwickelten in den Studien des Cochrane-Reviews einen Diabetes im Vergleich zur Kontrollgruppe (315/2 122 (14,8%) vs. 614/2 389 (25,7%), RR 0,57 (95% KI 0,50; 0,65), I2 = 6,11%, 11 Studien, n = 4 511) 31306. Die Aussagesicherheit der Evidenz wurde von den Reviewautor*innen als moderat eingeschätzt. Drei Studien waren wegen positiver Effekte vorzeitig beendet worden und machten einen Großteil der Patient*innen in dieser Auswertung aus. Um den Nutzen der Einzelmaßnahmen (diätetische Maßnahmen allein oder körperliche Aktivität allein) zu beurteilen, lagen keine ausreichenden Daten vor 31306.

Der systematische Review, der im Auftrag des AHRQ durchgeführt und in der strukturierten Recherche identifiziert worden war, untersuchte ebenfalls den Nutzen therapeutischer Maßnahmen bei Patient*innen mit Prädiabetes und kam zu ähnlichen Ergebnissen 32477, jedoch unterschieden sich die Einschlusskriterien der Studien von denen des Cochrane Reviews (Studiendauer, Studiendesign).

Ein positiver Effekt von Lifestyle-Interventionen auf die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes wurde auch in einer Studie beobachtet, die selektiv von der Leitliniengruppe eingebracht wurde und nach Ende des Recherchezeitraums des Cochrane-Reviews publiziert worden war 32544. Durch Lebensstilinterventionen mit Fokus auf Ernährungsumstellung und körperliche Aktivität konnte die Rate neuer Diabetesfälle bei Menschen mit Laborwerten im Bereich des erhöhten Diabetesrisikos (Nüchternplasmaglukose 110–125 mg/dl, oder HbA1c 6,0 bis < 6,5% mit Nüchternplasmaglukose 100 bis < 110 mg/dl) reduziert werden. In der Kontrollgruppe entwickelten 22,8% (39/171) einen Diabetes (geschätzte jährliche Inzidenz 11,0%), in den Interventionsgruppen mit oder ohne Unterstützung durch betroffene Mentor*innen 15% (62/414) bzw. 13,7% (55/403) (geschätzte jährliche Inzidenz 7,1% bzw. 6,4%) (Interventionsgruppen versus Kontrollgruppe OR 0,57 (95% KI 0,38; 0,87), p = 001). Methodisch einschränkend sind unter anderem die hohe Abbruchrate und fehlende Verblindung zu berücksichtigen 32544.

Die unterschiedlichen lebensstilmodifizierenden Maßnahmen und ihr Nutzen bei Typ-2-Diabetes werden im Kapitel Nicht-medikamentöse Therapie diskutiert (wird aktuell erstellt).

 Überlegungen Erwägungen, die die Empfehlung begründen

Unter Berücksichtigung der vorliegenden Evidenz schätzt die Leitliniengruppe Menschen mit Laborwerten im Bereich, wie in Tabelle 8 dargestellt, als Risikopersonen für Diabetes, Mikro- und Makroangiopathie ein. Die Empfehlung 3-2 beruht zudem auf einer Empfehlung der NVL Therapie des Typ-2-Diabetes 23863. Die Leitliniengruppe sah keinen Grund, von dieser Empfehlung abzuweichen. Lebensstilmodifizierende Maßnahmen sind die Grundlage der Therapie des Typ-2-Diabetes. Hinweise zu deren Nutzen ergeben sich zudem auch aus der Betrachtung in Zusammenhang mit anderen Erkrankungen.

Mögliche Schäden können sich aus einer Stigmatisierung und Verunsicherung der Betroffenen ergeben. Sind die lebensstilmodifizierenden Maßnahmen nicht in den Alltag integrierbar, kann dies zu Frustration führen. Bei ermutigender Gesprächsführung und sorgsamer Auswahl von Maßnahmen, die sich in den Alltag des Patienten/der Patientin integrieren lassen, wird dies aber als gering eingeschätzt. Informationen zur Berücksichtigung von Kontextfaktoren und partizipativer Entscheidungsfindung sind im Kapitel 2 Partizipative Entscheidungsfindung (PEF) und Teilhabe in allen relevanten Lebensbereichen zu finden.

NVL Typ-2-Diabetes, Version 3.0, 2023

NVL Typ-2-Diabetes – Weitere Formate

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zuletzt verändert: 08.06.2023 | 15:32 Uhr